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Verschuldung deutscher Großstädte steigt auf Rekordniveau

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Trotz steigender Steuereinnahmen kommen die deutschen Großstädte beim Schuldenabbau nicht voran – im Gegenteil: Im vergangenen Jahr 2014 stieg ihre Gesamtverschuldung um 3,2 Prozent auf 82,8 Milliarden Euro.

Am 21.12.2015 hat die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young) Ergebnisse einer Studie veröffentlicht, die auf einer Analyse der Verschuldungssituation von Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern beruht.

Die Ergebnisse im Überblick:

  • Gesamtschulden der 72 deutschen Großstädte steigen 2014 um 3,2 Prozent auf knapp 83 Milliarden Euro
  • Drei von vier Städten mit steigenden Schulden
  • Schere zwischen armen und reichen Kommunen öffnet sich weiter


Einzelheiten:

Auf jeden Großstadtbewohner entfielen 2014 im Durchschnitt kommunale Schulden in Höhe von 4.299 Euro – im Vorjahr waren es 4.174.

Im Vergleich zum Vorjahr hat sich damit der Negativtrend deutlich verstärkt: Im Jahr 2013 war die Gesamtverschuldung nur um 0,7 Prozent gestiegen, immerhin 46 Prozent der 72 deutschen Großstädte hatten ihre Schulden reduzieren können. 2014 hingegen schafften nur noch 25 Prozent der Großstädte einen Schuldenabbau.

Zudem steigt die Zahl der Großstädte, die sehr stark verschuldet sind und eine Pro-Kopf-Verschuldung von mindestens 6.000 Euro aufweisen, kontinuierlich: 2012 waren es nur 13, 2013 schon 15, Ende 2014 sogar 16.

Besonders betroffen sind die Großstädte in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen: Die vier rheinland-pfälzischen Großstädte weisen im Schnitt eine Pro-Kopf-Verschuldung von 7.063 Euro auf, bei den 28 NRW-Städten sind es 5.081 Euro. Zum Vergleich: Die acht bayerischen Großstädte kommen auf eine Pro-Kopf-Verschuldung von 3.470 Euro, bei den sechs niedersächsischen Großstädten liegt die Verschuldung sogar nur bei 2.206 Euro je Einwohner.

„Trotz guter Konjunkturlage und immer neuer Rekorde bei den Steuereinnahmen kommen die meisten deutschen Großstädte beim Schuldenabbau nicht voran“, stellt Prof. Dr. Bernhard Lorentz, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Sector für Deutschland, die Schweiz und Österreich, fest. „Im Gegenteil: Die Mehrheit der Kommunen gerät immer tiefer in die Verschuldung, denn die strukturellen Probleme verschärfen sich. Vor allem die steigenden Sozialausgaben entwickeln sich zu einer massiven Belastung.“ Im laufenden Jahr 2015 werden die Sozialausgaben der Städte nach Einschätzung der Kämmerer um durchschnittlich fünf Prozent steigen.

Immerhin: Einige Städte konnten in den vergangenen Jahren ihre Verschuldung reduzieren – darunter auch solche mit einer hohen Pro-Kopf-Verschuldung, etwa das bayerische Ingolstadt, das die Gesamtverschuldung – also einschließlich der Eigenbetriebe und Eigengesellschaften – zwischen 2012 und 2014 um gut ein Viertel von 4,3 Milliarden auf 3,2 Milliarden Euro reduzieren konnte. Und im hessischen Offenbach am Main – mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von 8.785 Euro die am drittstärksten verschuldete Großstadt in Deutschland – gelang seit 2012 ein Schuldenabbau von immerhin 18 Prozent. Ähnlich stark – um 19 Prozent – sank die Pro-Kopf-Verschuldung in Kassel auf aktuell 4.744 Euro.

Die beiden hessischen Städte dürften dabei auch vom kommunalen Schutzschirm des Landes Hessen zur Teilentschuldung überschuldeter hessischer Gemeinden profitiert haben. In der Gesamtschau sei trotz solcher Einzelfälle aber nach wie vor keine positive Trendwende festzustellen, so Lorentz: „Die Schulden der meisten Städte steigen, und im Falle eines Konjunkturabschwungs dürfte sich dieser Schuldenanstieg noch beschleunigen.“


Drei Großstädte im Kernhaushalt schuldenfrei


Im kommunalen Kernhaushalt – also ohne Berücksichtigung der Schulden von Eigenbetrieben und kommunalen Extrahaushalten – sind aktuell drei deutsche Großstädte schuldenfrei: Dresden, Göttingen und Wolfsburg. Stuttgart ist derzeit auf dem besten Weg zu einer Null-Verschuldung des Kernhaushalts: Die baden-württembergische Landeshauptstadt konnte die Verschuldung des Kernhaushalts in den vergangenen zwei Jahren um etwa ein Drittel von 36 Millionen auf aktuell 24 Millionen Euro reduzieren. Allerdings weisen im Fall Stuttgarts Eigengesellschaften eine relativ hohe Verschuldung auf, so dass die Gesamtverschuldung der Stadt derzeit bei 3,0 Milliarden Euro liegt. Ähnlich ist die Situation in München: Die bayerische Landeshauptstadt ist im Kernhaushalt „nur“ mit 907 Millionen Euro verschuldet – ein Drittel weniger als Ende 2012 –, Eigenbetriebe und Eigengesellschaften weisen aber einen relativ hohen Schuldenstand von 3,6 Milliarden Euro auf, was eine Gesamtverschuldung von 4,5 Milliarden Euro ergibt.

Um eine Vergleichbarkeit zwischen den Städten herzustellen, müssen bei der Schuldenanalyse neben den Kernhaushalten auch Extrahaushalte und Eigenbetriebe herangezogen werden, betont Lorentz: „Die Kommunen erbringen eine Vielzahl von öffentlichen Aufgaben – aber immer seltener im jeweiligen Kernhaushalt. Zunehmend werden öffentliche Aufgaben durch ausgelagerte Einheiten wie beispielsweise Eigenbetriebe oder öffentliche Unternehmen in privater Rechtsform erbracht. Dadurch hat sich inzwischen eine erhebliche öffentliche Verschuldung außerhalb der Kernhaushalte aufgebaut.“ Bei der Interpretation der Zahlen sei allerdings zu berücksichtigen, dass in solchen Fällen den Schulden erhebliche Vermögenswerte gegenüberstehen können.


Arm und Reich driften weiter auseinander


Gegen den Trend der Vorjahre stieg die Verschuldung in Städten mit hohem und sehr hohem Schuldenstand – also mit einer Verschuldung von mehr als 4.000 Euro je Einwohner – in den vergangenen zwei Jahren nur um ein Prozent, was zwar unter dem Durchschnitt liegt, jedoch ein Ergebnis der bereits angesprochenen Schutzschirme für besonders hoch verschuldete Kommunen sein dürfte. Allerdings verzeichneten immerhin 64 Prozent dieser Kommunen einen Schuldenanstieg. In der Gruppe der gering verschuldeten Kommunen mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von höchstens 2.500 Euro stiegen die Schulden hingegen „nur“ bei 55 Prozent der Städte.

Sofern es nicht weitere massive Entschuldungsmaßnahmen oder sonstige finanzielle Hilfeleistungen für besonders betroffene Kommunen gibt, wird sich die Schere zwischen Arm und Reich in den kommenden Jahren wieder weiter öffnen, erwartet Lorentz: „Hoch verschuldete Städte in strukturschwachen Regionen können kaum von der guten Konjunktur und den steigenden Steuereinnahmen profitieren. Hier sind die Kämmerer Verwalter des Mangels und vielfach auch der Perspektivlosigkeit.“ Wohlhabende Städte hingegen hätten den nötigen finanziellen Gestaltungsspielraum und könnten mit attraktiven Angeboten um Unternehmensansiedlungen und Zuzügler werben.

Obwohl diese Entwicklung seit Jahren anhalte und sich die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vergrößere, habe die Politik noch kein Gegenrezept gefunden. Das zeige der aktuelle Schuldenanstieg deutlich, sagt Lorentz. „Die hoch verschuldeten Städte benötigen dringend Hilfe bei der Haushaltssanierung, sonst ist die kommunale Selbstverwaltung in Gefahr.“ Allerdings müssten auch die Kommunen einen Beitrag leisten – denn gerade in der interkommunalen Zusammenarbeit bestünden vielfach noch erhebliche Potenziale zur Haushaltsverbesserung. Zudem würden bestehende verwaltungsinterne Organisationsstrukturen und Abläufe zu selten hinterfragt und auf mögliche Einsparpotenziale überprüft. Vor allem aber könnten die kommunalen Unternehmen vielfach deutlich mehr Geld an die Rathäuser überweisen, wenn sie besser aufgestellt wären.


Neue finanzielle Belastungen für Städte


Aktuell führt auch die Unterbringung und Betreuung der zahlreichen Flüchtlinge zu erheblichen Kosten, die den Kommunen nur teilweise ersetzt werden. Angesichts weiter steigender Flüchtlingszahlen dürfte auch dies die Verschuldung einiger stark betroffener Städte weiter in die Höhe treiben.

Zudem profitierten die Städte derzeit noch erheblich von der Niedrigzinsphase, die aber nicht ewig andauern werde, so Lorentz: „Das niedrige Zinsniveau sorgt bei den Kommunen für eine gewisse Entlastung. Allerdings wird sich das Blatt wenden, wenn die Zinsen wieder steigen. Dann drohen den Städten sehr schnell erhebliche Probleme, weil inzwischen ein großer Teil der Schulden aus kurzfristigen Liquiditätskrediten besteht.“


Quelle: Internetartikel von Ernst & Young vom 21.12.2015


Bernhard Faber
Richter am Arbeitsgericht Augsburg a. D.

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