Verdeckte Videoüberwachung und Verwertung eines „Zufallsfundes“
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Kern der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.9.20161war die Frage, ob das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers außerordentlich gekündigt werden kann, wenn dieser bei der Anordnung der Videoüberwachung ursprünglich gar nicht verdächtig war, als Schädiger in Betracht zu kommen.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagte – ein Lebensmittelunternehmen – stellte im Rahmen einer Inventur in bestimmten Warengruppen einen erheblichen Schwund fest. Nachdem vorausgegangene Kontroll- und Revisionsmaßnahmen sowie die Überprüfung der Mitarbeiter durch Taschenkontrollen nicht zur Aufklärung geführt hatte, ließ Sie einen bestimmten Kassenbereich mit Zustimmung des Betriebsrates Videoüberwachen. Die Videoüberwachung sollte sich gegen die Mitarbeiterinnen D und M richten. Einer Videosequenz war sodann zu entnehmen, dass die Klägerin eine „Musterpfandflasche“ über den Scanner gezogen und anschließend eine Leergutregistrierung durchgeführt, die Kassenlade geöffnet und Geld aus der Kassenlade genommen hatte, welches sie zunächst im Kassenbereich abgelegt und zu einem späteren Zeitpunkt in ihre Tasche gesteckt hatte. Der von ihr erstellte Kassenbon wies eine Pfandbarauszahlung von 3,25 Euro aus. Mit Zustimmung des Betriebsrates kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich. Das Bundesarbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage der Klägerin zurück.
Was waren die wesentlichen Entscheidungsgründe?
Da die Klägerin sich bewusst, heimlich und durch eine gezielte Manipulation der Kassenvorgänge auf Kosten der Beklagten bereichert hat, liegen nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB vor. Aufgrund des eingetretenen Vertrauensverlustes ändere hieran auch der relativ geringe Schaden von 3,25 € nichts.
Das Bundesarbeitsgericht nimmt sich anschließend der Frage an, ob die Beklagte das Recht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung verletzt hat. Das Gericht verweist hierbei zunächst darauf, dass weder die ZPO noch das ArbGG ein Beweisverwertungsverbot bezüglich rechtswidrig erlangter Erkenntnisse oder Beweise enthalte. Dies gelte auch für das BDSG. Problematisch war allerdings, dass die Beklagte durch ihr Vorgehen nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin eingegriffen hatte. Allerdings sei ein Eingriff durch eine verdeckte Videoüberwachung dann zulässig, wenn
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der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers besteht,
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weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind,
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die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und
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sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist.2
Diese Voraussetzungen lagen in dem vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Fall vor. Der Umstand, dass die Klägerin nicht zu dem ursprünglichen Kreis der verdächtigten Mitarbeiter gehörte, spiele nach der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts keine Rolle. Zwar müsse der Kreis der Verdächtigten möglichst eingegrenzt sein. Eine Überwachungsmaßnahme müsse aber nicht derart beschränkt werden, dass von ihr ausschließlich Personen erfasst werden, die konkret einer Straftat verdächtig sind. Die Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts ist ausdrücklich zu begrüßen.
Hinweis für die Praxis
Damit ist geklärt, dass der Arbeitgeber grundsätzlich auch Zufallsfunde verwerten darf. § 32 BDSG steht dem nicht entgegen. Die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts sind eins zu eins in den öffentlichen Dienst übertragbar.
Damit verbleibe ich für heute
Ihr
Boris Hoffmann
1 BAG 22.9.2016 – 2 AZR 848/15 – NZA 2017, 112.
2 Siehe hierzu auch BAG 21.11.2013 – 2 AZR 797/11 – BAGE 146, 303.
