rehm-verlag   Online-Produkte öffnen

Newsübersicht < Newsbeitrag

Benachteiligung im Bewerbungsverfahren

Das BAG musste sich zuletzt mit der Frage beschäftigen, ob und in welchem Umfang der Arbeitgebende verpflichtet ist Bewerber* innen einen Ersatztermin für ein Vorstellungsgespräch anzubieten.

Jetzt bewerten!

Urteil des BAG 23.11.2023 – 8 AZR 164/22

Sponer † / Steinherr † / Donath / Kapitza † / Wollensak

TVöD/TV-L PRO

Ihr Tarifrechtsexperte mit Kommentar, Rechtsprechung, Fachthemen, Praxisfällen, Arbeitshilfen und Webinaren

Vierteljahrespreis‎ 627,00 €
Online-Produkt

Leitsatz:

Die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung schwerbehinderter Menschen zu einem Vorstellungsgespräch nach § 165 Satz 3 SGB IX beinhaltet auch das Erfordernis einen Ersatztermin anzubieten, wenn der sich bewerbende schwerbehinderte Mensch seine Verhinderung vor der Durchführung des vorgesehenen Termins unter Angabe eines hinreichend gewichtigen Grundes mitteilt und dem Arbeitgeber die Durchführung eines Ersatztermins zumutbar ist.

18469-HJR-Website2023-04-RZ-Newsletter.webp

Beste Antworten.

Newsletter Arbeits- und Tarifrecht

Regelmäßig erscheinender Newsletter zu den Neuigkeiten aus den Bereichen Arbeitsrecht und Tarifrecht des öffentlichen Dienstes sowie Empfehlungen zu neuen Produkten, Webinaren und Quizzen.

Orientierungssätze:

  1. Der Begriff des Geschlechts in § 1 AGG bezieht sich auf die biologische Zuordnung zu einer Geschlechtsgruppe und erfasst auch die geschlechtliche Identität von Menschen, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind. Damit werden intersexuelle, zweigeschlechtliche bzw. intergeschlechtliche Menschen vor geschlechtsbezogenen Benachteiligungen geschützt.

  2. Aus der Verwendung des Gendersterns bei der Stellenausschreibung kann nicht geschlossen werden, dass nicht eingestellte zweigeschlechtliche Menschen im Auswahlverfahren wegen ihres Geschlechts benachteiligt wurden.

Bloggerbilder_Hoffmann-Schmid_Stoerer_min.png

Blog Arbeits- Tarif- und Personalvertretungrecht

Prof. Dr. Boris Hoffmann und Dr. Erik Schmid

Unsere Experten bereiten für Sie Informatives zu aktuellen Fällen anschaulich auf, schildern den Sachverhalt, beleuchten die Entscheidung und liefern ein Fazit inkl. Praxistipp für Ihre tägliche Arbeit.

Der Fall:

Die schwerbehinderte klagende Partei wurde zweigeschlechtlich geboren und bezeichnet sich als Hermaphrodit. Mit E-Mail vom 16. September 2019 bewarb sie sich unter Angabe der Schwerbehinderung auf eine Stellenausschreibung der beklagten Stadt, mit der diese für ihre Ausländerbehörde „Fallmanager*innen im Aufenthaltsrecht“ suchte. Im Rahmen der Bewerbungsmail bat die klagende Partei darum, im Auswahlverfahren die Anrede „Sehr geehrte* Herm (Abkürzung für Hermaphrobit) F zu verwenden.

Daraufhin lud die Beklagte die klagende Partei mit E-Mail vom 4.11.2019 unter Verwendung der Anrede „Sehr geehrte* Frau/Herr F“ zu einem Vorstellungsgespräch am 18. November 2019, um 12:30 Uhr in den Räumen der Beklagten ein. Am 6. November 2019 teilte die klagende Partei per E-Mail mit, dass sie am Montag, den 18. November 2019, „schon einen anderen Termin in Brandenburg“ habe, weshalb sie um einen Ersatztermin bitte.

Da die Beklagte im Jahr 2019 insgesamt 202 Stellenbesetzungs- und Auswahlverfahren durchführte, lag die Wartezeit für terminierte Vorstellungsgespräche unter Teilnahme der Personalverwaltung, der Leitung des jeweiligen Fachdienstes, des Personalrats, der Gleichstellungsbeauftragten und der Schwerbehindertenvertretung in der zweiten Jahreshälfte 2019 bei ca. sieben Monaten.

Dementsprechend wies die Beklagte mit E-Mail vom 7. November unter der Anrede „Sehr geehrte Herrn F“ darauf hin, dass ein Ersatztermin nicht angeboten werden könnte, da das Auswahlverfahren nicht weiter verzögert werden sollte. Denn ein Zusammentreffen der Auswahlkommission sei aufgrund der Vielzahl der Termine zeitnah nicht möglich.

Zum Vorstellungsgespräch am 7. November erschien die klagende Partei nicht. Nachdem sie von der Beklagten im Nachgang keine offizielle Absage erhalten hatte, erhob die klagende Partei fristgerecht Klage beim zuständigen Arbeitsgericht Gießen. Hiermit forderte Sie unter Bezugnahme auf ihre Nichteinladung eine Entschädigung in einer Höhe von 5.000 Euro.

rehm-Campus_Stoerer-Bild_Bildschirm.png

Für mehr Wissen.

Fortbildungen im Arbeits- und Tarifrecht

Profitieren Sie von unseren neuen informativen und praxisorientierten eLearning-Fortbildungen im rehm Campus. Lernen Sie zeitlich flexibel und ortsunabhängig. Erleben Sie Fortbildung neu!

Die Entscheidung:

Die Klage hatte in allen drei Instanzen keinen Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht begründet die Zurückweisung der Revision im Wesentlichen wie folgt:

1. Pflicht zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch
Nach § 165 Satz 1 SGB IX melden die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit u. a. frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze. Nach § 165 Satz 3 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die sich auf einen entsprechenden Arbeitsplatz beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Nach § 165 Satz 4 SGB IX ist eine Einladung entbehrlich, wenn der Bewerberin*dem Bewerber die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.

2. Notwendigkeit eines Ersatztermins
Nach der Auffassung des 8. Senats folge aus der Pflicht des Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, auch die Pflicht, bei Verhinderung einen entsprechenden Ersatztermin anzubieten. Dies setze allerdings zweierlei voraus:

a) Der schwerbehinderte Mensch müsse seine Verhinderung vor der Durchführung des Termins unter Angabe eines hinreichend gewichtigen Grundes mitgeteilt haben und

b) es müsse dem Arbeitgeber bei Vornahme einer Gesamtschau das Anbieten eines Ersatztermins in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht zumutbar sein.

3. Verwenden des Gendersterns in einer Stellenausschreibung
Das AGG schütze zwar intersexuelle, zweigeschlechtliche bzw. intergeschlechtliche Menschen vor geschlechtsbezogenen Benachteiligungen (siehe §§ 1, 11 AGG). Allerdings könne aus der Verwendung des Gendersterns bei der Stellenausschreibung nicht geschlossen werden, dass nicht eingestellte zweigeschlechtliche Menschen im Auswahlverfahren wegen ihres Geschlechts benachteiligt wurden.

Prof. Dr. Boris Hoffmann

Weiterlesen für mehr Informationen? Den ganzen Beitrag finden Sie in der Contentbox „Aktuelles zur Personalarbeit". Diese ist Bestandteil mehrerer rehm eLine Produkte.

Sie sind nicht eingeloggt
Bitte benachrichtigen Sie mich bei neuen Kommentaren.
Ihr Kommentar erscheint unter Verwendung Ihres Namens. Weitere Einzelheiten zur Speicherung und Nutzung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
0 Kommentare zu diesem Beitrag
SX_LOGIN_LAYER