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Nachgewährung von Urlaub bei Quarantäne

Vor dem 17.9.2022 führte Quarantäne nicht zu einer Nacherfüllungspflicht von Urlaub

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BAG, Urteil vom 28.5.2024 – 9 AZR 76/22

Kernaussage:

Bewilligt der Arbeitgeber einem Beschäftigten antragsgemäß Urlaub und zahlt an ihn Urlaubsentgelt, erfüllt er damit den Urlaubsanspruch. Das galt nach der bis zum 16.9.2022 geltenden Rechtslage auch dann, wenn die zuständige Behörde für den Urlaubszeitraum die Absonderung des selbst nicht erkrankten Beschäftigten in häusliche Quarantäne anordnete. Seit dem 17.9.2022 wird eine Pflicht zur Nachgewährung des Urlaubs jedoch im Infektionsschutzgesetz geregelt.

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Der Fall:

Auf Antrag des Beschäftigten bewilligte ihm der Arbeitgeber Erholungsurlaub vom 12. bis 21.10.2020. Nach Antritt des Urlaubs ordnete die Stadt die Absonderung des Beschäftigten in häusliche Quarantäne für die gesamte Zeit des Erholungsurlaubs an, weil der Beschäftigte zu einer mit dem Coronavirus infizierten Person Kontakt hatte. In diesem Zeitraum durfte der Beschäftigte seine Wohnung nicht verlassen und musste den Empfang von Besuchen sowie den Kontakt zu Mitbewohnern und Angehörigen auf das Notwendigste beschränken. Während der verhängten Quarantäne war er nicht arbeitsunfähig. Der Arbeitgeber zahlte für den Urlaubszeitraum Urlaubsentgelt.

Der Beschäftigte forderte vom Arbeitgeber die Nachgewährung  von acht Urlaubstagen für den Zeitraum, in dem sich Urlaub und Quarantäne überschnitten. Er vertrat die Auffassung, infolge der nachträglichen Quarantäneanordnung sei hinsichtlich des Urlaubs keine Erfüllung eingetreten. Es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Urlaub selbstbestimmt zu gestalten. Die Situation einer Quarantäneanordnung sei der einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar. Der Arbeitgeber müsse ihm deshalb den Urlaub entsprechend § 9 BUrlG wieder gutschreiben.

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Die Entscheidung:

Das BAG gab dem Arbeitgeber Recht. Der Arbeitgeber schulde bezahlte Freistellung zum Zwecke der Erholung und Entspannung, jedoch keinen bestimmten „Urlaubserfolg“. Nach Urlaubsbewilligung eintretende und vom Arbeitgeber nicht unmittelbar zu beeinflussende Umstände seien regelmäßig dem persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen und fielen grundsätzlich in seine Risikosphäre. Der Arbeitgeber schulde als Leistungserfolg allein die bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht. Er habe jedoch nicht für eine bestimmte „Qualität“ des Freistellungszeitraums einzustehen. Deshalb habe der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch des Beschäftigten mit der bezahlten Arbeitsbefreiung in der Zeit vom 12. bis 21.10.2020 trotz Quarantäne erfüllt.

Der Urlaub müsse dem Beschäftigten auch nicht nachgewährt werden. Urlaubsstörende Umstände stünden der Erfüllung des Urlaubsanspruchs nur entgegen, wenn der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien das Urlaubsrisiko durch eine entsprechende Regelung explizit dem Arbeitgeber zugewiesen hätten. Einen solchen Fall regle einerseits § 9 BUrlG. Danach dürfen die durch ärztliches Attest nachgewiesenen Tage einer Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden. Da der Beschäftigte hier aber nicht selbst mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert gewesen sei, liege keine Krankheit i. S. von § 9 BUrlG vor. Auch eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG scheide aus, da es sowohl an einer planwidrigen Regelungslücke als auch an der erforderlichen Vergleichbarkeit der Regelungsgegenstände fehle.

Andererseits habe der Gesetzgeber das Infektionsschutzgesetz erst mit Wirkung zum 17.9.2022 geändert. Seit dem bestimme § 59 Abs. 1 IfSG, dass unter den dort genannten Voraussetzungen Tage der Absonderung nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden. Die Vorschrift finde jedoch auf den Zeitraum vom 12. bis zum 21.10.2020 keine (rückwirkende) Anwendung.

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Das bedeutet die Entscheidung für Sie:

Das BAG stellt nochmals klar, dass Erholungsurlaub bereits durch die Genehmigung des Urlaubs und die Zahlung des Urlaubsentgelts erfüllt wird. Treten danach Umstände ein, die den Urlaub stören, führen diese Umstände nur dann zu einer Nachgewährungspflicht, wenn eine gesetzliche (oder tarifliche) Regelung den Arbeitgeber hierzu verpflichtet.

Eine solche Regelung findet sich für den Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in § 9 BUrlG. Danach werden die durch ärztliches Attest nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Urlaub angerechnet, wenn ein Arbeitnehmer während des Urlaubs erkrankt. Urlaub und Krankheit schließen sich aus. Das gilt nicht für eine behördlich angeordnete Quarantäne eines nur krankheitsverdächtigen Beschäftigten (z. B. einer Kontaktperson oder eines Rückkehrers aus einem Hochrisikogebiet). Hier liegt keine Arbeitsunfähigkeit vor.

Allerdings hat der Gesetzgeber den Fall der behördlichen Absonderung während des Erholungsurlaubs zwischenzeitlich  im Infektionsschutzgesetz geregelt. Seit Inkrafttreten der Änderung am 17.9.2022 sind – bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 IfSG – die Tage der Absonderung nicht auf den Erholungsurlaub anzurechnen, sondern nachzugewähren.

Weitere Informationen finden Sie bei Breier/Dassau TVöD PLUS § 26 TVöD Erl. 5.13 bzw. Breier/Dassau TV-L PLUS § 26 TV-L Erl. 5.13.

Diana Hecht, LL.M. oec., Rechtsanwältin

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