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BAG-Entscheidung zu Überstundenzuschlägen für Teilzeitbeschäftigte

Darum geht es: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 5.12.2024 (8 AZR 370/20) geurteilt, dass eine tarifvertragliche Regelung, die für Überstundenzuschläge das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten voraussetzt, teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer wegen der Teilzeit schlechter behandelt als vergleichbare Vollzeitbeschäftigte. Eine solche Regelung verstößt gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), wenn kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt. Der Beitrag ordnet das Urteil für den öffentlichen Dienst ein.

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Grundsatz der unterschiedlichen Regelungen in TVöD und TV-L

Der Tarifverträge für den öffentlichen Dienst von Bund, Ländern und Kommunen enthalten insbesondere in ihren jeweiligen §§ 7 und 8 (TVöD/TV-L) u.a. unterschiedliche Regelungen für Mehrarbeit und Überstunden. Mehrarbeit sind demnach die Arbeitsstunden, die Teilzeitbeschäftigte über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit hinaus bis zur regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten (§ 6 Abs. 1 Satz 1) leisten. Überstunden sind hingegen – in einem ersten Prüfungsschritt – die auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden, die über die regelmäßige Arbeitszeit von Vollbeschäftigten (§ 6 Abs. 1 Satz 1) hinausgehen (auf die weiteren Regelungen zu Überstunden soll erst im Weiteren eingegangen werden). Wenn Überstunden gemäß § 7 Abs. 7 und 8 TVöD (ungeplant) geleistet wurden, steht ein Überstundenzuschlag zu. Für geleistete Stunden, die nicht über die Arbeitszeit von Vollbeschäftigten hinausgehen, werden keine „Überstundenzuschläge“ gewährt. Mit der Regelungssystematik von Mehrarbeit und Überstunden haben sich die Gerichte immer wieder befasst, sowohl für den Bereich des TVöD/TV-L als auch für andere Tarifwerke.

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Entscheidungen des BAG zum TVöD von 2017

Eine für den TVöD einschneidende Entscheidung der BAG erging am 23.3.2017. Die vom BAG in dieser Entscheidung (6 AZR 161/16) vertretene Position führte im Ergebnis dazu, dass vollschichtig eingesetzte Teilzeitbeschäftigte „Überstundenzuschläge“ auch für die (ungeplanten) Überstunden beanspruchen können, die zwar über ihre vertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit hinausgehen, aber unter der Wochenarbeitszeit einer Vollzeitarbeitskraft liegen. Das BAG hatte in seinem Urteil – entgegen der ständigen Rechtsprechung – die Auffassung vertreten, dass eine unmittelbare Ungleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter nach § 4 Abs. 1 TzBfG gegenüber Vollbeschäftigten vorläge, wenn für den Anspruch auf Überstundenzuschläge bei einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer die Voraussetzung der Überschreitung der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten in § 7 Abs. 7 TVöD herangezogen würde.

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Entscheidung des BAG zum TVöD von 2021

Mit seiner Entscheidung vom 15.10.2021 (6 AZR 253/19) unternahm das BAG eine neuerliche Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung. Das BAG führte dabei aus, dass bei einem solchen differenzierten und differenzierenden Entgeltsystem wie das des TVöD die Frage, ob Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollbeschäftigten ungleich behandelt werden, nicht durch den bloßen Blick auf den den Teilzeitbeschäftigten nicht gezahlten Überstundenzuschlag beantwortet werden könne. Das BAG führte sodann explizit aus, dass es für derartige Entgeltsysteme an der bisherigen Rechtsprechung (u.a. auch in 6 AZR 161/16) nicht festhalte.

Man möchte meinen, dass mit dieser differenziert hergeleiteten Entscheidung Klarheit herrscht, dass eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten auf Basis des TVöD rechtmäßig ist. Aber ist dem immer noch so? Schließlich hat sich in den vergangenen Monaten der EuGH mehrfach mit dieser Thematik befasst und vor Wochenfrist wiederum das BAG.

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Entscheidung des BAG vom 5.12.2024

Das BAG hat mit Urteil vom 5.12.2024 (8 AZR 370/20) entschieden, dass eine tarifvertragliche Regelung, die unabhängig von der individuellen Arbeitszeit für Überstundenzuschläge das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten voraussetzt, teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer wegen der Teilzeit schlechter als vergleichbare Vollzeitbeschäftigte behandelt. Nach dem BAG verstößt eine solche Regelung sowohl gegen das TzBfG als auch gegen das AGG, wenn kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt. Die Klägerin war beim Beklagten, dem KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation eV, in Teilzeit mit einem Umfang von 40 Prozent eines Vollzeitbeschäftigten tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme der zwischen dem Beklagten und der Gewerkschaft ver.di geschlossene Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung. Nach § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV werden Überstunden mit einem Zuschlag von 30 Prozent vergütet, die über die monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden können. Obwohl die Klägerin über ihrer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit gearbeitet hatte, gewährte der Beklagte der Klägerin für diese Zeiten weder Überstundenzuschläge noch eine Zeitgutschrift. Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 5.12.2024 der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift und darüber hinaus eine AGG-Entschädigung von 250,00 Euro zugesprochen. Auf Grundlage der Vorgaben des EuGH (Urteil in derselben Sache vom 29.7.2024 (C-184/22 und C-185/22), hatte das BAG davon auszugehen, dass die Regelung des betroffenen MTV, die Überstundenzuschläge erst bei Überschreiten der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten vorsieht, insoweit wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten nach § 4 Abs. 1 TzBfG unwirksam sei, als eine solche Regelung bei Teilzeitbeschäftigung keine der Teilzeitquote entsprechende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags vorsehe. Es sei kein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung ersichtlich. Die Unwirksamkeit der tarifvertraglichen Überstundenzuschlagsregelung führe zu einem Anspruch der Klägerin auf die eingeklagte Zeitgutschrift.

Folgen der Entscheidung des BAG vom 5.12.2024

Bedeutet das, dass nun auch im öffentlichen Dienst für Arbeitsstunden, die Teilzeitbeschäftigte unterhalb der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten leisten, „Überstundenzuschläge“ gezahlt werden müssen? Das hier skizzierte Urteil des BAG vom 5.12.2024 ist nicht zum TVöD oder zum TV-L ergangen und damit weder auf die §§ 7 und 8 TVöD/TV-L noch die §§ 9 und 10 TV-V übertragbar. Zwar liegt zu dem Urteil des BAG vom 5.12.2024 bisher nur die Pressemitteilung des BAG vorliegt, jedoch kann eine erste Beurteilung vorgenommen werden.  Hierzu lohnt ein vertiefter Blick in die Rechtsprechung des BAG zum TVöD.

Für das Regelungsregime in §§ 7 und 8 TVöD/TV-L und §§ 9 und 10 TV-V gilt nach wie vor die oben dargestellte Rechtsprechung des BAG, wonach die Regelung des § 7 Abs. 6 TVöD nach der Rechtsprechung des BAG mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Der Leitsatz 2 der BAG-Entscheidung 15.10.2021 (6 AZR 253/19) lautet: „Leisten Teilzeitbeschäftigte Mehrarbeit i. S. d. § 7 Abs. 6 TVöD-K, sind diese Arbeitsstunden nicht nach § 8 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Buchst. a TVöD-K zuschlagspflichtig. Dies stellt weder eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 GG noch eine Diskriminierung wegen der Teilzeit oder des Geschlechts dar“. In Rn. 37 führte das BAG aus: „Ein Gleichheitsverstoß i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG hinsichtlich der Behandlung von Teilzeit- und Vollbeschäftigten bei der Erbringung ungeplanter, über die jeweilige vertragliche Arbeitszeit hinausgehender Arbeitsleistungen scheidet aus. Die Tarifvertragsparteien haben den nach ihrer Einschätzung bezüglich des Entstehens und des Ausgleichs von Mehrarbeit und Überstunden bestehenden unterschiedlichen Interessenlagen dieser beiden Gruppen durch diese Interessen berücksichtigende unterschiedliche Regelungen Rechnung getragen. Danach befinden sich die Gruppen der Teilzeitbeschäftigten und die der Vollbeschäftigten bezogen auf das Erbringen über die jeweilige vertragliche Arbeitszeit hinausgehender, ungeplanter Arbeitsleistungen im Tarifsystem des TVöD-K nicht mehr in einer vergleichbaren Situation. Diese Differenzierung ist vom Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien, der Teil der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie (hierzu zuletzt BAG 22.6.2021 – 1 ABR 28/20 – Rn. 40 m. w. N.) ist, gedeckt und damit verfassungskonform.“ In der Gesamtschau der „äußerst ausdifferenzierten tariflichen Regelungen haben die Tarifvertragsparteien des TVöD-K damit für das Entstehen und den Ausgleich von Mehrarbeit Regelungen gefunden, die sich von denen für das Entstehen und den Ausgleich von Überstunden grundlegend unterscheiden. Diese Unterschiedlichkeit führt dazu, dass es sich nicht mehr um vergleichbare Sachverhalte i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG handelt (ebenda, Rn. 45)“.

Grundsätzlich ist die Entscheidung des BAG vom 5.12.2024 also nicht auf die entsprechenden Regelungen in §§ 7 und 8 TVöD/TV-L und §§ 9 und 10 TV-V übertragbar. Vor dem Hintergrund der differenzierenden Ausführungen des BAG vom 15.10.2021 drängt es sich zumindest nicht auf, dass das BAG seine Rechtsprechung zum System von Mehrarbeit und Überstunden im TVöD neuerlich ändern müsste.

Dr. Wolfgang Spree
Geschäftsführer der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA)

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