Wahlfreiheit
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
und das ist auch noch nicht alles. Viele weitere Daten sind 2011 wichtig und könnten Anlass sein, über Emanzipation und Fortschritt, über Gleichberechtigung, Frauenförderung und Gleichstellung, über das Erreichte und den Nachholbedarf nachzudenken.
Vor 220 Jahren, 1791 veröffentlichte Olympe de Gouges nach der Menschenrechterklärung der Französischen Revolution die Frauenrechtserklärung „Manifest über die Rechte der Frau und Bürgerin“ mit dem zentralen Satz "Die Frau wird frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten." Ihre Forderung „Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen. Sie muss gleichermaßen das Recht besitzen, die Rednertribüne zu besteigen" kostete sie das Leben: Sie wurde zwei Jahre später hingerichtet, doch die Forderung blieb.
Denn: Wie viele Frauen können heute auf Redetribünen steigen? Sie haben grundsätzlich das Recht, aber wer lässt sie – z.B. in Aufsichtsräten, Vorständen und anderen wichtigen Gremien? Daran hat auch die freiwillige Vereinbarung zur Chancengleichheit in der Privatwirtschaft, die vor 10 Jahren 2001, im selben Jahr wie das Bundesgleichstellungsgesetz abgeschlossen wurde, nichts geändert. Sie ist im Gegenteil krachend gescheitert und nicht umsonst werden nun die Forderungen nach einer Quote für Unternehmen lauter (siehe die Blog-Beiträge "Feigheit – ein polemischer Zwischenruf" vom 7.3.2011 und "19. März 1911 und heute: „Nein“-Zeit ist Steinzeit" vom 21.03.2011).
Chancengleichheit hat auch mit Wahlen und Wahlrecht zu tun. In Deutschland erhielten Frauen es 1918 – bis zum 100. Geburtstag ist es also noch ein Weilchen hin. Anders in Finnland: Das heutige Bildungsmusterland gewährte das Wahlrecht seinen Frauen bereits 1906, vor 105 Jahren, als erstes Land in Europa. Ob es deshalb so fortschrittlich ist?
Die rote Laterne hat in dieser Hinsicht die Schweiz. Sie ermöglichte Frauen erst 1971, vor 40 Jahren, die Freiheit, zu wählen – die Besonderheit hier war die dafür erforderliche Volksabstimmung der Männer. Und der Halbkanton Appenzell-Innerrhoden brauchte für das kommunale Frauenwahlrecht noch einmal unfassbare fast 20 Jahre und eine Bundesgerichtsentscheidung, bevor er 1990 die Frauen dort wählen ließ.
Zur Wahlfreiheit gehört auch die Wahl des Berufs und so war es für Frauen erst nach einem Gerichtsurteil, diesmal des Europäischen Gerichtshofs möglich, zur Bundeswehr zu gehen und Soldatin zu werden. Am 1.1.2001 rückten die ersten Frauen in die Bundeswehr ein.
Ebenfalls vor 10 Jahren trat das Teilzeit- und Befristungsgesetz in Kraft, das vielen Beschäftigten mit Familienpflichten Teilzeitarbeit ermöglichte oder erleichterte. Zwar führt Teilzeit oft in eine finanzielle Sackgasse, aber so lange die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch nicht umfassend möglich ist, hilft Teilzeit überwiegend Frauen, materiell unabhängig(er) zu sein.
Doch genau hier liegt das entscheidende Gleichstellungsfeld: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss verbessert, Familienarbeit stärker anerkannt werden – für Frauen und Männer.
Darüber hinaus macht der Equal Pay Day alljährlich deutlich – 15. April 2008, 20. März 2009, 26. März 2010 und 25. März 2011 – dass Frauen ein Vierteljahr länger arbeiten müssen, um das durchschnittliche Vorjahresgehalt von Männern zu erarbeiten. Da stimmt doch etwas nicht!
Solange Frauen in der Gesellschaft von den lukrativen Jobs mit hohem Einkommen ferngehalten werden oder auch für gleiche Arbeit weniger verdienen, besteht dringender politischer Handlungsbedarf. Ein Jubiläumsjahr bietet dazu die beste Gelegenheit.
Herzlich,
Ihre Kristin Rose-Möhring
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