Kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts – Gilt die in § 165 Satz 3 SGB IX statuierte Pflicht zur Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch auch für sie?
Liebe Leserin, lieber Leser,
heute darf ich Ihnen von einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.1.2024, Az. 8 AZR 318/221 berichten. Der achte Senat hatte sich mal wieder mit der Frage zu beschäftigen, ob ein schwerbehinderter Bewerber nach § 165 Satz 3 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch hätte eingeladen werden müssen.
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Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens.
Der Beklagte ist ein Kirchenkreis der Evangelischen Kirche im Rheinland und als solcher eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er schrieb für sein Verwaltungsamt extern eine Stelle in der Finanzbuchhaltung aus. Auf die Ausschreibung bewarb sich der spätere Kläger. Im Rahmen seiner Bewerbung wies er auf seine kaufmännischen Qualifikationen sowie auf seine Schwerbehinderung hin. Gleichwohl wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Insgesamt hatte seine Bewerbung keinen Erfolg. Eine Einstellung erfolgte nicht.
Daraufhin erhob er fristgerecht Klage beim Arbeitsgericht Koblenz. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz wiesen das Klagebegehren zurück. Das Bundesarbeitsgericht schloss sich nun dieser Auffassung an.

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Das Bundesarbeitsgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt:
-
Der Kläger habe keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Zwar sei er durch die Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung unmittelbar im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt worden.2 Er habe aber im Verfahren nicht hinreichend dargelegt, dass er diese Benachteiligung im Sinne vom § 164 Abs. 2 SGB IX in Verbindung mit § 7 Abs. 1 AGG wegen seiner Schwerbehinderung oder eines anderen in § 1 AGG genannten Merkmals erfahren hat.
Hinweis! Ein Anspruch auf Entschädigung setzt voraus, dass zwischen der Benachteiligung und der Schwerbehinderung ein Kausalzusammenhang besteht. § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang jedoch eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Danach muss der Kläger zunächst zumindest Indizien vortragen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. der Schwerbehinderung vermuten lassen.
- Zwar indiziere ein Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX normierte Einladungspflicht regelmäßig eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft. Nach § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX gelte auch jede sonstige Körperschaft des öffentlichen Rechts als öffentlicher Arbeitgeber im Sinne des Teil 3 des SGB IX und damit auch im Sinne des § 165 Satz 3 SGB IX. Allerdings sei § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX dahingehend auszulegen, dass als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfasste kirchliche Untergliederungen hiervon nicht erfasst werden.
Der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne des § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX setzte nach der Rechtsauffassung des achten Senats Folgendes voraus:
- Verleihung des Körperschaftsstatus durch einen staatlichen Hoheitsakt und
- Wahrnehmung von hoheitsrechtlichen Aufgaben.
Weil der beklagte Kirchenkreis weder Hoheitsaufgaben wahrnehme noch in die staatliche Organisation eingegliedert sei, gelte die Einladungspflicht für diesen nicht.

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Fazit für Sie!
Da weltliche und kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts wegen ihres unterschiedlichen Verhältnisses zum Staat nicht vergleichbar sind, gilt die in § 165 Satz 3 SGB IX statuierte Pflicht zur Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch ausschließlich für „staatliche“ Körperschaften des öffentlichen Rechts.
Herzliche Grüße
Ihr
Boris Hoffmann
1 BAG 25.12024 – 8 AZR 318/22 – ZTR 2024, 270.
2 Vgl. zum Begriff der Benachteiligung BAG 31.3.2022 – 8 AZR 238/21 - ZTR 2022, 586
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