rehm-verlag   Online-Produkte öffnen

Newsübersicht < Newsbeitrag

Vergütung von Pausenzeiten

Der 5. Senat hält an seiner Rechtsprechung zur Differenzierung zwischen der ausschließlich arbeitsschutzrechtlichen Pflicht des Arbeitgebers, ein System zur effektiven Erfassung der täglichen Arbeitszeit einzurichten, und der aus dem nationalen Recht folgenden Verteilung der Darlegungslast im Streit über die Vergütung von Überstunden fest.

Jetzt bewerten!

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12.02.2025 – 5 AZR 51/24

Sponer † / Steinherr † / Donath / Kapitza † / Wollensak

TVöD/TV-L PRO

Ihr Tarifrechtsexperte mit Kommentar, Rechtsprechung, Fachthemen, Praxisfällen, Arbeitshilfen und Webinaren

Vierteljahrespreis‎ 627,00 €
Online-Produkt

Leitsätze

- (red.)

Der Arbeitnehmer genügt seiner Darlegungslast im Streit über die Inanspruchnahme von Pausenzeiten, wenn er für jeden einzelnen Tag vorträgt, von wann bis wann er gearbeitet hat und wenn er darlegt, dass diese Arbeitsleistung vom Arbeitgeber veranlasst worden oder zumindest gebilligt worden ist bzw. zur Erledigung der Arbeit notwendig war. Wie hoch die Anforderungen an den Vortrag konkret sind, hängt von der Art der Tätigkeit und den konkreten betrieblichen Abläufen ab.

- (red.)

§ 14 TV-Ärzte/VKA ändert diese Darlegungslast auch in der seit dem 1.7.2019 geltenden Fassung nicht

18469-HJR-Website2023-04-RZ-Newsletter.webp

Beste Antworten.

Newsletter Arbeits- und Tarifrecht

Regelmäßig erscheinender Newsletter zu den Neuigkeiten aus den Bereichen Arbeitsrecht und Tarifrecht des öffentlichen Dienstes sowie Empfehlungen zu neuen Produkten, Webinaren und Quizzen.

Der Fall

Die Klägerin war als Assistenzärztin in der Neurochirurgie des von der Beklagten betriebenen Klinikums tätig. Vereinbart war eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden, die sich auf jeweils sechs Stunden von Montag bis Freitag verteilte. Auf das Arbeitsverhältnis fand der TV-Ärzte/VKA Anwendung. Die Klägerin erbrachte unstreitig Mehrarbeit, über deren Vergütung die Parteien im Besprechungsfall nicht stritten. Streitig war allein die Vergütung von 59 Stunden und drei Minuten, die die Beklagte im Zeitraum von September 2018 bis August 2019 von der Arbeitszeit der Klägerin automatisch als Pause wegen der Leistung von mehr als sechs Stunden abgezogen hatte. Die Klägerin machte geltend, sie habe die Pausen wegen des Arbeitsanfalls nicht nehmen können und deshalb Überstunden geleistet. Das BAG konnte wegen fehlender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden, ob die Klage begründet ist und hat den Rechtsstreit deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Bloggerbilder_Hoffmann-Schmid_Stoerer_min.png

Blog Arbeits- Tarif- und Personalvertretungrecht

Prof. Dr. Boris Hoffmann und Dr. Erik Schmid

Unsere Experten bereiten für Sie Informatives zu aktuellen Fällen anschaulich auf, schildern den Sachverhalt, beleuchten die Entscheidung und liefern ein Fazit inkl. Praxistipp für Ihre tägliche Arbeit.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG hat an seiner ständigen Rechtsprechung zur Darlegung von Überstunden festgehalten:

Der Arbeitnehmer genügt zunächst seiner ihn treffenden Darlegungslast, wenn er darlegt, an welchen Tagen zu welchen Zeiten er gearbeitet hat. Das hatte die Klägerin hier getan, indem sie unter Rückgriff auf das Zeiterfassungssystem der Beklagten behauptet hatte, dass sie in den dort ausgewiesenen, automatisch abgezogenen jeweils 30 Minuten tatsächlich gearbeitet hatte. Die Beklagte hätte nunmehr im Wege der sog. abgestuften Darlegungslast konkret vortragen müssen, dass und an welchen dieser Tage die Klägerin tatsächlich Pausen genommen hatte. Auf ein Bestreiten mit Nichtwissen durfte sie sich nicht beschränken.

Damit hatte die Klägerin die erste Hürde auf dem Weg zur begehrten Vergütung genommen: Ihr Vortrag, sie habe an den von ihr angeführten Tagen während der ihr als „Festpause“ abgezogenen jeweils 30 Minuten gearbeitet, galt als zugestanden.

Die zweite Hürde auf dem Weg zum Ziel war die Darlegung, die Leistung von Arbeit in diesen Zeiten sei von der Beklagten veranlasst, also angeordnet, gebilligt, geduldet oder zur Erledigung der zugewiesenen Arbeit erforderlich gewesen. An dieser Anforderung hält der 5. Senat in ständiger Rechtsprechung seit der Entscheidung vom 4.5.2022 (- 5 AZR 359/21) und auch in der Besprechungsentscheidung auch angesichts der Entscheidungen des EuGH (19.12.2024 – C-521/23 – und 14.5.2019 – C-55/19) und des BAG (13.9.2022 – 1 ABR 22/21) zur arbeitsschutzrechtlichen Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber fest. Darum musste er prüfen, ob aus § 14 TV-Ärzte/VKA eine andere, für die Klägerin günstigere Verteilung der Darlegungslast folgt. Diese Bestimmung hat ausweislich ihrer Überschrift, ihres Wortlauts sowie ihres Zwecks auch in ihrer Neufassung zum 1. Juli 2019 jedoch lediglich arbeitszeitschutzrechtliche Bedeutung, regelt nicht die Vergütung und kann darum keinen Einfluss auf die Verteilung der Darlegungslast im Streit über die Vergütung von Überstunden haben.

Das Landesarbeitsgericht hatte verlangt, dass die Klägerin zur Darlegung der Veanlassung hätte vortragen müssen, welche Arbeiten sie genau zu den jeweiligen Pausenzeiten erbracht habe wollte und wer jeweils angeordnet hatte, dass sie die Pause nicht nehme. Damit hatte es jedoch die Anforderungen an die Darlegung überspannt. Solche Anforderungen wären allenfalls berechtigt gewesen, wenn die in einer „Betriebsvereinbarung Arbeitszeit“ festgelegte Festpause von 12.00-12.30 Uhr gerade die unterbliebene Pausennahme hätte verhindern sollen. Das war jedoch nicht der Fall, weil diese BV den Fall der Klägerin – tägliche Arbeitszeit von nur sechs Stunden – gar nicht erfasste. Sie regelte nicht die Konstellation, auf die die Klägerin sich berief, nämlich den Eintritt der Notwendigkeit, länger als sechs Stunden zu arbeiten, erst nach der in der BV festgelegten Pause. Darum reichte es, wenn die Klägerin unter Berücksichtigung ihrer konkreten Arbeitssituation, also der Arbeit einer Assistenzärztin auf der neurochirurgischen Station, dargelegt hätte, dass aufgrund der Übertragung sich wiederholender Tätigkeiten (Operationen etc.) die von ihr behauptete, über sechs Stunden täglich hinausgehende Arbeit angeordnet, gebilligt, geduldet wurde oder erforderlich war, ohne dass sie insoweit eine Pause in Anspruch nehmen konnte. Das hatte das Landesarbeitsgericht nicht geprüft. Darum konnte das BAG den Rechtsstreit nur an das Landesarbeitsgericht zurückverweisen.

rehm-Campus_Stoerer-Bild_Bildschirm.png

Für mehr Wissen.

Fortbildungen im Arbeits- und Tarifrecht

Profitieren Sie von unseren neuen informativen und praxisorientierten eLearning-Fortbildungen im rehm Campus. Lernen Sie zeitlich flexibel und ortsunabhängig. Erleben Sie Fortbildung neu!

Das bedeutet die Entscheidung für Sie:

Der 5. Senat hält an seiner Rechtsprechung zur Differenzierung zwischen der ausschließlich arbeitsschutzrechtlichen Pflicht des Arbeitgebers, ein System zur effektiven Erfassung der täglichen Arbeitszeit einzurichten, und der aus dem nationalen Recht folgenden Verteilung der Darlegungslast im Streit über die Vergütung von Überstunden fest.

Das ist konsequent, weil sich die Darlegungs- und Beweislast auch im Anwendungsbereich des Unionsrechts nach dem nationalen, also deutschen, Verfahrensrecht richtet, wenn nicht ausnahmsweise das Unionsrecht eine eigenständige Beweislastregelung enthält (BAG 11.5.2023 – 6 AZR 121/22 (A) – Rn. 57). Das ist in der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, der der EuGH die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit entnimmt, nicht geschehen. Ohnehin kommt der Europäischen Union gem. Art. 153 Abs.  5 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) keine Zuständigkeit für das Arbeitsentgelt zu, so dass die Richtlinie 2003/88 keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer findet (EuGH 9.3.2021 – C-344/19 – [Radiotelevizija Slovenija] Rn. 57 ff.; BAG 25.3.2021 – 6 AZR 264/20 – Rn. 32). Die Darlegungslast können daher nur nationale Vorschriften anders regeln. Solche Regeln könnten zwar auch Tarifvertragsparteien treffen. Mit § 14 TV-Ärzte/VKA ist jedoch auch in der Neufassung nur die Arbeitszeitdokumentation und damit der arbeitsschutzrechtliche Aspekt der Arbeitsleistung, nicht aber deren Vergütung geregelt.

Das BAG erleichtert allerdings in einem Punkt die Darlegung von Überstunden für den Arbeitnehmer: Es stellt klar, dass es ausreicht, typische Abläufe darzulegen, so dass nicht der Ablauf jedes einzelnen Tages detailliert dargelegt werden muss, wenn sich Abläufe wiederholen.

Karin Spelge
Vorsitzende Richterin am BAG

quiz-icon-orange-freigestellt_100px.png

Quizze zum Arbeits- und Tarifrecht

1. Personalamt Schultz – Helfen Sie Herrn Schultz mit Ihrem Fachwissen und klären Sie spannende arbeits- und tarifrechtliche Fragen!

2. Arbeitsrecht im öD ist trocken? Sie bereiten sich in Ihrem Studium gerade darauf vor? Vertiefen Sie Ihr Wissen – Lernen leicht gemacht!

Sie sind nicht eingeloggt
Bitte benachrichtigen Sie mich bei neuen Kommentaren.
Ihr Kommentar erscheint unter Verwendung Ihres Namens. Weitere Einzelheiten zur Speicherung und Nutzung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
0 Kommentare zu diesem Beitrag
SX_LOGIN_LAYER