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Schwestern von gestern (4) - Alice Paul

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1977, vor gut 35 Jahren, starb in den USA die Frauenrechtlerin Alice Paul. Sie war Gesicht und Kopf der amerikanischen Frauenstimmrechtsbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts und setzte sich mit allen verfügbaren Mitteln für die Durchsetzung des Frauenwahlrechts ein. 1913 begann sie ihre intensive Kampagne (siehe Blogbeitrag vom 21.1.2013 – Blick voraus und zurück).

Liebe Leserin, lieber Leser,

Alice Paul war das Bindeglied zwischen der englischen und amerikanischen Frauenbewegung Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts. Aufgewachsen in Pennsylvania auf einer Farm war sie für eine Frau ihrer Zeit ungewöhnlich gebildet. Sie studierte Biologie, Sozialarbeit und Soziologie in den USA und in Großbritannien und promovierte 1912 mit dem Thema „Die rechtliche Situation der Frauen in Pennsylvania“. 1928 schloss sie ein Jurastudium mit einer weiteren Promotion ab.

Die Jahre in London waren frauenpolitisch prägend für Alice Paul. Sie lernte die Kämpferin für das Frauenstimmrecht Emmeline Pankhurst und ihre Tochter Christabel kennen und übernahm später in den USA viele Vorgehensweisen, die die Pankhurst-Frauen und deren Organisation WSPU verfolgt hatten. In England war sie mehrfach verhaftet und ins Gefängnis gesteckt worden, wo sie entschlossen in den Hungerstreik trat und äußerst brutale Zwangsernährungen über sich ergehen lassen musste. Diese Strategie verfolgte sie später auch in Amerika.

Alice Paul entwickelte sich – so die Historikerin Joey Horsley - zur “einzigen wirklich charismatischen” Führerin der US-amerikanischen Frauen-Stimmrechtsbewegung im 20. Jahrhundert.

Nachdem sie 1910 in die USA zurückgekehrt war, engagierte sie sich zunächst in der „National American Woman Suffrage Association“ (NAWSA), die 1869 von den Urmüttern der amerikanischen Frauenbewegung Susan B. Anthony und Elizabeth Cady Stanton gegründet worden war. Schnell jedoch kam es zu Auseinandersetzungen mit den eher gemäßigten Führerinnen, insbesondere der Vorsitzenden Carrie Chapman Catt, die vorrangig Gesetze in den einzelnen Bundesstaaten ändern wollten, während Alice Paul einen Verfassungszusatz für das Frauenwahlrecht auf Bundesebene anstrebte und eine militante Strategie verfolgte.

Mit ihren radikalen Methoden wurde die als kühn und brillante Strategin beschriebene Kämpferin zur Pionierin des “zivilen Ungehorsams”. 1913 organisierte sie in Washington einen riesigen Umzug mit über 8.000 marschierenden Frauen aus allen Schichten. Eine halbe Million Menschen säumten die Straßen. Es kam zu massiven Ausschreitungen, als die demonstrierenden Frauen von einem wütenden Mob angegriffen und zum Teil erheblich verletzt wurden, während die Polizei tatenlos zusah. Über den Skandal wurde in den Zeitungen ausführlich berichtet und er brachte den amerikanischen Suffragetten große Aufmerksamkeit.

1915 gründete Alice Paul die radikale Frauenpartei Woman’s Party und organisierte gezielte Protestaktionen und Mahnwachen vor dem Weißen Haus, um die Öffentlichkeit auf ihr Ziel aufmerksam zu machen.

Als die USA 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten, gerieten die Suffragetten massiv unter Druck. Sie wurden bei ihren Mahnwachen vor dem Weißen Haus als Landesverräterinnen beschimpft, z.T. tätlich angegriffen, von der Polizei verhaftet und Monate lang ins Gefängnis gesteckt. Da sie sofort in den Hungerstreik traten, wurden sie brutal zwangsernährt und Alice Paul sollte sogar für geisteskrank erklärt werden.

Insgesamt saßen zwischen 1917 und 1919 etwa 170 Frauen unter unmenschlichen Bedingungen im Gefängnis. Als die Presse über die unglaublichen Haftbedingungen zu berichten begann, kam es zu massiven Protesten und einer Solidarisierung sogar der gemäßigten NAWSA. Daraufhin wurden die Frauenrechtlerinnen aus der Haft entlassen, die Haftstrafen vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten später für verfassungswidrig erklärt.

Nach weiteren Jahren der politischen Auseinandersetzung wurde der 19. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der den Frauen das Wahlrecht garantierte, schließlich 1920 vom US-Kongress beschlossen und am 26. August desselben Jahres ratifiziert.

Auch nach 1920 setzte Alice Paul mit ihrer Frauenpartei den Kampf fort. 1923 entwarf sie das Equal Rights Amendment (ERA), das den Amerikanerinnen die volle Gleichberechtigung per Verfassung bringen sollte. Das ERA wurde zwar 1972 vom Congress gebilligt, bis zum Stichtag 1982 konnte aber nicht die erforderliche Zahl von Bundesstaaten gewonnen werden und so wurde der Gleichberechtigungszusatz nicht in die Verfassung aufgenommen.

Zum Glück hat Alice Paul diese Niederlage nicht mehr erleben müssen. Sie starb am 9. Juli 1977, nicht jedoch ohne in den dazwischen liegenden Jahrzehnten weiter für die Rechte von Frauen und politisch Verfolgten sowie für Menschen- und Bürgerrechte gekämpft zu haben. Noch mit über 80 Jahren nahm sie an Protestdemonstrationen gegen den Vietnamkrieg teil.

Auf die Frage, warum sie ihr ganzes Leben den Frauenrechten gewidmet habe, antwortete Alice Paul mit einem für eine Farmerstochter typischen Satz:

„Wenn du einmal die Hand an den Pflug gelegt hast, kannst du nicht mehr aufhören, bis du das Ende der Furche erreicht hast.“

In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein erfolgreiches Weiterackern auf dem Gleichstellungsfeld, auf dem noch so manche Furche zu ziehen ist.1

Herzlich

Ihre Kristin Rose-Möhring


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