Statistik für Gleichstellungsbeauftragte (IV)
Liebe Leserin, lieber Leser,
folgen Sie mir bitte bei einem einfachen Beispiel zum Üben des kritischen Blicks: Wie hoch ist der Durchschnittsverdienst in Ihrem Betrieb (Firma, Behörde)? Wie der von Männern und der von Frauen?
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Sie wissen es nicht? Warum wissen Sie es nicht? Es wird doch alles Mögliche statistisch erfasst. Wer hat ein Interesse daran, gerade diese Aspekte nicht zu erfassen oder bekannt werden zu lassen?
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Was ist eigentlich ein Durchschnittsverdienst? Alle Einkommen zusammen gezählt und durch die Zahl der Köpfe der Beschäftigten (oder der Männer oder Frauen) geteilt? Egal ob Teilzeit oder Vollzeit? Werden die z.T. unverschämt hohen Gehälter der Geschäftsführer mitgezählt? Werden Leihmitarbeitende mitgezählt? Wenn ja, mit dem, was sie in der Lohntüte haben, oder mit dem, was die Firma an den Verleiher zahlt? Was ist mit Prämiensystemen, Gratifikationen, Zahlungen an Scheinselbstständige?
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Falls Sie im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, wissen Sie, dass die Einkommen gesetzlich und geschlechtsneutral geregelt sind. Hier verschieben sich die Probleme auf die Eingruppierung, die Einstufung, die Beförderung oder die Verteilung von Teilzeitjobs. Gibt es auch hier Abordnungen, Fremdbeschäftigte oder Praktikant/inn/en? Ich selbst habe im Geltungsbereich des BGleiG noch keinen Gleichstellungsplan gesehen, der diese Fragen aufgegriffen und Verbesserungsvorschläge gemacht hätte.
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Falls Männer und Frauen im Durchschnitt unterschiedlich verdienen, liegt dies dann an ungleichem Lohn für gleiche Arbeit, an Teilzeitbeschäftigungen, an der Beschäftigungsdauer, der Betriebsangehörigkeitsdauer oder an was? Vielleicht/angeblich an Leistung??
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Durchschnittsverdienst und mittlerer Verdienst können in ein und demselben Betrieb erheblich von einander abweichen. Listen Sie in einem Betrieb mit z.B. 117 Beschäftigten alle Gehälter der Höhe nach auf. Die Nummer 58 wäre jetzt für viele der mittlere Verdienst, da genauso viele darüber wie darunter liegen. Wie sehen Sie das?
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Und nie die Frage vergessen, wer ein Interesse an der Erhebung und an ihrer Veröffentlichung hat. Wahrscheinlich werden wesentlich mehr Statistiken erhoben als veröffentlicht. Falls Sie also nach dem geschlechtsspezifischen Durchschnittsverdienst erst fragen müssen, liegt das Interesse bei Ihnen. Sie müssen sich daher sofort fragen, warum es so schwer ist, die Zahlen zu bekommen. Wäre alles im grünen Bereich, müsste es der Leitung Ihrer Organisation ja geradezu eine Freude sein, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Faustregel: Je schwerer es ist, die Zahlen zu bekommen, desto mehr liegt im Argen. Das trifft vielleicht nicht immer zu, aber es ist eine gute Faustregel.
Noch etwas für den Weg: Verfassungsrechtlich gesehen sind Männer und Frauen gleichberechtigt (Art. 3 Abs. 2 GG) und der Staat fördert die tatsächlicheDurchsetzung der Gleichberechtigung. Die tatsächliche, nicht die statistische Gleichstellung. Statistik allein sagt über das Erreichte noch gar nichts. Denken wir dran!
Mit herzlichen Grüße
Ihre Kristin Rose-Möhring
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