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Gesetzentwurf zur "Tarifeinheit" - Interview mit Andrea Nahles

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In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) hat Bundesarbeitsministerin Nahles am 28.10.2014 zum Vorhaben „Tarifeinheit“ informiert. Ein neuer Gesetzentwurf soll zur Bereinigung von konkurrierenden Tarifvereinbarungen beitragen. Direkte Regelungen zum Streikrecht sind dagegen nicht vorgesehen.

 

Das Interview im Wortlaut:

 

FAZ: Frau Nahles, haben Lokführer und Piloten mit ihren Streik in den letzten Wochen überzogen?

 

Nahles: Ich werde als Bundesarbeitsministerin keine Noten für einzelne Gewerkschaften oder Tarifkonflikte verteilen. Grundsätzlich ist die Zahl der Streiktage in Deutschland im internationalen Vergleich weiterhin eher gering.

 

 

FAZ: Warum bereiten Sie dann eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit vor?

 

Nahles: Weil meine Hauptsorge eine andere ist: Tarifverträge sind auch dazu da, für Lohngerechtigkeit in den Belegschaften zu sorgen. Arbeitnehmer sollen grundsätzlich nach ihrer Arbeitsleistung entlohnt werden und nicht einfach nach ihrer Stellung oder Streikmacht im Betrieb. Hier ist in der Tat eine Unwucht entstanden, seit das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zur Tarifeinheit im Jahr 2010 geändert hat.

 

 

FAZ: Und diese „Unwucht“ soll nun der Gesetzgeber wieder austarieren?

 

Nahles: Oberstes Ziel des Gesetzentwurfs, den ich in dieser Woche in die Ressortabstimmung geben werde, ist eine Stärkung der Tarifautonomie. Der Gesetzgeber wird sich auch künftig nicht anmaßen, direkt in Tarifauseinandersetzungen einzugreifen. Aber wir schaffen einen Konfliktlösungsmechanismus für Fälle der sogenannten Tarifkollision: Wo in einem Betrieb innerhalb einer Arbeitnehmergruppe unterschiedliche Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften aufeinanderstoßen und die Beteiligten nicht von sich aus eine einvernehmliche Regelung finden, soll künftig in letzter Konsequenz das Mehrheitsprinzip gelten. Dann soll der Arbeitgeber im Zweifel die Tarifverträge anwenden, die die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in dem Betrieb abgeschlossen hat.

 

 

FAZ: Wie muss man sich das in der Praxis konkret vorstellen?

 

Nahles: Wenn es in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften gibt, sollten weiterhin vorrangig die bewährten Verfahren greifen. Wir kennen das aus dem öffentlichen Dienst und anderen Bereichen: Gewerkschaften bilden Tarifgemeinschaften oder stimmen sich auf andere Weise untereinander ab – zum Beispiel, indem sie ihre Zuständigkeiten für unterschiedliche Arbeitnehmergruppen klären. Nur wo so etwas partout nicht zustande kommt, kann künftig auf Antrag einer Tarifpartei gerichtlich festgestellt werden, welche Gewerkschaft nach dem Mehrheitsprinzip den Vorrang hat.

 

 

FAZ: Nehmen wir konkret die Deutsche Bahn: Was würde dort passieren?

 

Nahles: Es scheint offensichtlich, dass hier ein Konflikt zwischen den beiden Gewerkschaften besteht, der sich nicht ohne weiteres auflösen lässt. Dann müsste im Ernstfall für den einzelnen Betrieb ermittelt werden, wie dort die Mehrheitsverhältnisse sind.

 

 

FAZ: Mit dem Ergebnis, dass die Lokführergewerkschaft GDL von der Bühne gefegt wird und die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG ein Tarifmonopol bekommt?

 

Nahles: Nein, überhaupt nicht. In einzelnen Betrieben kann die Mehrheitsregel auch zugunsten der kleineren Gewerkschaft ausschlagen. Das ist aber für die Praxis vielleicht nicht einmal der entscheidende Punkt. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass allein das Vorhandensein der gesetzlichen Auffangregelung wieder für einen konstruktiven Einigungsdruck innerhalb der Belegschaften und zwischen den Gewerkschaften sorgen kann.

 

 

FAZ: Schränken Sie mit dem geplanten Gesetzentwurf das Streikrecht ein?

 

Nahles: Nein. Wir treffen in dem Gesetzentwurf ausdrücklich keine Regelung zu Arbeitskämpfen oder eine gesetzliche Regelung einer Friedenspflicht.

 

 

FAZ: Was hilft das Gesetz dann überhaupt gegen Streiks, wie wir sie zurzeit erleben?

 

Nahles: Wir machen kein Gesetz gegen Streiks. Das Streikrecht ist ein grundlegendes Recht, es gehört zur Demokratie wie freie Wahlen. Wenn aber künftig Arbeitsgerichte im Einzelfall einen Streik beurteilen, dann werden sie in diese Beurteilung mit einbeziehen, ob der strittige Tarifvertrag überhaupt angewendet werden könnte. Die Gerichte werden also auch schauen, ob dieser spezielle Streik vor diesem Hintergrund verhältnismäßig ist.

 

 

FAZ: Bei der Lufthansa gibt es zwischen den Gewerkschaften keinen Streit um Zuständigkeiten. Würde sich dort mit dem Gesetz überhaupt etwas ändern?

 

Nahles: In der Tat scheint es dort derzeit keine Tarifkollision zu geben, die mit der Mehrheitsregel aufzulösen wäre. Wie gesagt: Das Gesetz soll nur greifen, wo Zuständigkeitskonflikte nicht durch die Tarifparteien selbst gelöst werden.

 

 

FAZ: Für die Lufthansa wären das aber keine guten Nachrichten.

 

Nahles: Auch für die Lufthansa und die ganze Wirtschaft wird es ein Vorteil sein. Das Gesetz begünstigt friedliche Wege der Konfliktlösung und wirkt der Gefahr einer weiteren Zersplitterung, einer weiteren Spaltung von Belegschaften entgegen. Es stärkt die Sozialpartnerschaft, deren besonderen Wert wir etwa in der Krise vor fünf Jahren erfahren haben. Diese Sozialpartnerschaft hat Deutschland seit Jahrzehnten stark gemacht, auch im unternationalen Vergleich. Mit dem Gesetz knüpfen wir daran an und führen das fort.

 

 

FAZ: Verdi bei der Lufthansa und EVG bei der Bahn könnten selbst wieder für Piloten oder Lokführer streiken. Auch dann entstünde eine „Kollision“ – und die Berufsgewerkschaften würden verdrängt. Läuft es am Ende doch auf ein totales Tarifmonopol hinaus?

 

Nahles: Das sehe ich nicht. Eben weil sich auch die großen Gewerkschaften nicht sicher sein können, dass sie wirklich in jedem Betrieb eines Unternehmens in der Mehrheit sind. Wenn aber auch sie fallweise die Minderheitenrolle fürchten müssen, ist das in der Praxis nur ein weiterer Grund, sich auf konstruktive Lösungswege zu besinnen und Tarifzuständigkeiten in Verhandlungen zu klären.

 

 

FAZ: Wie sieht nun der weitere Zeitplan aus?

 

Nahles: Ich will den Gesetzentwurf am 3. Dezember dem Bundeskabinett vorlegen. Wir streben ein zügiges, aber auch sehr sorgfältiges Gesetzgebungsverfahren mit allen Fristen an. Ich denke, dass das Gesetz spätestens im Sommer kommenden Jahres in Kraft treten kann.

 

 

FAZ: Wie zuversichtlich sind Sie, dass auch die Union dabei mitmacht?

 

Nahles: Ich habe den Entwurf auf Grundlage des Koalitionsvertrags in enger Abstimmung mit Justiz- und Innenministerium und mit dem Bundeskanzleramt erarbeitet. Daher weiß ich, dass die Bundeskanzlerin das Vorhaben klar unterstützt.

 

Das Gespräch führte Dietrich Creutzburg für die Frankfurter Allgemeine Zeitung

Quelle: Internet-Nachricht der Bundesregierung

 

 

Reaktionen:

 

Marburger Bund - Warnung an die Regierung vor „offenem Verfassungsbruch“

 

Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) weist die jetzt bekannt gewordenen Überlegungen der innerministeriellen Arbeitsgruppe zur gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit entschieden zurück. „Jede dieser Überlegungen ist darauf ausgerichtet, ein Zweiklassensystem von Gewerkschaften zu etablieren. Die Arbeitgeberlobby und die Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes haben offensichtlich ganze Arbeit geleistet, um nunmehr mit Hilfe des Gesetzgebers gut organisierte und selbstbewusst auftretende Berufsgewerkschaften an den Rand drängen zu können“, sagte Rudolf Henke, 1. Vorsitzender des MB. Durch den Zwang zur Tarifeinheit greife die Regierung massiv in die grundgesetzlich geschützte Koalitionsfreiheit ein. „Es kommt einem offenen Verfassungsbruch gleich, wenn der Staat bestimmten Arbeitnehmergruppen das Recht verwehrt, unabhängig und eigenständig tarifpolitisch tätig zu sein“, so Henke.

Quelle: Internetmitteilung des MB vom 27.10.2014

 

dbb - Gesetzentwurf zur Tarifeinheit „zeugt von politischer Feigheit“

 

Der heutigen Presse ist zu entnehmen, dass der seit langem angekündigte Gesetzentwurf zur Tarifeinheit vorliegt. Der dbb Bundesvorsitzende Klaus Dauerstädt reagierte am 28.10.2014 in Berlin überrascht, dass die Bundesarbeitsministerin vor den Betroffenen zunächst die Presse informiert habe.

 

Der dbb Chef weiter: „Andrea Nahles löst mit dem Gesetzentwurf zwar ein Versprechen der Bundesregierung gegenüber den Arbeitgeberverbänden ein, verlagert jedoch zugleich alle problematischen Fragen von der Gesetzgebung auf die Rechtsprechung. Wenn man die wahren Absichten, Streikrechte zu begrenzen und Organisationsfreiheit aller Berufe zugunsten von Einheitsgewerkschaften einzuengen, hinter Formalitätsregelungen verbirgt, zeugt das von politischer Feigheit.“

 

Die Bundesregierung scheine zu hoffen, dass Arbeitsgerichte künftige Arbeitskämpfe für unverhältnismäßig und damit rechtswidrig erklären würden, wage aber nicht, solche Konsequenzen selbst im Gesetz zu verankern. Dauderstädt: Die neuen Maßeinheiten für Tarifverträge ´Betrieb` und `Mitgliederstärke` bleiben ohne klare Definition oder gar praktikables Verfahren. Auch hier kneift die Koalition vor den unerlässlichen Konkretisierungen.“

 

Entgegen allen Warnungen scheine die Große Koalition entschlossen, dieses in der vergangenen Legislaturperiode zu recht gescheiterte Projekt verabschieden zu wollen. „Sollte es dafür trotz aller Widerstände der Gewerkschaften eine Mehrheit im Bundestag geben, wird es nicht lange dauern, bis die Bundesverfassungsrichter dieses Gesetz für nichtig erklären. Auch hier nimmt die Koalition billigend in Kauf, dass wichtige politische Entscheidungen auf die Justiz verlagert werden.

Quelle: dbb newsletter Nr. 097/14 vom 28.10.2014

 

 

Bernhard Faber
Richter am Arbeitsgericht Augsburg a. D.

 

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