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Benachteiligung wegen einer Behinderung

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Persönlicher Anwendungsbereich des AGG – Praktikanten

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in meinem aktuellen Blog möchte ich mich dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz widmen. Dieses Mal geht es im Kern um zwei Fragen:

  1. Unterfallen Praktikanten, die berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder Erfahrungen erwerben sollen, dem persönlichen Anwendungsbereich des AGG?

  2. Ist der Arbeitgeber verpflichtet, im Falle einer rückwirkenden Bescheinigung der Schwerbehinderung (§ 2 Abs. 2 SGB IX) oder der Gleichstellung (§ 2 Abs. 3 SGB IX), die Schwerbehindertenvertretung in einem Auswahl- beziehungsweise in einem Bewerbungsverfahren zu beteiligen?

Beide Frage hat das Bundesarbeitsgericht nun mit seiner Entscheidung vom 23. November 2023, Az. 8 AZR 212/221 beantwortet.

Der Entscheidung lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger, dem mit Bescheid vom 4.6.2019 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 zuerkannt worden ist, studierte an der Hochschule F im Studiengang Sozialrecht. Im Mai 2020 schrieb die Beklagte ein Förderprogramm für Studierende in den Studiengängen Sozialrecht oder Wirtschaftsrecht aus. Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Programms wurden von der Beklagten mit einem monatlichen Betrag von 880,00 Euro gefördert. Zudem erhielten diese für Zeiten der betrieblichen Praxis eine monatliche Praktikumsvergütung in einer Höhe von 1.570,00 Euro.

Der Kläger bewarb sich am 28.7.2020 um eine Teilnahme an dem Förderprogramm. Mit Schreiben vom 31.7.2020 beantragte er die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Am 12.8.2020 fand in der Agentur für Arbeit in Fulda das Auswahlgespräch für das Förderprogramm statt. In diesem Gespräch wies der Kläger auf seine Behinderung hin und erklärte, dass er einen Gleichstellungsantrag gestellt habe. Am 17.8.2020 sagte die Beklagte dem Kläger gleichwohl wegen des Förderprogramms telefonisch ab, ohne im Vorfeld die Schwerbehindertenvertretung beteiligt zu haben. Mit Bescheid vom 10.9.2020 wurde der Kläger rückwirkend zum 31.7.2020 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Das Arbeitsgericht Nürnberg hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der achte Senat des Bundesarbeitsgerichts schloss sich der Rechtsauffassung der Vorinstanzen im Ergebnis an.

Das Bundesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Praktikanten, die nach § 26 BBiG eingestellt werden, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben, fallen als „zu ihrer Berufsbildung Beschäftigte“ im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGG in den persönlichen Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), da dem AGG der unionsrechtlich geprägte Beschäftigtenbegriff zugrunde liege.

Hinweis! Als Beschäftigte gelten nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis.

Damit war im streitbefangenen Fall der persönliche Anwendungsbereich des AGG eröffnet. Fraglich war somit noch, ob der Kläger wegen seiner Behinderung im Auswahlverfahren benachteiligt worden war.

Zwar sei der Kläger nach § 3 Abs. 1 AGG im Auswahlverfahren unmittelbar benachteiligt worden, da er für das ausgeschriebene Förderprogramm nicht berücksichtigt wurde. Allerdings habe der Kläger  die unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG nicht wegen seiner Behinderung erfahren, so das Bundesarbeitsgericht.

Hinweis! Bei schwerbehinderten Menschen und diesen gleichgestellten behinderten Menschen begründet der Verstoß des Arbeitgebers gegen Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung im Sinne von § 22 AGG. Ein entsprechender Verstoß lag hier aber gerade nicht vor.

Denn nach der Rechtsprechung des Siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung etwa vor der beabsichtigten Umsetzung eines Arbeitnehmers (vorsorglich) zu unterrichten und anzuhören, wenn der Arbeitnehmer die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen zwar beantragt und dies dem Arbeitgeber mitgeteilt hat, über den Gleichstellungsantrag jedoch noch nicht entschieden worden ist.2 Dieser Rechtsprechung schloss sich der erkennende Senat für die vorliegende Fallgestaltung der Bewerbung eines behinderten Menschen ausdrücklich an.

Fazit für Sie!

Ob Beteiligungspflichten nach § 164 Abs. 1 Satz 4, § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bestehen, ist nach den Umständen während des Bewerbungsverfahrens zu beurteilen.

Der Begriff des Beschäftigten im Sinne des AGG ist im Sinne des Unionsrechts generell weit zu verstehen. Damit unterfallen regelmäßig auch Praktikanten dem persönlichen Anwendungsbereich des AGG.

Mit diesen Hinweisen verabschiede ich mich für heute von Ihnen.

Herzliche Grüße

Ihr
Boris Hoffmann


1 BAG 23.11.2023 - 8 AZR 212/22, juris.

2 BAG 22.1.2020 - 7 ABR 18/18, BAGE 169, 267.

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