rehm-verlag   Online-Produkte öffnen

Schwestern von gestern (17) – Jutta Limbach

Jetzt bewerten!

Schwestern von gestern - - - Jutta Limbach? Sie ist im Grunde sehr eine Frau von heute, aber leider ist dieses große Vorbild für Frauen allgemein, für Frauen in Führungspositionen, für Juristinnen und Richterinnen, für alle Feministinnen am 10. September dieses Jahres gestorben. Ein großer Verlust für uns alle.

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Gleichberechtigung der Frauen war - so berichteten viele Medien in ihren Nachrufen - eines ihrer Lieblingsthemen und wer sie auf Tagungen z.B. zum Internationalen Frauentag gesehen und gehört hat, weiß das. Die langgedienten Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragten des Bundes unter uns erinnern sich noch an ihren fulminanten Auftritt beim Fachkongress des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend „Gleichstellung im Aufwind“ im März 2000. Lang, lang ist‘s her!

Damals hielt sie eine vielbeachtete Rede über „Die Frauenbeauftragte in Theorie und Praxis1. Sie thematisierte hier die Klischees und Zuschreibungen, die Erwartungen und Projektionen, denen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte ausgesetzt sind. Sie zitierte nicht nur den Autor Dietrich Schwanitz, der 1995 in seinem Buch Campus die Frauenbeauftragte als eine Sitzungsteilnehmerin beschrieb, die „mit der Präzision einer Laserkanone ihre Worte in das Chaos [eben dieser Sitzung] stanzte“. Sie verwies auch auf die berufsethischen Anforderungen an diese Beauftragten, die die Gender Studies-Professorin Barbara Holland-Cunz formuliert hatte und zu denen so wichtige Aspekte gehören wie Leidenschaft für die Sache der Geschlechtergerechtigkeit, Einfühlung und Engagement für die Klientel, selbstreflexive Distanz zu den Verführungen der Institution sowie Veränderungs- und Konfliktfähigkeit2.

Ihr Fazit war, dass Frauenbeauftragte ein Ausbund an Tugenden sein müssten und dass ständige Überforderung ihr Schicksal sei, da bei nur bescheidenen Machtmitteln nichts weniger auf ihren schmalen Schultern läge als der Verfassungsauftrag aus Artikel 3 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Frauenbeauftragten benötigten daher „Realitätssinn und Hornhaut auf der Seele“. Wie wahr, diese Frustrationstoleranz müssen wir uns täglich erarbeiten (s. Blog Frustrationstoleranz vom 12.12.2011).

Jutta Limbach definierte in ihrem Vortrag auch bereits „strukturelle Benachteiligung“, ein Begriff, mit dem wir Gleichstellungsbeauftragten uns insbesondere seit der missglückten Neufassung des Bundesgleichstellungsgesetzes 2015 intensiv auseinandersetzen müssen: „Darum gilt es bei der Diagnose von geschlechtertypischen Benachteiligungen die Attraktivität der Arbeitsplätze, d.h. die mit diesen verbundenen Chancen und Risiken in den Blick zu nehmen. Denn nicht nur ein niedriger Frauenanteil in gut bezahlten, hierarchisch hoch angesiedelten und hoch qualifizierten Beschäftigungsbereichen ist Ausdruck und Indikator für das Vorliegen struktureller Diskriminierung von Frauen, sondern ebenso ein hoher Frauenanteil in schlecht bezahlten, hierarchisch niedrig angesiedelten und wenig qualifizierten Beschäftigungsbereichen.“

Doch bei aller Sympathie für eine gezielte Frauenförderung hat Jutta Limbach, die selbst drei Kinder großgezogen hat, eines immer deutlich gemacht: "Ohne Selbstbehauptungswillen kommt eine Frau in unserer Gesellschaft nicht voran" - so wird sie vielfach zitiert. Sie selbst hatte diesen Selbstbehauptungswillen. Ihre Autorität, ihr Fachwissen und auch ihre besondere Ausstrahlung haben sie in hohe und höchste Ämter getragen - bis zur Justizsenatorin in Berlin und zur ersten Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Ihr Wort hatte Gewicht, ihr Rat war gefragt bis zuletzt in der Kommission, die sich mit der Rückgabe von Kulturgütern befasste, die während der NS-Zeit vor allem jüdischen Menschen entzogen worden waren. Dieses Gremium wurde schlicht „Limbach-Kommission“ genannt.

Kämpfen und die Frauenfrage waren ihr in die Wiege gelegt, denn sie war eine geborene Ryneck und ihre Großmutter Elfriede Ryneck war Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und Reichstagsabgeordnete. Und Jutta Limbach, die auch als Jutta Courage und juristische Überfliegerin bezeichnet wurde, war die Urenkelin von Pauline Staegemann, einem ehemaligen Dienstmädchen und späteren Kämpferin für eine bessere Bildung von Arbeiterinnen, über die sie erst in diesem Jahr das Buch veröffentlichte: „Wahre Hyänen. Pauline Staegemann und ihr Kampf um die politische Macht der Frauen“.

Jutta Limbach liebte die Sprache und das zugespitzte Formulieren. 2002 wurde sie mit der „Schärfsten Klinge“ der Stadt Solingen ausgezeichnet - ein Beweis für ihre sprachliche Kompetenz und ihre große Formulierungskunst. Nicht umsonst war sie bis 2007 Vorsitzende des Deutschen Sprachrats3 und langjährige Vorsitzende des Goethe-Instituts.

Sie kannte die Macht der Worte und hat sie genutzt – als Professorin, als Politikerin, als Richterin und als Feministin. Ihre Zuhörerinnen begrüßte sie meist mit „Liebe Ladies“ und übernahm von der afroamerikanischen Bürgerrechtlerin und Schriftstellerin Maya Angelou für die Arbeit an der Frauenförderung den Begriff „tough and tender“, den sie mit „zäh und zärtlich“ übersetzte. Auch am Ende des o.g. Vortrags zitierte sie diesen Begriff und noch einmal Maya Angelou mit den Worten: „Die Frau, die mit Witz, Verstand und Courage bewaffnet ist, wird unter den ersten sein, die den Sieg feiert“.

Hier allerdings muss ich milde widersprechen. Für eine Jutta Limbach mag das gegolten haben, aber was passiert mit den „normalen“ Frauen oder gar Gleichstellungsbeauftragten mit (zu) großem Selbstbehauptungswillen, mit (zu) viel Verstand und Courage? Sehr gut gelitten sind sie meist nicht. Zu ehrgeizig, zu tough, zu kompromisslos, zu gradlinig, lautet dann das Urteil. Und eine gewitzte oder witzige Frau macht sich erst recht unbeliebt, wenn ihre männlichen Gegenparte diesen Witz in den falschen und vor allem humorfreien Hals kriegen.

Hier weiß ich, wovon ich spreche, und viele Kolleginnen sicher auch. Aber auch dazu hat Jutta Limbach wieder einen klugen Satz parat. "Eine demokratische politische Kultur lebt bekanntlich von der Meinungsfreude und der Anteilnahme der Bürger [?]. Das setzt Furchtlosigkeit voraus.“

Bleiben wir also meinungsfreudig und gewitzt. In diesem Sinne mit furchtlosen Grüßen

Ihre Kristin Rose-Möhring


1 In „Gleichstellung im Aufwind – Perspektiven einer modernen Gleichstellungspolitik“, Dokumentation des Fachkongresses der Frauenbeauftragten des Bundes, 22 und 23. März 2000, Hrsg. BMFSFJ, Berlin, Dezember 2001, vergriffen; der Aufsatz ist in ähnlicher Form ebenfalls erschienen in „Wissenschaftlerinnen-Rundbrief Nr. 1/2001 an der Freien Universität“, Herausgeberin: Zentrale Frauenbeauftragte der FU Berlin, http://www.fu-berlin.de/sites/frauenbeauftragte/publikationen/rundbrief/pdf_rundbrief/wiss_2001_1.pdf

2 Barbara Holland-Cunz „Trennendes und Verbindendes“ in Ute von Wrangell u.a. (Hrsg.), Zu Ethos, Theorie und Praxis eines jungen Berufs. 1998

3 Jutta Limbach (Hrsg.): Ausgewanderte Wörter. Eine Auswahl der interessantesten Beiträge zur internationalen Ausschreibung «Ausgewanderte Wörter». In: Deutscher Sprachrat, Goethe-Institut (Hrsg.): Wörter wandern um die Welt., Ismaning 2006

Mein Kommentar
Sie sind nicht eingeloggt
Bitte benachrichtigen Sie mich bei neuen Kommentaren.
Ihr Kommentar erscheint unter Verwendung Ihres Namens. Weitere Einzelheiten zur Speicherung und Nutzung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
0 Kommentare zu diesem Beitrag
Twitter-Icon

Folgen Sie uns auch auf Twitter!
Wir informieren Sie rund um das Thema Gleichstellungrecht.
https://twitter.com/GleichstellungR

banner-gleichstellungs-und-gleichbehandlungsrecht.png
rehm_e-line_banner_355x355_L1_Var1.jpg
SX_LOGIN_LAYER