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Statistik für Gleichstellungsbeauftragte (II)

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Wie wichtig der genaue Umgang mit Statistiken und statistische Kenntnisse sind, zeigt das Beispiel Wahlen. Diese sind im Prinzip das Gleiche wie Statistiken. Daten (der Wille der Wähler/innen) werden erhoben, sie werden aufbereitet (Auszählen nach Wahlkreisen, Direktmandaten, Landeslisten usw.) und sie werden interpretiert (von den Parteien, die fast alle immer gesiegt haben, oder von Kommentator/inn/en, die Wählerwanderungen, Trends und ähnliches erkennen wollen). Wahlen liefern uns also eine gute Fortsetzung des Themas der letzten Woche.

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

James Madison war Mitbegründer der Vereinigten Staaten von Amerika, deren 4. Präsident, Mitautor der Verfassung und er hat die Bill of Rights entworfen. 1813, in seinem zweiten Amtsjahr, bekam er einen neuen, damals noch gewählten Vizepräsidenten. Eldridge Gerry war Mitunterzeichner der Unabhängigkeitserklärung, langjähriger Gouverneur von Massachusetts und Erfinder der modernen Wahlfälschung durch Wahlkreisschiebung. Nach ihm und dem Zuschnitt seines Wahlkreises, in dem ein Journalist die Umrisse eines Salamanders erkennen wollte, wird die Methode noch heute als „Gerrymandering“ bezeichnet.

Gelegentlich wurden auch bei uns schon Vorwürfe der Wahlkreisschiebung erhoben, d.h. das Zuschneiden von Wahlkreisen, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Richtig effektiv wirkt diese aber nur bei einem Mehrheitswahlrecht wie in den USA. Stellen Sie sich ein Zweiparteiensystem vor, bei dem alle Abgeordnete in Wahlkreisen direkt gewählt werden.

Eine Partei kann sich auf 51% und die andere auf 49% der Stimmen verlassen. Eine vergleichbare Sitzverteilung würden wir als gerecht empfinden. Das muss aber nicht sein. So könnte die 49%-Partei die Mehrheit der Sitze erringen, wenn sich die Stimmen der anderen in relativ wenigen Wahlkreisen konzentrieren, und/oder weil die Wahlkreise unterschiedlich groß zugeschnitten sind. Gelänge es der 51%-Partei, alle Wahlkreise so zuzuschneiden, dass sie in jedem genau 51% erreicht, bekäme sie 100% der Sitze.

Dieses Extrembeispiel soll Ihnen zeigen, wie wichtig es ist, mit der Statistikkritik schon sehr früh, also bei der Datenerhebung anzusetzen. Den vorgelegten Ergebnissen (Statistiken) können Sie nicht mehr ansehen, wer welchen Einfluss auf die Datenerhebung genommen hat. Im Gegenteil, diese lösen bei der Betrachterin die Vorstellung von Korrektheit, Vollständigkeit, wissenschaftlicher Richtigkeit und vor allem Objektivität aus. Da helfen nur Nachfragen und eine gesunde Skepsis.

Werden in Ihrem Umfeld Stellenäquivalente oder Köpfe gezählt, wenn der Frauenanteil ermittelt wird? Natürlich ist die Frau auf der halben Stelle genau so viel wert wie der Mann auf der ganzen. Aber Gleichstellung, wie ich sie verstehe, ist das noch nicht. Oder was halten Sie von einem Personalchef, der den Frauenanteil in der Firma zu gerade dem Zeitpunkt ermitteln lässt, wenn z.B. 30 Praktikantinnen im Rahmen einer Fördermaßnahme, Mädchen und junge Frauen für Männerberufe zu interessieren, vorübergehend beschäftigt sind?

Geht es um die Erhebung des Frauenanteils, spielen auch die Qualitäten der Beschäftigungsverhältnisse wie Arbeitszeit, Dauer, Grad der Eingliederung, Kündigungsschutz, Befristung, Abordnung usw. eine Rolle. Wurde sinnvoll gezählt? Alle oder untergliedert nach Abteilungen, Laufbahnen, Einkommen oder Funktionen? Gab es kurz vor dem Stichtag Umstrukturierungen?

Wenn Sie hören, dass es einem Personalchef gelungen sei, in 4 von 5 Abteilungen den Frauenanteil im letzten Jahr um 20% zu steigern, kann das auch bedeuten, dass vorher in jeder Abteilung nur 5 Frauen beschäftigt waren und er vor der Erhebung aus einer Abteilung 4 Frauen auf die anderen Abteilungen umgesetzt hat, wo die Erhöhung von 5 auf 6 jetzt 20% Steigerung ausmacht.

Hier müssen bei der Gleichstellungsbeauftragten mit Sensibilität für Statistikfragen die Alarmglocken schrillen und es muss nachgefragt werden, z.B.: Was ist in der anderen Abteilung passiert? Rückgang um 80%? Wie kommt das?

Oft werden schon bei der Datenerhebung die Weichen für ein gewünschtes Ergebnis gestellt. Und sollten Sie meinen, das alles im Griff zu haben, bleiben Sie selbstkritisch. Es ist verblüffend, was selbst an den schönsten Statistiken alles faul sein kann. Besonders schwer zu durchschauen: Es werden viele Statistiken erstellt, aber nur die mit den gewünschten Ergebnissen auch präsentiert.

Also noch einmal: bleiben Sie wachsam! Das Ziel Gleichstellung ist viel zu wertvoll, als dass es unter die Räder der Statistik kommen dürfte.

Herzlich

Kristin Rose-Möhring

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