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Nachträgliche Korrektur eines Arbeitszeugnisses

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BAG vom 06.06.2023 - 9 AZR 272/22 – juris

Ob der Anwendungsbereich des arbeitsrechtlichen Maßregelungsverbots auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eröffnet bleibt und welche Rechte dem Arbeitnehmer hinsichtlich des Arbeitszeugnisses zustehen, wurde vom BAG in einem aktuellen Urteil entschieden.

Redaktionelle Orientierungssätze

  1. Ein Arbeitnehmer kann weder aus § 109 Abs 1 S 3 GewO noch aus § 241 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Aufnahme einer Dankes- und Wunschformel in das Arbeitszeugnis ableiten.

  2. Die Erteilung eines Arbeitszeugnisses, das eine Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel enthält, ist eine freiwillige Arbeitgeberleistung.

  3. Das arbeitsrechtliche Maßregelungsverbot schützt den Arbeitnehmer gegen eine Benachteiligung auch bei freiwillig gewährten Leistungen.

  4. Der Arbeitnehmer soll frei von Angst vor einer Maßregelung entscheiden dürfen, ob er die ihm nach dem Zeugnisrecht zustehenden Rechte in Anspruch nimmt oder davon absieht.

  5. Die Streichung einer Dankes- und Wunschformel durch den Arbeitgeber in der Folge von wiederholt vorgetragenen und in der Sache berechtigten Korrekturwünschen des Arbeitnehmers stellt eine unzulässige Maßregelung dar.

Der Fall

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte die beklagte Arbeitgeberin der Klägerin ein Zeugnis mit folgenden Schlusssätzen erteilt: „Wir danken ihr für ihre wertvolle Mitarbeit und bedauern es, sie als Mitarbeiterin zu verlieren. Für ihren weiteren Berufs- und Lebensweg wünschen wir ihr alles Gute und auch weiterhin viel Erfolg.“

Im Folgenden verlangte die Klägerin mehrfach Verbesserungen ihrer Bewertungen. In dem zuletzt erteilten – dritten – Zeugnis hob die Beklagte die Bewertung in dem eingeforderten Umfang an, strich jedoch die Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel; die Klägerin verlangte deren Wiederaufnahme. Das ArbG und das LAG gaben der Klage statt. 

Die Entscheidung

Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht stellt unter Verweis auf seine frühere Rechtsprechung klar, dass ein Arbeitnehmer aus § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO, der den Arbeitgeber zu einer Beurteilung der Leistung und des Verhaltens des Arbeitnehmers verpflichtet, keinen Anspruch auf eine Dankes- und Wunschformel ableiten kann. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen es nicht, die Regelung des § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO über ihren Wortlaut hinaus auszulegen. Auch das in § 241 Abs. 2 BGB verankerte Rücksichtnahmegebot verpflichte den Arbeitgeber nicht, dem Arbeitnehmer über den von ihm nach § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO geschuldeten Zeugnisinhalt hinaus Dank zu bezeugen und Wünsche für dessen berufliche Zukunft zu formulieren. Die Regelungen zum Inhalt eines qualifizierten Arbeitszeugnisses in § 109 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GewO sind abschließend.

Gleichwohl kann sich die Streichung der – ohne rechtliche Verpflichtung in das Zeugnis aufgenommenen – Dankes- und Wunschformel als Akt unzulässiger Maßregelung nach § 612a BGB darstellen. Der Anwendungsbereich des Maßregelungsverbots ist nicht auf das laufende Arbeitsverhältnis beschränkt, sondern auch nach dessen Beendigung eröffnet, insbesondere im Bereich des Zeugnisrechts.

Die Klägerin hat vorliegend in zulässiger Weise darauf gedrungen, ihre Bewertung zu verbessern. Ihre berechtigte Remonstration darf nicht zum Anlass genommen werden, das Arbeitszeugnis zu ihrem Nachteil zu verändern. § 612a BGB schützt den Arbeitnehmer gegen eine Benachteiligung seitens des Arbeitgebers. Eine Benachteiligung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer eine Einbuße erleidet, sich also seine Situation nach der Vereinbarung oder Maßnahme durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu der Situation, wie sie zuvor bestand, verschlechtert hat. Der Normzweck der Vorschrift, die Willensfreiheit des Arbeitnehmers bei der Ausübung der ihm zustehenden Rechte gegenüber dem Arbeitgeber zu schützen, kommt auch im Bereich freiwilliger Leistungen zum Tragen, wie das Bundesarbeitsgericht wiederholt entschieden hat. Diesen freiwilligen Leistungen ist die Erteilung eines Arbeitszeugnisses, das eine Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel enthält, gleichzustellen; ein Zeugnis wird durch solche Schlusssätze aufgewertet.

Den unmittelbaren Zusammenhang der Korrespondenz mit der Änderung des Zeugnistextes hat das Landesarbeitsgericht aus revisionsrechtlicher Sicht rechtsfehlerfrei zum Anlass genommen, den notwendigen Kausalzusammenhang zwischen Rechtsausübung der Klägerin und Maßregelung seitens der Beklagten zu bejahen. Sachliche Gründe, die ein Abrücken von der ursprünglich im Zeugnis aufgenommenen Dankes- und Wunschformel (im Nachhinein) hätten rechtfertigen können, waren von der Beklagten weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Was bedeutet diese Entscheidung?

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts überrascht nicht; an der klaren Aussage früherer Entscheidungen wird festgehalten, wonach kein Anspruch auf eine Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel besteht. Wird eine solche Formel allerdings freiwillig in das Zeugnis aufgenommen, bindet das den Arbeitgeber, es sei denn später treten sachliche Gründe zutage, die eine Entfernung angemessen erscheinen lassen. Keinesfalls darf ein Arbeitgeber auf berechtigte Korrekturwünsche des Arbeitnehmers mit grundlosen Verschlechterungen reagieren.

Weitere Kommentierungen zu diesem Thema finden Sie im TVöD PLUS, Breier/Dassau TVöD-Kommentar, Erl. zu § 35.

Annette Salomon-Hengst
Referatsleiterin, Ministerium des Innern und für Kommunales, Land Brandenburg

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