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Das Abschiedsgeschenk: Vom Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung

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Hauptdarsteller der kleinen Geschichte, die ich anlässlich des 150. Beitrags in dieser Reihe erzählen möchte, sind zwei Gemeindebeamte, die in jedem Ort und jeder Stadt eine herausragende Rolle spielen: Der 1.Bürgermeister und der Stadtkämmerer. Beide sind nach den haushaltsrechtlichen Bestimmungen zu einem gewissenhaften Umgang mit den ihnen anvertrauten öffentlichen Geldern verpflichtet. Dies kann im Einzelfall zu recht sonderbaren Ergebnissen führen.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der Stadtkämmerer einer kleinen Stadt aus dem bayerischen Voralpenland – nennen wir ihn Hans Kracherl – hatte schon seit vielen Jahren seinen Dienst zur vollsten Zufriedenheit der Bürger, aber auch der Stadtverwaltung verrichtet. Fast ebenso lang stand dieser kleinen Stadt der Max Saalbruch als 1.Bürgermeister vor. Man hatte zwar allgemein erwartet, dass der Hans Kracherl seine Amtszeit sicher bis zum letztmöglichen Tag auskosten werde, aber er entschloss sich dann doch zur Verwunderung aller, die Segnungen der beamtenrechtlichen Vorruhestandsregelung in Anspruch zu nehmen und frühzeitig in Pension zu gehen.

Da tat sich natürlich dem Herrn Bürgermeister und damit automatisch auch dem Stadtrat und dem gesamten Beraterstab die ganz wesentliche Frage auf: Was soll man dem verdienten Kämmerer nur im Namen der Stadt – und damit auch auf deren Kosten – zum Abschied überreichen? Der Saalbruch Max hatte da die ganz außergewöhnliche Idee, seinem langjährigen und stets treu ergebenen Mitarbeiter ein Fahrrad zum Abschied zu schenken. Zum einen kann damit ein städtischer Beamter, der doch schon einige Stufen der vorgegebenen Hierarchieleiter erklommen hat, auch in der Pension noch ganz gut das tun, was er sein ganzes Beamtenleben lang gewohnt war, nämlich weiterhin ausgiebig „Rad fahren“.

Es stellten sich der gesamten Stadtverwaltung aber im Weiteren doch noch Fragen von durchaus grundsätzlicher Bedeutung. So ergab sich zunächst das haushaltsrechtliche Problem, zu welchem Preis man ein solches Fahrrad erwerben sollte. Da gab es zunächst einmal die Möglichkeit, das Rad bei dem einzigen am Ort ansässigen Fahrradgeschäft zu erstehen. Dafür sprach vor allem auch, dass dieses Fahrradgeschäft vom Vetter der Frau des Kämmerers, dem Pfaffinger Peter, einem alteingesessenen Bürger der kleinen Stadt betrieben wurde. Außerdem arbeitete in diesem Geschäft die Frau des Kämmerers Kracherl an einem Nachmittag in der Woche und verdiente sich auf diese Weise noch etwas Taschengeld hinzu.

Für einen Ankauf des Fahrrads beim Pfaffinger sprach außerdem das legitime Anliegen des örtlichen Gewerbeverbandes, jeder Bürger der kleinen Stadt möge seine Einkäufe nach Möglichkeit auch in seinem Heimatort tätigen. Begründet wurde dies vom Verbandsvorsitzenden, Franz Fichtl, stets mit dem nicht zu widerlegenden Argument, ein solcher Einkauf komme letztendlich wieder allen Bürgern der Stadt über die Gewerbesteuer zu Gute. Dass die Geschäftsleute dadurch auch mehr verdienen, spielte in der Argumentation des Gewerbeverbandes, dessen Mitglieder in ausreichender Zahl im Stadtrat vertreten waren, eine eher untergeordnete Rolle und so wurde öffentlich erst gar nicht darüber gesprochen.

Das alles wurde vom Saalbruch Max als Stadtoberhaupt und natürlich auch von seinen Beratern, die sich sowohl aus dem Kreis der Stadträte als auch aus der Verwaltung rekrutierten, in Erwägung gezogen. Bei einem ehemaligen Stadtkämmerer bestand jedoch noch eine ganz wesentliche Besonderheit. Der musste ja schließlich als verantwortungsbewusster und für die Finanzen der Kleinstadt zuständiger Beamter über Jahrzehnte hinweg mit dem Grundsatz einer sparsamen Haushaltsführung umgehen können und da konnte man doch diesen Grundsatz nicht einfach gerade dann, wenn er in den Ruhestand treten wollte, von jetzt auf sofort unbeachtet lassen. Nein, es ging auch jetzt nicht an, öffentliche Gelder zu vergeuden.

„Im Vordergrund steht nun einmal in erster Linie die sparsame Haushaltsführung!“  Mit diesen Worten des Bürgermeisters sollte der als Amtsnachfolger des Stadtkämmerers  vorgesehene Verwaltungsbeamte Georg Zwickl am nächsten Tag, gleich zu Dienstbeginn, mit dem städtischen Dienstwagen des 1. Bürgermeisters zu einem Supermarkt geschickt werden, um einen Preisvergleich anzustellen und schließlich das Abschiedsgeschenk für seinen Vorgänger zu besorgen. Dabei konnte er seine Fähigkeiten zur sparsamen Haushaltsführung (Art. 34 Abs. 2 BayHO) auch gleich ein erstes Mal in der Praxis beweisen.

Der künftige Stadtkämmerer wollte aber seine erste wichtige Entscheidung nicht gleich ganz alleine treffen und bat deshalb seinen Freund und Kollegen, Max Grün, den Standesbeamten der kleinen Stadt, ihn bei seiner Dienstfahrt am nächsten Tag zu begleiten. Grün wiederum wusste, dass der Bachl Sepp, ein weiterer Kollege aus dem Einwohnermeldeamt, erst vor wenigen Wochen ein überaus günstiges Fahrrad erstanden hatte und man sollte doch auf seine Erfahrungen schon aus diesem Grunde unbedingt zurückgreifen. Zufälligerweise konnte sich auch der Bachl Sepp am nächsten Tag der wichtigen Mission, die ja im Auftrag des Bürgermeisters während der üblichen Arbeitszeit stattfinden sollte, gut annehmen und er schilderte auch gleich und sehr ausführlich, welches Glück er beim Kauf seines Radls hatte und welch‘ große Freude es ihm doch jeden Tag bereite.

Zu Dritt machten sich die Beamten also am folgenden Morgen auf, um das richtige Geschenk für ihren Freund und Kollegen zu besorgen und sie nahmen sich dabei den Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung auch gleich ganz besonders zu Herzen. Erst am Abend kamen sie von ihrer Fahrt mit dem Dienstwagen des Bürgermeisters zurück und der Zwickl berichtete dem Stadtoberhaupt mit großem Stolz, dass sie nicht nur in dem einzigen Supermarkt in der Nachbarstadt, sondern in allen Supermärkten der näheren und weiteren Umgebung nach einem besonders guten Angebot Ausschau gehalten hätten und schließlich auch in einem neu eröffneten Einkaufszentrum in der Nähe der Grenze zu Österreich fündig geworden seien. Einen ganz besonderen Vorteil sahen sie im Übrigen darin, dass sie sich dazu entschlossen hatten – der sparsamen Haushaltsführung wegen – das Fahrrad als Bausatz zu erwerben.

Dieser Bausatz konnte ja von den erfahrenen Arbeitern des städtischen Bauhofes montiert und dann dem verdienten Stadtkämmerer bei dessen Verabschiedung als Geschenk überreicht werden. Außerdem entrichtete der Zwickl dem Herrn Bürgermeister noch die herzlichsten Grüße vom Wirt des Weinhauses Pichler, einem alten Freund des Stadtoberhauptes. Das Weinhaus lag am österreichischen Ufer der Salzach, gleich hinter der Grenze. Diese Gastwirtschaft war nicht nur mit einer wunderschönen, von Weinreben geschützten Terrasse ausgestattet, sondern mit seiner vorzüglichen österreichischen Küche aufs Beste für ein gemütliches Mittagessen geeignet. Dort, so berichtete Zwickl, hatten sich die drei Beamten kurz und gut gestärkt, natürlich nicht ohne die Angelegenheit noch einmal ausführlich zu diskutieren.

Dann kam der Zwickl aber wieder auf den eigentlichen Grund der Dienstfahrt zu sprechen und verkündete, man sei erst am Nachmittag, nach all den großen Anstrengungen, im besagten Einkaufszentrum erfolgreich gewesen und man habe dort ein Fahrrad als Bausatz erstanden, das wohl seinesgleichen suche und genau das richtige Abschiedsgeschenk für den scheidenden Herrn Stadtkämmerer Kracherl darstelle – nicht zu modern, aber doch mit allen technischen Raffinessen. Da die offizielle Verabschiedung des Stadtkämmerers bereits auf den übernächsten Tag festgesetzt war, habe man den Bausatz gleich beim Leiter des Bauhofes mit einem entsprechenden Auftrag abgeliefert. Der habe die rechtzeitige Bearbeitung zugesichert.

Die Montage des Fahrrads gestaltete sich dann allerdings nicht ganz so einfach, wie es ursprünglich den Anschein hatte. Der Leiter des Bauhofes, Franz Mühsam, sah sich jedenfalls nicht in der Lage, den Auftrag vereinbarungsgemäß durchzuführen. Dies lag in erster Linie daran, dass die Montageanleitung des Bausatzes zwar in englischer, französischer, spanischer, italienischer, japanischer, chinesischer und russischer, nicht aber in deutscher Sprache abgedruckt war.

Franz Mühsam war jedoch keiner dieser Fremdsprachen mächtig, was die Angelegenheit in der Tat sehr erschwerte. Aus diesem Grunde bat er zunächst seinen Stellvertreter Max Mutig um Hilfe. Aber auch der besaß keinerlei Kenntnisse in den in der Anleitung angebotenen fremden Sprachen und zudem hatte er nach eigener Aussage mit der Montage von Fahrrad-Bausätzen keinerlei Erfahrung. Also hieß es „Probieren geht über Studieren“. Das bedeutete wiederum, dass sämtliche im Bauhof beschäftigten Angestellte der kleinen Stadt den ganzen Donnerstag damit zu tun hatten, das Rad zusammenzubauen oder zumindest ihre Vorschläge und Meinungen zu einer irgendwie vertretbaren Lösung des anstehenden Problems einbrachten – selbst während der üblichen Brotzeitpausen. Allein, man konnte bis zum Abend keinen Erfolg verbuchen und da blieb Franz Mühsam nichts anderes übrig, als den künftigen Stadtkämmerer Zwickl anzurufen und über die fehlgeschlagenen Bemühungen zu berichten.

Georg Zwickl war allerdings nur vorübergehend etwas ratlos. Als überaus findiger Beamter hatte er gleich zwei Ideen, wie man die leidliche Angelegenheit vielleicht doch noch zu einem glücklichen Abschluss bringen könnte. Die erste Idee, den Fahrrad-Pfaffinger zu bitten, das Fahrrad zusammenzustellen, wurde als doch etwas zu peinlich verworfen. Nachdem der Zwickl sich beim Bauhofleiter vergewissert hatte, dass eine der fremden Sprachen in der Aufbauanleitung Englisch war, bat er den Franz Mühsam, unbedingt noch im Büro auf ihn zu warten. Er, der Zwickl, werde sogleich selbst vorbeikommen und sich persönlich um die Angelegenheit kümmern.

Der Chef des Bauhofes wies jedoch auf den nahenden Feierabend hin und konnte nur durch die Auslobung von „zwei bis drei Maß Bier und einer Brotzeit“ zum Verweilen überredet werden.

Georg Zwickl wusste, dass sein Freund und Kollege Max Grün eine Schwester hatte, die nach Amerika ausgewandert war und die der Grün schon öfters besucht hatte. Der Kollege  sprach deshalb ein leidlich gepflegtes Englisch. Der Zwickl verlor keine Sekunde und suchte den Grün in dessen Büro auf. Max Grün war gerade dabei, die Bürotür abzuschließen. Er hatte die Tennistasche geschultert, denn es war Donnerstag und dieser Abend war für sein liebstes Steckenpferd reserviert. Der Zwickl schilderte ihm aufgeregt das Dilemma mit der für den Bauhof unbrauchbaren Aufbauanleitung und bat ihn deshalb eindringlich, beim Zusammenbau des „Abschiedsgeschenks“ behilflich zu sein und ausnahmsweise auf sein Tennisspiel zu verzichten.

Gemeinsam fuhren sie zum Bauhof, wo sie der Mühsam bereits erwartete. Mit Hilfe der Englischkenntnisse des Max Grün gelang es innerhalb der nächsten beiden Stunden, das anstehende Problem mehr schlecht als recht zu lösen und als das Fahrrad dann endlich zumindest einigermaßen fahrbereit war, sandte Georg Zwickl ein Dankgebet zum Himmel.

Am nächsten Tag war es dann endlich so weit. Die Verabschiedung des Stadtkämmerers war ein großes Ereignis. Die Presse war erschienen und die Laudatio hielt natürlich der 1. Bürgermeister und selbstverständlich trug er zu diesem Anlass seine Amtskette. Alles war sehr feierlich. Das Stadtoberhaupt beschrieb den beruflichen Werdegang des Hans Kracherl in den schillerndsten Farben und hob dabei ganz besonders die hervorragende Fähigkeit des ausscheidenden Beamten zur sparsamen Haushaltsführung hervor. Der Bürgermeister gab aber auch der Hoffnung Ausdruck, dass der künftige Stadtkämmerer in gleichem Maße ein Auge auf die Finanzen der Stadt werfen werde wie der scheidende Kämmerer. Unter lautem Applaus des Auditoriums überreichte Max Saalbruch dem verdienten Beamten das zusammengebaute Fahrrad als Abschiedsgeschenk.

Aus allgemein gut unterrichteten Kreisen war jedoch nur wenig später zu hören, das Fahrrad sei in einem solchen Maße mangelhaft gewesen, dass es der frischgebackene Ruheständler dem benannten Einkaufszentrum unter Androhung einer zivilgerichtlichen Klage zurückgegeben und für den wieder ausbezahlten Kaufpreis ein Radl beim Fahrradgeschäft Pfaffinger erstanden haben soll. Dabei soll er allerdings alle seine früheren Haushaltsgrundsätze völlig außer Acht gelassen und ein paar Euro mehr investiert haben.

Die Ausgabe hatte sich gelohnt, denn er konnte jetzt endlich (wieder) richtig Rad fahren.

Herzlich,
Ihr Dr. Maximilian Baßlsperger 

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