Der Engel Aloisius - aus der Sicht des Beamtenrechts
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
die Geschichte, mit der Ludwig Thoma die bayerische Lebensart und die Eigenheiten meiner Landsleute beschreibt, weist gerade auch vor dem Hintergrund des öffentlichen Dienstrechts einige bemerkenswerte Passagen auf. Die folgende rechtliche Würdigung erfolgt aufgrund des bekannten Originaltextes.
„Alois Hingerl, Dienstmann Nr. 172 am Münchner Hauptbahnhof“…
Schon hier wird die Frage aufgeworfen: Kann ein Dienstmann auch Beamter sein? Die Antwort lautet zweifellos: ja! Es obliegt dem jeweiligen Dienstherrn entsprechende Ämter im konkret-funktionellen und statusrechtlichen Sinn auszuweisen und diese mit Beamten oder Angestellten zu besetzen. Der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG steht dem jedenfalls nicht entgegen, da auch nichthoheitliche Aufgaben von Beamten wahrgenommen werden können, wie dies bei Alois Hingerl der Fall ist und wie dies der vielfache Einsatz von Beamten im fiskalischen Bereich deutlich zeigt.
„erledigte einen Auftrag mit solcher Hast, dass er vom Schlag getroffen zu Boden sank und starb.“
Hier ergeben sich zwei Problemkreise:
a) Mit Eintritt des Versorgungsfalles (Tod) wird ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung gem. Art. 31 ff BayBeamtVG begründet (der natürlich nur dann entstehen kann, wenn Alois Hingerl Hinterbliebene im Sinne des BayBeamtVG hat).
b) Da der Versorgungsfall zweifelsfrei während des Dienstes eintrat, stellt sich die Frage nach der Höhe der diesen Hinterbliebenen zustehenden Versorgung. Ein Dienstunfall, der eine erhöhte Versorgung begründet, wird durch Art. 46 Abs. 1 BayBeamtVG als ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist, definiert. Wegen der von Hingerl an den Tag gelegten, für Beamte durchaus nicht üblichen und für den Eintritt des Versorgungsfalles nicht hinwegdenkbaren Eile, könnte im vorliegenden Fall sogar von einem qualifizierten Dienstunfall ausgegangen werden.
„Zwei Engerln schleppten ihn mit vieler Mühe in den Himmel, wo er vom Heiligen Petrus empfangen wurde.“
Der Beamte wird also erneut in ein Dienstverhältnis berufen. Petrus übt dabei die Befugnisse des (neuen) Dienstvorgesetzten nach Art. 2 Abs. 1 BayBG aus, wobei allerdings die Frage offen bleibt, ob Petrus selbst Dienstvorgesetzter und Leiter der Behörde ist oder aber – was zu vermuten steht – im Rahmen der organisationsrechtlichen Stellung seine personalrechtlichen Befugnisse nur für den eigentlichen Behördenleiter im Wege eines bestehenden Geschäftsverteilungsplans ausübt. Dies kann aber für die weitere juristische Wertung offenbleiben.
„Petrus eröffnete ihm zunächst, dass er von nun an auf den Namen ´Engel Aloisius´ zu hören habe, überreichte ihm eine Harfe und machte ihn mit der himmlischen Hausordnung bekannt: ´Von morgens 8 Uhr bis mittags 12 Uhr: frohlocken; von mittags 12 Uhr bis abends 8 Uhr: Hosianna singen.´“
Diese Aussage lässt hingegen keine Zweifel aufkommen. Aloisius werden die künftigen Aufgabenbereiche seines Amtes im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten) übertragen. Von einer Probezeit kann dabei nach den Umständen des Einzelfalles und den dienstlichen Erfordernissen ausnahmsweise nach Art. 12 Abs. 3 Satz 7 LlbG abgesehen werden. Da Aloisius bereits in seinem irdischen Dasein Beamter war (siehe oben), ist ein Absehen von der grundsätzlich erforderlichen Probezeit auch nach Art. 10 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LlbG gerechtfertigt.
Mit der Übertragung des Amtes nach § 8 Abs. 3 BeamtStG wurde ihm nach Art. 76 BayBG gleichzeitig die Amtsbezeichnung „Engel Aloisius“ verliehen. Diese darf er von nun an nach Art. 76 Abs. 3 Satz 1 (letzter Halbsatz) auch außerhalb des Dienstes führen.
„Wos is?“
Mit seiner Frage fordert Aloisius im Rahmen der dem Petrus obliegenden Fürsorgepflicht eine Klarstellung des ihm übertragenen Aufgabenkreises
„Von morgens 8 Uhr bis abends 12 Uhr frohlocken, von mittags 12 Uhr bis 8 Uhr abends Hosianna singen!“
Hierbei handelt es sich um eine erneute Klarstellung und um die Erfüllung der Fürsorgepflicht durch Petrus.
„So - hmhm - ja, wann krieg na i wos z'tringa?“
Auch mit dieser neuerlichen Frage fordert Aloisius – wieder im Rahmen der dem Petrus obliegenden Fürsorgepflicht – eine Konkretisierung der zu erbringenden Dienstleistung und der ihm zustehenden mittäglichen Freizeit, denn die Arbeit ist gemäß der unabdingbaren arbeitszeitrechtlichen Vorgabe des § 7 Abs. 3 AzV spätestens nach sechs Stunden durch eine Pause von mindestens 30 Minuten zu unterbrechen. Hierauf besteht ein klagbarer Rechtsanspruch.
„´Sie werden Ihr Manna schon bekommen´, sagte Petrus leicht indigniert und ließ ihn stehen.“
Petrus handelt hier eindeutig rechtswidrig: Aloisius besitzt ohne jeglichen Zweifel einen Rechtsanspruch auf eine korrekte Klarstellung. Hierfür stünde ihm sogar der Rechtsweg nach § 54 Abs. 1 BeamtStG offen. Wegen des gerade bei bayerischen Staatsangehörigen in ganz besonderem Maße bestehenden Dranges, aufkommende Durstgefühle schnellstmöglich zu befriedigen, wäre es ratsam, schon einen vorläufigen Rechtsschutz zu beantragen. Die besondere Eilbedürftigkeit kann nicht bestritten werden.
„Auweh! Des werd schee fad. Mei Lieber, da moan i oiwei, bin i neitred'n! Frohlocken?! A-a-a-a - Eam schaug o: Frohlock'n müeßed i da hero'm und i hab gmoant, i kumm in Himmi...”
Diese Aussage ist nicht an einen bestimmten Adressaten gerichtet. Sie kann deshalb als Ausdruck einer allgemeinen Enttäuschung über die Leistungen seines Dienstherrn gewertet werden. Solche Aussagen werden auch bei heute noch lebenden, aktiven Beamten vielfach getroffen und müssen dem Gewohnheitsrecht zugeordnet werden.
„Und während er noch so vor sich hinbrummelte, sah er plötzlich einen roten Radlerengel auf sich zukommen, und sofort erwachte in ihm die alte Wut auf diese vermeintliche Erdenkonkurrenz und er schrie den roten Radlerengel an: ´Ja, seid's ees au do hero'm, ees Hundsbuam, ees miserabligen! Mei Lieber, lass di do bloß net bei mir blicke, gell? Sonst fangst a paar!´ Und für alle Fälle versetzte er dem roten Radlerengel ein paar kräftige Hiebe mit dem ärarischen Himmelsinstrument.“
Hier überschreitet Aloisius eindeutig seine Kompetenzen und begeht ein Dienstvergehen im Sinne des § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG. Zum einen verstößt er gegen seine Verpflichtung zur vollen Hingabe zum Beruf aus § 24 Satz 1 BeamtStG, zum anderen könnte die Wertung „ees Hundsbuam, ees miserabligen“ den Straftatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB erfüllen. Dagegen stellen mehrere Hiebe mit einer Harfe auf jeden Fall eine Körperverletzung im Amt im Sinne der §§ 223/340 StGB und folglich ein Dienstvergehen dar.
„Daraufhin war ihm bedeutend wohler, er setzte sich, wie ihm befohlen, auf eine Wolke und begann zu frohlocken: ´Hahlelujja ... Hahlelujja ... Hahlelujja ... Hahleeeee-lujja ...´“.
Damit erfüllt also Alois Hingerl endlich seine Dienstleistungspflicht und übt die Aufgaben seines Hauptamts entsprechend seiner dienstlichen Bestimmung aus.
„Ein völlig vergeistigter Engel schwebte an ihm vorüber. ´Hallo, Sie! Hallo! fft! Hallo! Ham' Sie, ham's koan Schmaizla? Schnupftabak? Ham's nix? A Pris? Geh weida, fahr oane her!´ Der Durchgeistigte sah ihn nur völlig entgeistert an, lispelte nur ´Hosianna!´ und flog von hinnen. ´Ja, ja, was is jetz des für a Depp für a damischer? Ja - na, na, na, na, host vei koan Schmaizla ned? Wenn ma scho anständig fragt, werd ma do anständige Antwort krieg'n kenne! Gscherdee Rueb'n, gscherdee! Engel ... boaniger! Mei Lieber, da werd a so a Zeigl hero'm sei! A-a-a-a-a, wos steh i aus!´“
Diese Aussagen des Engels Aloisius sind erneut getrennt zu werten:
a) Mit seinen letzten Ausführungen würde Aloisius in einem anderen Bundesland erneut den Straftatbestand der Beleidigung in Tatmehrheit nach § 53 StGB erfüllen, wobei ihm allerdings die in bayerischen Behörden üblichen Umgangsformen zumindest angerechnet werden müssten und sich seine Aussage zum anderen lediglich auf einen Norddeutschen (Preußen) bezieht. Nach Auffassung des Verfassers wird deshalb bereits der Tatbestand als nicht erfüllt angesehen werden dürfen.
b) Mit der Bitte um einen Schnupftabak verstößt Hingerl dagegen gegen keine dienstrechtlich relevanten Bestimmungen. Mangels ersichtlicher Gegenleistung scheidet Bestechlichkeit aus. Er bringt allenfalls seine Bedenken gegen eine zu geringe Besoldung zum Ausdruck – ein permanentes Manko des öffentlichen Dienstes, der seit vielen Jahren – von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt – ein kärgliches Dasein fristet.
„Er setzte sich wieder auf seine Wolke und begann erneut zu frohlocken, allerdings bedeutend zorniger: ´Halleluja! Luhja! Luhja, sog i! 'zeefix Halleluja! Luhja!´ Er schrie so, dass der liebe Gott nebenan von seinem Mittagsschlaf erwachte und ganz erstaunt fragte: ´Ja, was ist denn da für ein Lümmel heroben?´ Er schickte sofort zu Petrus, der kam angerast und sie hörten zusammen den Engel Aloisius frohlocken: ´Luhja! Sacklzementhalleluja! Luhja, sog i! Mei Lieber Luja!´“
Alois Hingerl erfüllt zwar jetzt erneut seine Dienstleistungspflicht, indem er die Aufgaben seines Hauptamts entsprechend seiner dienstlichen Bestimmung ausführt. Fraglich ist allerdings, ob sein Verhalten dabei der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die sein Beruf nach § 34 Satz 3 BeamtStG erfordert. Zumindest hätte er gemäß Art. 33 Abs. 2 BeamtStG diejenige Mäßigung und Zurückhaltung wahren müssen, die sich aus seiner Stellung gegenüber der himmlischen Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten seines Amtes ergeben. In der Summe handelt es sich allerdings nur um eine als gering einzustufende, unbedeutende dienstliche Verfehlung.
„Petrus raste los und schleppte den Aloisius vor den lieben Gott. Der sah ihn sich lange an; drauf sprach er: ´Aha. Ein Münchner. Ja, sagen Sie einmal, warum plärren Sie denn da heroben so unanständig?´“
Hierbei handelt es sich ohne jeden Zweifel um eine tadelnde Äußerung, die als mündliche missbilligende Äußerung und nicht als disziplinarrechtlicher Verweis nach § 7 BayDG zu werten ist, welche ihre rechtliche Grundlage in dem Weisungsrecht des Dienstvorgesetzten nach § 35 BeamtStG findet.
„Da kam er beim Aloisius aber grad an den Richtigen. Der war mitten drin in der Wut und legte nun los: ´Ja, - ja was gla'm denn Sie! Weil mir da hero'm im Himmel san, da - da müeßad i da singa wie a Zeiserl, was? Was? Un z'tringa krieged überhaupt nix! Mei Lieber, ´a Manna´ hot er g'sagt, a Manna kriegad i! Mei Lieber, da wennst ma net gehst mit dei'm Manna, gell, ah den kennts selber saufa, dees sag i eich, aber iii trink koan Manna ned, dass di auskennst! Und singa tua i überhaupts ned, i hob no nie g'sunga, da sing i erscht recht ned ...´"
Beamte können neben den allgemeinen, für jedermann eröffneten formlosen Rechtsbehelfen nach § 125 BBG (und dem entsprechenden Landesrecht) besondere Anträge und Beschwerden vorbringen. Hierbei ist der Dienstweg einzuhalten. Der Beschwerdeweg bis zur obersten Dienstbehörde steht ihnen offen und als eine solche – zulässige – „Beamtenbeschwerde“ sind die Aussagen des Engels Aloisius zu werten.
„´Petrus´, sagte der liebe Gott, ´mit dem können wir hier nichts anfangen. Nun, für den habe ich eine andere Aufgabe: Der soll meine göttlichen Ratschläge der bayrischen Regierung überbringen. Auf diese Weise kommt er jede Woche ein- oder zweimal nach München, und dann hat die liebe Seele ihre Ruhe´.“
Aloisius wird hier nicht etwa abgeordnet oder versetzt, ihm wird lediglich ein dienstlicher Auftrag erteilt. Ob er dafür bei seiner Beschäftigungsbehörde einen gesonderten Dienstreiseantrag stellen muss, der die Grundlage für eine spätere Reisekostenabrechnung bildet, entzieht sich der Kenntnis des Verfassers.
„Als Aloisius das hörte, war er sichtlich froh. Er bekam auch gleich den ersten Auftrag, einen Brief, und flog damit los.“
Der Protagonist nimmt dadurch erneut die ihm übertragenen Dienstgeschäfte wahr.
„Und als er plötzlich Münchner Boden unter den Füßen fühlte, da war es ihm, als sei er im Himmel. Und einer alten Gewohnheit gemäß führte ihn der Weg hin zum Hofbräuhaus, und er fand seinen Stammplatz wieder, fand den Stammplatz leer und die Kellnerin, die Kathi, kam auf ihn zu, und er bestellte sich eine Maß, und bestellte sich noch a Maß, und er vergaß seinen Brief und seinen Auftrag, und b'stellt sich no a Maß und no a Maß und no oane, und da sitzt er heit no …“
Hier stellt sich zunächst die Frage nach der Zulässigkeit des Abweichens von der kürzesten Verbindung zwischen dem dienstlichen Wohnsitz (§ 15 BBesG) und dem Ort, an welchem aufgrund der Dienstreiseanordnung die dienstliche Leistung zu erbringen ist, also dem Bayerischen Landtag auf der Maximilianshöhe. Da man aber selbst einen Metzgerbesuch von Polizeibeamten mit dem Dienstwagen für zulässig erachten muss (siehe dazu: Hungrige Beamte: Mit dem Dienstwagen zum Metzger?), wird man auch einen Besuch des Münchner Hofbräuhauses durch den früheren Dienstmann nicht als ungebührliche und unerlaubte Unterbrechung der angeordneten Dienstreise bewerten können. Dafür spricht auch die räumliche Nähe der Traditionsgaststätte zum Bayerischen Landtag.
Weiterhin gilt es, den Genuss von mehreren Maß Bier (eine Maß = 1 Liter) einer dienstrechtlichen Würdigung zu unterziehen. Hier spricht aber eine wichtige Aussage eines früheren Bayerischen Ministerpräsidenten gegen die Annahme eines Dienstvergehens: Günther Beckstein findet Autofahren nach zwei Maß Bier völlig in Ordnung.1 Folge: Kein Verstoß!
„Und so wartet die bayrische Regierung bis heute vergeblich auf die göttlichen Eingebungen.“
Und hieran hat sich bis heute nichts geändert!
Lesen Sie dazu etwa den in dieser Reihe bereits erschienenen Beitrag Der Münchner im Himmel.
Ein Frohes Weihnachtsfest wünscht Ihnen
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
1 https://www.welt.de/politik/article2451770/Beckstein-findet-Autofahren-nach-zwei-Mass-Bier-ok.html
Der nächste Beitrag in dieser Blogreihe erscheint am 9.1.2017.

