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Aufhebungsverträge können später nicht widerrufen werden, sie können aber wegen der Missachtung des Gebots fairen Verhandelns unwirksam sein

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Das BAG hatte sich in seiner Entscheidung vom 07.02.2019 – 6 AZR 75/181 mit zwei für die Praxis wichtigen Fragen zu beschäftigen. Es ging zum einen um die Frage, ob die Einwilligung zum Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages gemäß § 355 BGB widerrufen werden kann und zum anderen, wann ein Aufhebungsvertrag wegen der Missachtung des Gebots fairen Verhandelns unwirksam ist?

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der Entscheidung des BAG lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die spätere Klägerin war seit dem 01.07.2014 bei der Beklagten als Reinigungshilfe beschäftigt. Mit Schreiben vom 18.05.2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 22.06.2015, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin. In einem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 20.06.2015 teilte der Arbeitgeber mit, dass der Arbeitsvertrag bis zum 29.02.2016 „verlängert“ werde.

Am 15.02.2016 suchte der Lebenspartner der Beklagten, welcher tatsächlich deren Geschäfte führt, die Klägerin gegen 17:00 Uhr in ihrer Wohnung auf und legte ihr einen Aufhebungsvertrag vor. Die Klägerin unterschrieb diesen Vertrag. Danach wird das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 15.02.2016 ohne Zahlung einer Abfindung beendet. Die Klägerin erhält ihre Arbeitspapiere und bis spätestens 15. März 2016 ein wohlwollendes qualifiziertes Zeugnis. Im Übrigen sollen mit Erfüllung dieses Vertrags keine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gegen die andere Partei mehr bestehen. Davon unberührt bleiben „zu viel bezahlte Arbeitsstunden“.

Mit Schreiben vom 17.02.2016 erklärte sodann der spätere Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Anfechtung des Aufhebungsvertrags wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und Drohung. Hilfsweise werde die Zustimmung zum Vertragsschluss widerrufen. Die Beklagte hält dennoch an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Aufhebungsvertrag fest.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe des BAG

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer späteren Klage. Das BAG hielt die Revision für begründet. Zwar habe die Klägerin den Aufhebungsvertrag weder anfechten noch widerrufen können. Allerdings habe des LAG Niedersachsen als Berufungsinstanz unberücksichtigt gelassen, dass ein Aufhebungsvertrag auch dann unwirksam sein könne, wenn dieser unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist. Denn dies könne hier der Fall sein, soweit eine erkennbare krankheitsbedingte Schwäche der Klägerin ausgenutzt worden wäre.

Im Einzelnen!

  1. Da die Klägerin nicht ausreichend vorgetragen hatte, dass sie die Annahme des Vertragsangebots in einem Zustand vorübergehender Störung ihrer Geistestätigkeit angenommen hat, konnte sie sich nicht auf den Nichtigkeitsgrund des § 105 Abs. 2 Alt. 2 BGB berufen.

  2. Darüber hinaus konnte die Klägerin auch keinen Anfechtungsgrund i. S. d. §§ 119 ff BGB glaubhaft machen.

  3. Die Klägerin konnte sich auch nicht auf § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB berufen, da formularmäßige Abreden, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistung und der hierfür zu zahlenden Vergütung unmittelbar bestimmen, aus Gründen der Vertragsfreiheit gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB regelmäßig von der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgenommen sind.

Hinweis! Darum unterliegt in einem Aufhebungsvertrag die Beendigungsvereinbarung als solche ebenso wenig einer Angemessenheitskontrolle2  wie eine als Gegenleistung für die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses etwaig gezahlte Abfindung3.

  1. Der Klägerin stand auch kein Widerrufsrecht gemäß § 355 i. V. m. §§ 312g Abs. 1, 312b BGB zu, da der Anwendungsbereich für diese Vorschriften gemäß § 312 Abs. 1 BGB nicht eröffnet ist.

    Hinweis! Damit kann ein Aufhebungsvertrag durch einen Arbeitnehmer auch dann nicht widerrufen werden, wenn dieser in den eigenen vier Wänden abgeschlossen worden ist.

  2. Der Gefahr einer möglichen Überrumpelung des Arbeitnehmers bei Vertragsverhandlungen kann mit dem Gebot fairen Verhandelns begegnet werden.4

Hinweis! Bei dem Gebot fairen Verhandelns handelt es sich im Zusammenhang mit der Verhandlung eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags um eine durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht i. S. d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB, weil der Aufhebungsvertrag ein eigenständiges Rechtsgeschäft ist (Pflicht zur wechselseitigen Rücksichtnahme). Das Gebot fairen Verhandelns schützt unterhalb der Schwelle der von §§ 105, 119 ff. BGB erfassten Willensmängel die Entscheidungsfreiheit bei Vertragsverhandlungen. Es geht insbesondere darum, den Schutz der Entscheidungsfreiheit des anderen Vertragspartners zu gewähren.

Merke! Eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit ist noch nicht gegeben, nur weil der eine Auflösungsvereinbarung anstrebende Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt.5

Danach gilt! Eine Verhandlungssituation ist vielmehr erst dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht.[6]

Das BAG hält u. a. folgende Verhandlungssituationen für unfair:

  1. Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken.7

  2. Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder geistigen Schwäche.

  3. Ausnutzung unzureichender Sprachkenntnisse.

  4. Nutzung des Überraschungsmoments (Überrumpelung).

Hinweis! Letztlich ist immer die konkrete Situation im Einzelfall zu betrachten und zu bewerten. Liegt ein schuldhafter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns im Sinne einer Nebenpflichtverletzung gemäß § 241 Abs. 2 BGB vor, ist der Aufhebungsvertrag im Regelfall unwirksam.

Da das LAG hierzu noch keine ausreichende Sachverhaltsaufklärung betrieben habe, gab das BAG der Revision der Klägerin statt. Von daher müssen wir abwarten, wie das LAG Niedersachsen abschließend entscheiden wird.

Ein letzter Hinweis bleibt mir noch. Soweit Sie sich in diese Thematik vertiefend einlesen wollen, darf ich auf Breier/Dassau, Kommentar zum Tarif- und Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, § 30 Rn. 90 ff. verweisen.

Damit verbleibe ich mit herzlichen Grüßen

Ihr
Boris Hoffmann


1 BAG 07.02.2019 – 6 AZR 75/18, ZTR 2019, 350.
2 BAG 08.03.2008 - 6 AZR 517/07, AP Nr. 40 zu § 620 BGB.
3 BAG 12.03.2015 - 6 AZR 82/14, BAGE 151, 108.
4 BAG 15.03.2005 – 9 AZR 502/03, BAGE 114, 97.
5 BAG 14.02.1996 – 2 AZR 234/95, EzA § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 21.
6 Vgl. hierzu Lorenz JZ 1997, 282.
7 Siehe hierzu LAG Thüringen 10.09.1998 – 5 Sa 104/97, NZA -RR 1999, 399.

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