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Tariflicher Mehrurlaub und Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers

Anders als im Geltungsbereich von TVöD und TV-L verfällt der tarifvertragliche Mehrurlaub nach dem Manteltarifvertrag für die chemische Industrie (MTV Chemie) auch dann mit Ablauf des Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten verletzt hat. Dies hat das BAG mit Urteil vom 25.7.2023 (9 AZR 285/2) festgestellt. Im Anwendungsbereich der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes bleibt es aber dabei: Ohne Aufklärung der Beschäftigten kein Verfall!

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Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.7.2023 – 9 AZR 285/22

Kernaussage:

Anders als im Geltungsbereich von TVöD und TV-L verfällt der tarifvertragliche Mehrurlaub nach dem Manteltarifvertrag für die chemische Industrie (MTV Chemie) auch dann mit Ablauf des Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten verletzt hat. § 12 Abschn. 1 Nr. 11 Satz 1 und 2 MTV Chemie sieht eine entsprechende vom Gesetzesrecht abweichende Regelung ausdrückliche vor.

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Der Fall:

In dem Rechtsstreit ging es um tarifliche Urlaubsansprüche eines schwerbehinderten Chemiearbeiters aus dem Urlaubsjahr 2020. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die chemische Industrie vom 24.6.1992 in der Fassung vom 22.11.2019 (MTV Chemie) Anwendung. In § 12 Abschn. 1 Nr. 11 enthält dieser Tarifvertrag folgende Regelung zur Urlaubsübertragung und zum Verfall: „Der Urlaub ist spätestens bis 31. März des folgenden Kalenderjahrs zu gewähren. Der Urlaubsanspruch erlischt, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist.“

Der schwerbehinderte Beschäftigte war vom 10.1.2020 bis 29.10.2021 durchgehend arbeitsunfähig. Der Arbeitgeber übertrug den noch offenen gesetzlichen Mindesturlaub und den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen aus dem Jahr 2020 und berief sich gleichzeitig darauf, dass der über den gesetzlichen Urlaub hinausgehende Tarifurlaub i. H. v. 10 Tagen mit Ablauf des Übertragungszeitraums verfallen sei.

Dagegen wandte sich der Beschäftigte und klagte auf Feststellung, dass ihm aus dem Jahr 2020 noch tariflicher Mehrurlaub im Umfang von zehn Urlaubstagen zustehe. Er unterlag in allen drei Instanzen.

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Die Entscheidung des Gerichts:

Das BAG gab dem Arbeitgeber Recht und stellte fest, dass der tarifliche Mehrurlaub von 10 Tagen aus dem Jahr 2020 verfallen ist. Dabei – so stellte das BAG heraus – komme es (ausnahmsweise) nicht darauf an, ob der Arbeitgeber vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit seine Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt habe.

Zwar können gesetzliche Urlaubsansprüche bei einer Verletzung der Mitwirkungsobliegenheiten nicht verfallen (auch nicht im Fall einer langandauernder Erkrankung mit Ablauf des 15monatigen Übertragungszeitraums), wenn ein Beschäftigter – wie hier – zu Beginn des Urlaubsjahrs noch arbeitsfähig war und seinen Urlaub bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit hätte einbringen können. Diese Grundsätze gelten im Anwendungsbereich des Manteltarifvertrags für die chemische Industrie vom 24.6.1992 jedoch (ausnahmsweise) nicht für den tariflichen Mehrurlaub.

Nach dem Wortlaut von § 12 Abschn. 1 Nr. 11 MTV Chemie erlischt der Urlaubsanspruch am 31. März des folgenden Kalenderjahrs, sofern er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist. Es obliegt danach nicht dem Arbeitgeber, sondern dem Arbeitnehmer, hinsichtlich des tariflichen Mehrurlaubsanspruchs initiativ zu werden. Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien komme es nicht auf einen Hinweis oder eine Aufforderung des Arbeitgebers zur Urlaubseinbringung an. Was den tariflichen Mehrurlaub anbelangt, hätten die Tarifvertragsparteien in § 12 Abschn. 1 Nr. 11 MTV Chemie eine Abweichung von § 7 Abs. 3 Satz 3 BurlG geregelt und dem Beschäftigten die Initiativlast zur Einbringung des Urlaubs zugewiesen. Deshalb konnte der tarifvertragliche Mehrurlaub hier unabhängig davon verfallen, ob der Arbeitgeber seine Beschäftigten zu Beginn des Kalenderjahrs auf die Einbringung und der Verfall des Urlaubs hingewiesen oder seine Mitwirkungsobliegenheiten verletzt hat.

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Das bedeutet die Entscheidung für Sie:

Die Entscheidung darf nicht zu der Annahme verleiten, dass nun auch im Geltungsbereich von TVöD und TV-L tarifliche Mehrurlaubsansprüche verfallen können, auch wenn der Arbeitgeber es versäumt hat, seine Mitwirkungsobliegenheiten zu erfüllen. Wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten verletzt hat, ist der Urlaub nicht auf das Kalenderjahr bzw. den Übertragungszeitraum befristet. Ein Verfall kann in diesem Fall nicht eintreten. Dies gilt nach Auffassung des BAG nicht nur für den gesetzlichen Mindesturlaub und den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen, sondern auch für den tariflichen Mehrurlaub nach TVöD und TV-L.

Rechtsanwältin Diana Hecht, LL.M. oec.

Weiterlesen für mehr Informationen? Den ganzen Beitrag finden Sie im Breier/Dassau-TVöD-Kommentar.

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