Vergleichsmedian spricht für Diskriminierung!
Liebe Leserin, lieber Leser,
ich sitze beim Frühstück, es schneit und ich lese meine Tageszeitung. Mein Blick fällt auf eine kleine Nachricht und da lese ich: „Frauen können sich leichter gegen Gehaltsgefälle wehren“. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 21.1.2021 mit dem Aktenzeichen 8 AZR 488/19 eine Entscheidung zugunsten weiblicher Beschäftigter getroffen. Ich freue mich bei solchen Nachrichten ja immer erst, wenn ich mehr als die Überschrift nachlesen konnte. In den Begründungen finde ich dann das, was ich Ihnen, den Gleichstellungsbeauftragten, mit auf den Weg geben kann – unterstützend oder Vorsicht (habt acht)!
Auf die Entscheidung hatte ich gewartet, (auch) dieser Verhandlungstermin war verlegt worden. Es ging um die Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts. Geklagt hat eine Niedersächsin vor dem Arbeitsgericht in Göttingen, dann weiter vor dem Landesarbeitsgericht Hannover – hier noch erfolglos. Nun erfolgreich in Erfurt vor dem BAG.
Die Frau hatte von ihrem Arbeitgeber eine Auskunft darüber verlangt, ob sie bei vergleichbarer Arbeit das gleiche Entgelt verdient wie ein männlicher Kollege. Der Arbeitgeber hat die Auskunft sowohl zum Grundentgelt wie einer Zulage erteilt. Dazu sind Arbeitgebende seit der Einführung des Entgelttransparenzgesetzes, abgekürzt EntgTranspG, verpflichtet (§ 10 Abs 1). Nach der erteilten Auskunft hat die Frau den Klageweg beschritten, da sie für die gleiche bzw. gleichwertige Arbeit weniger Entgelt erhalten hat. Ihre Vermutung: weil ich eine Frau bin. Eine Diskriminierung, eine Benachteiligung, wegen des Geschlechts! Das sieht auch das BAG so. Ergibt die Auskunft des Arbeitgebers, dass es eine unterschiedliche Bezahlung gibt, begründet dies zugunsten der Arbeitnehmerin die grundsätzliche Vermutung, dass die unterschiedliche Bezahlung wegen des Geschlechts erfolgt. Der Grund: Der Arbeitgeber wählt die maßgebliche Vergleichsperson aus, deren Entgelt (Median-Entgelt) er an die Frau weitergibt, und dabei kann es sich um einen konkreten oder einen hypothetischen Beschäftigten des anderen Geschlechts handeln. Bei einem geringeren Entgelt ist dann gemäß § 3 Abs 2 S. 1 EntgTranspG eine unmittelbare Benachteiligung gegeben. Es ist Aufgabe des Arbeitgebers die Vermutung zu wiederlegen, das fehlt im verhandelten Fall.
Die Ansicht des BAG bedeutet eine erhebliche Erleichterung für Frauen, die Ansprüche geltend machen wollen. Sie müssen nicht beweisen, dass ihr Geschlecht der mögliche Grund für das geringere Entgelt ist, sondern ihr Arbeitgeber hat die Beweispflicht, dass er nicht wegen des Geschlechts weniger zahlt.
Ein Erfolg, auch wenn das LAG sich nun nochmal um den Fall kümmern muss. Ein Erfolg, auch wenn Sie und ich wissen, dass das EntgTranspG erst Anwendung findet ab 200 Mitarbeitenden. Ein Erfolg die Zuweisung der Umkehr der Beweislast an die Arbeitgebenden. Für die Zukunft wird es interessant werden, welchen Maßstab die Richterinnen und Richter an die vorgebrachten Argumente anlegen werden.
Noch einige weitere Sätze zu mir: Mit den kommunalen Frauenbeauftragten und den Frauenbüros habe ich in den folgenden Jahren vielfältige Veranstaltungen aus Frauensicht konzipiert und durchgeführt, Merkblätter erstellt, Plakate mitgestaltet und Broschüren verfasst.
Einige der Themen:
- Frauen in der Arbeitswelt,
- Zugang zum Beruf,
- heute heißt es: Elternzeit u. -geld, Vereinbarkeit,
- never ending und als eine der Ersten aus Frauensicht: geringfügige Beschäftigung,
- natürlich Teilzeit,
- von Beginn meiner Selbständigkeit an das Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.
Es war eine Zeit mit Veränderungen im Recht – zeitweise kam frau kaum hinterher, und es gab in etlichen Bundesländern ein Budget für diese Arbeit.
Ein Erfolg des Engagements ist bis heute die Vernetzungsstelle für Gleichberechtigung, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte (Trägerin heute: Gleichberechtigung und Vernetzung e.V.) mit Sitz in Hannover, die wir (8 Frauen) an einem Februar-Wochenende 1994 in Worpswede in „trockene“ Tücher gepackt haben.
(Fortsetzung demnächst)
Aktuelles aus aller Welt:
Hat mich überrascht: In Russland ist das Arbeitsgesetz geändert worden und nun dürfen auch Frauen Straßenbahnfahrerin werden. 12 Chauffeusen gibt es bereits. 50 Frauen sollen demnächst in den Leitständen der Bahnen fahren.
Mit feministischen Grüßen,
Ute Wellner
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