Statistik für Gleichstellungsbeauftragte (III)
Liebe Leserin, lieber Leser,
als Studentin kam ich mit einem Kommilitonen ins Gespräch, der im Rahmen seines wirtschaftswissenschaftlichen Studiums gerade Statistik belegt hatte. Es ging um den mathematischen Teil, der an dieser Universität auch Forschungsschwerpunkt war. Ich war stolz darauf, noch von der Schule die Gauß’sche Normalverteilung (Glockenkurve) zu kennen. Nun aber musste ich mir von 23 anderen Arten angeblich gängiger Verteilungskurven erzählen lassen. Und es sollte noch viele weitere Arten geben, einen Mittel- oder Durchschnittswert zu bestimmen (für mich und sicher auch viele andere Lai/inn/en ist das dasselbe). Die Ergebnisse, so wurde ich belehrt, seien so unterschiedlich, dass sie nur von der angewandten Methode abhingen. Für mich jedenfalls war es das – ich klinkte mich geistig aus.
Als ich mich später intensiv mit Frauenpolitik beschäftigte und auch als Gleichstellungsbeauftragte immer häufiger mit Statistiken konfrontiert wurde, erinnerte ich mich daran. Eine Skepsis gegenüber dem Aussagewert der Zahlen war einfach geblieben und ich begann, Statistiken kritisch zu hinterfragen. Dabei lernte ich auch, dass Statistik in den vergangenen Jahrzehnten nicht stehen geblieben ist.
Statistiken werden heute per Knopfdruck vom Computer erstellt. Dabei verstehen auch die Anwender/innen nicht immer, was da mathematisch im Hintergrund abläuft, so wie ich, wenn ich eben mal die 3te Wurzel aus 117 mit dem Taschenrechner ziehe (nicht dass ich das oft täte, aber nur mal so als Beispiel).
Computer sind im Grunde ehrliche und wahrheitsliebende Kerle. Sie rechnen im Rahmen der Programmierung unermüdlich alles und das richtig. Sie kümmern sich nicht darum, ob die Daten richtig erhoben wurden, ob die verglichenen Zeiträume stimmig sind, ob Äpfel mit Birnen verglichen werden oder ein Zahlenverhältnis überhaupt etwas Vernünftiges aussagt.
50 Neueinstellungen mit 5 Frauen gegenüber 40 Neueinstellungen mit 4 Frauen im letzten Jahr zeigt gleichstellungspolitische Stagnation auf Steinzeitniveau. Aufbereitet zu einer Steigerung der Neueinstellung von Frauen um 20% (von 4 auf 5) ist es dann aber schon fast ein Durchbruch, soweit dies nicht weiter hinterfragt wird. Der Computer hinterfragt nicht. Er rechnet nur.
Soll also manipuliert werden, muss „man“ die Stellschräubchen an den zu berücksichtigenden Zahlen und anzuwendenden Methoden einfach ein bisschen drehen, bis das Ergebnis dem Mensch am Computer passt. Das dürfte auch für einen Statistikbanausen nicht allzu schwer sein. Hat er noch ein paar Fachkenntnisse, vereinfacht das die Sache noch. Doch bei wirklicher Sachkunde, d.h. bei wahrem Durchblick regt sich dann hoffentlich irgendwann das schlechte Gewissen und „man“ erkennt die Nähe zum Betrug. Aber wahrscheinlich gibt es sogar schon Computerprogramme, die zu einem gewünschten Ergebnis die geeignete Methode vorschlagen. Wundern würde mich das jedenfalls nicht.
Doch genug der Manipulationsvisionen – es wird Zeitfür ein anschauliches Beispiel:
Stellen Sie sich vor, Sie seien Chefin einer Firma X 0.1 GmbH mit 1000 Mitarbeiter/inne/n: 901 Männern und 99 Frauen – ein Frauenanteil also von weniger als 10% – gleichmäßig verteilt auf 10 Abteilungen. Sie können 5 weitere Frauen einstellen und sollen damit der Firma ein möglichst frauenfreundliches Image verpassen. Was können Sie tun?
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Sie bilden 9 Abteilungen mit je 89 Männern und 11 Frauen.
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Sie lagern eine Abteilung mit 100 Männern aus und gründen die Tochterfirma X 0.2 GmbH, in der Sie fünf Frauen neu einstellen.
Ergebnis:
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Sie haben den Frauenanteil in allen Abteilungen der Fa. X 0.1 um 10% (von 10 auf 11) erhöht, in einem Fall sogar von 9 auf 11, also etwa 22%.
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Sie haben weiterhin als erste Personalmaßnahme in der neuen Fa. X 0.2 nur Frauen (100% der Neueinstellungen) eingestellt.
Was weht hier – statistisch betrachtet – doch für ein neuer Wind! Der Aufsichtsrat, oder wem auch immer Sie verantwortlich sind, wird zufrieden sein.
Dieses, wie auch frühere Beispiele, zeigt, dass der prozentuale Zugewinn an Frauen dann höher ausfällt, wenn die Neuen nur ins Verhältnis zu den vorhandenen Frauen und nicht zur Zahl aller Beschäftigten gesetzt werden. Genauso führt eine hohe Fluktuation von weiblichen Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen zu einer prozentual hohen Neueinstellungsquote an Frauen, ohne dass etwas an der grundlegenden Situation geändert wird, da den vielen Zugängen ja genauso viele Abgänge gegenüber stehen.
Sie sehen, meine übliche Warnung bleibt wichtig: Bleiben Sie, bleiben wir wachsam!
Mit herzlichen Grüßen
Kristin Rose-Möhring
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