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Der Toilettenbesuch des Beamten – ein gefährliches Geschäft!

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Sucht ein Beamter während der Dienstzeit zur Verrichtung der Notdurft im Dienstgebäude eine Toilettenanlage auf, so endet der Dienstunfallschutz mit dem Durchschreiten der Außentüre und lebt erst nach Verlassen der Toilettenanlage wieder auf – so entschieden vom VG München mit Urteil vom 8.8.2013.1

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der Entscheidung des VG München liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger – ein Polizeibeamter – begab sich während seines Dienstes auf die Toilette. Diese bestand aus einem Vorraum mit Waschbecken und einem Bereich mit Urinalen, die durch eine Türe voneinander getrennt waren. Beim Verlassen des Urinalbereichs glitt dem Kläger die Zwischentüre aus der Hand. Um zu verhindern, dass diese Türe gegen die Wand schlug, erfasste er sie mit der rechten Hand. Nachdem die äußere Toilettentüre ebenfalls weit geöffnet und durch einen Keil festgeklemmt war, sich aber nach Angaben des Klägers durch einen Luftzug leicht bewegte, klemmte er sich den rechten Mittelfinger ein. Er verspürte sofort einen stechenden Schmerz und ließ kaltes Wasser über die in Mitleidenschaft gezogene Hand fließen. Nach einigen Minuten Kühlung begab sich der Kläger wieder zurück zu seiner dienstlichen Tätigkeit. Jetzt schwoll der Finger erheblich an und der Kläger suchte daraufhin seinen Arzt auf, welcher diagnostizierte, dass sich der Kläger eine Quetschung des rechten Mittelfingers mit „subungualem Hämatom“ zugezogen hatte.

Der Kläger beantragte daraufhin die Anerkennung des Vorfalls als Dienstunfall beim Landesamt für Finanzen und erhob nach der Ablehnung seines Antrags Klage zum Verwaltungsgericht München. Das Gericht wies seine Klage nun mit folgender Begründung als unbegründet zurück:

Unfälle die sich innerhalb eines von der dienstlichen Tätigkeit umfassten räumlichen und zeitlichen Rahmens ereignen, seien nur dann Dienstunfälle, wenn sie nicht auf einem Verhalten des geschädigten Beamten beruhen, das mit seinen dienstlichen Obliegenheiten nicht in Zusammenhang gebracht werden kann.2 Wenn die Tätigkeit eindeutig dem privaten Bereich zuzurechnen ist, fehle – so das VG – der Zusammenhang zwischen Dienst und Unfallereignis. Es entspricht nach Ansicht des Gerichts dieser Sichtweise, den Aufenthalt in einer Toilettenanlage zum Verrichten der Notdurft vom Dienstunfallschutz auszunehmen, denn dabei handelt es sich um eine rein private Angelegenheit. Auch nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung sei die Verrichtung der Notdurft eine typisch persönliche Verrichtung, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Arbeit steht und daher nur bei Mitwirkung von besonderen Betriebsgefahren versichert sein kann. Die Abgrenzung zwischen der versicherten Tätigkeit und der privaten Verrichtung erfolge auch im Sozialrecht mit Durchschreiten der Toilettentüre.3

Und weiter: Zwar sei der Beamte durch die Pflicht zur Anwesenheit in der Dienststelle gezwungen, seine Notdurft an einem anderen Ort zu verrichten, als er dies von seinem häuslichen Bereich aus nach seinen Gepflogenheiten getan hätte. Das dadurch entstehende Risiko werde aber dadurch ausreichend abgedeckt, dass schon der Weg zur Toilette und von der Toilette zurück zum Arbeitsplatz dem Dienstunfallschutz unterliege. Beim Verrichten der Notdurft selbst besteht nach Auffassung des VG dagegen kein innerer Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit, sodass auch das Argument, es handle sich nur um eine ganz kurze, in die betriebliche/dienstliche Tätigkeit eingeschobene Verrichtung, zu keinem anderen Ergebnis führen könne.

So entschied jedenfalls das VG München mit einem Verweis auf die sozialgerichtliche Rechtsprechung.4 Als praktikables Abgrenzungskriterium, dessen die Handhabung der Dienstunfallvorschriften bedarf, sei nach der Entscheidung des VG München die Außentüre der Toilettenanlage zu sehen. Dabei ist – so das Gericht – „nicht maßgeblich, ob es sich lediglich um eine einzelne Toilettenanlage handelt, die zusätzlich zu den eigentlichen Toilettenbecken auch Waschbecken und andere Sanitäreinrichtungen aufweist. Da das Aufsuchen der Toilette einen einheitlichen Vorgang bildet, endet der Dienstunfallschutz auf dem Weg zur Toilette mit dem Betreten der zur Toilette zählenden Räumlichkeiten und lebt mit deren Verlassen wieder auf. Der dienstunfallrechtlich nicht geschützte Bereich umfasse dabei nach natürlicher Betrachtungsweise nicht nur das Verrichten der Notdurft selbst, sondern auch den gesamten Aufenthalt in der Toilettenanlage“. Damit gehören auch das regelmäßig nachfolgende (und hoffentlich tatsächlich vorgenommene) Händewaschen, das Erfrischen, das Kämmen der Haare, das Ordnen der Kleidung usw. als eigenwirtschaftliche Tätigkeiten nicht in den vom Dienstunfallrecht geschützten Bereich.

In dem vorliegenden Fall hat das VG München entschieden, dass das Einklemmen des rechten Mittelfingers während des Verlassens des Urinalbereichs der Toilettenanlage nicht als Dienstunfall des Klägers angesehen werden könne, denn das Ereignis erfolgte nicht in Ausübung oder als Folge des Dienstes, sondern während einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit. Entscheidend war nach dem Gericht folgender Umstand: Der Kläger hätte auch eine Toilette aufsuchen müssen, wenn er sich nicht im Dienst befunden hätte.

Die Tatsache, dass sich das vorliegende Ereignis zwischen den beiden Räumen der Toilettenanlage zugetragen hatte, konnte dabei nach dem VG München zu keiner anderen Einschätzung führen. Von der Eigenwirtschaftlichkeit der Verrichtung der Notdurft sei nämlich die gesamte Toilettenanlage inklusive aller Räume, die Bestandteile der Anlage sind, umfasst. Daran änderte im vorliegenden Fall auch die Tatsache nichts, dass die äußere Türe der Toilettenanlage durch einen „Holzkeil in offener Stellung festgeklemmt“ war. Grund: Eine geöffnete Türe verändert die Abgrenzung der Toilettenanlage von dem davorliegenden Flur gerade nicht. Erst beim Verlassen der Toilettenanlage werde mit dem Durchschreiten der Türe diese Abgrenzung überschritten.

Weiterhin entschied das Gericht: Zwar erscheint es logisch, dass der Gang zur Toilette üblich und auch hilfreich ist, um den Dienst unbeeinträchtigt weiter ableisten zu können. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Beschädigung aus einer privatwirtschaftlichen Verrichtung wie einem Toilettengang oder der Nahrungsaufnahme besteht.

Interessant sind in diesem Zusammenhang weiterhin auch folgende Ausführungen des Gerichts: „Dass die Toilettenanlage durch die Anordnung der Außen- sowie der Zwischentüre in bestimmten Konstellationen allgemein besonders gefahrträchtig gewesen wäre oder die vorliegenden Verhältnisse zu besonderen Gefahren geführt hätten, wäre für sich alleine ebenfalls nicht geeignet, einen ursächlichen Zusammenhang des Unfallgeschehens mit dem Dienst herzustellen.“

Rückschluss: Eine solche Situation – die nicht durch die Dienstunfallfürsorge abgedeckt wird – läge wohl auch dann vor, wenn dem Beamte für den üblichen Reinigungsvorgang ein Toilettenpapier zur Verfügung gestellt würde, dessen Verwendung aufgrund eines zu hohen Holzanteils zu einer Verletzung durch im Reinigungsmaterial befindliche kleine Holzsplitter geführt hätte. Gleiches wäre der Fall, wenn der Beamte auf einer vom Reinigungspersonal nicht entfernten Pfütze vor dem Urinal ausgerutscht wäre und sich beim anschließenden Sturz auf dasselbe Kopfverletzungen zugezogen hätte. Ein Dienstunfallschutz würde außerdem nicht gewährt, wenn der Beamte bei dem üblicherweise dem Reinigungsvorgang unmittelbar folgenden Händewaschen deshalb Brandverletzungen davongetragen hätte, weil das Wasser viel zu heiß aus dem in der Anlage befindlichen Boiler gelaufen wäre.

Eine Gefahrerhöhung, wie sie anhand der dargestellten Fälle beschrieben wurde, könnte nach der Entscheidung des VG München allenfalls einen Anspruch auf Gewährung von Schadensersatz wegen Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht oder der allge-meinen Verkehrssicherungspflichten begründen. Der geltend gemachte Anspruch auf Aner-kennung eines Dienstunfalles sowie die daraus folgende Gewährung beamtenrechtlicher Dienstunfallfürsorgeleistungen könnten auf solche körperliche Schädigungen jedenfalls nicht gestützt werden – entschied das Gericht.

Fazit:
Nicht beim Gang zu oder von der Verrichtung eines Bedürfnisses ist für den Beamten eine besondere Vorsicht geboten, sondern während der Verrichtung und aller damit zusammenhängenden, in einer engen zeitlichen Beziehung stehenden vor- und nachbereitenden Handlungen. Auch die Tatsache, dass ohne eine Befriedigung des menschlichen Bedürfnisses eine Fortsetzung der dienstlichen Tätigkeit wohl selbst nach richterlicher Einschätzung und Erfahrung nicht oder zumindest nicht mit der dafür erforderlichen Konzentration möglich ist, konnte zu keiner für den Beamten positiven Entscheidung führen. Dem Beamten ist deshalb zu raten, nach Möglichkeit entsprechende Bedürfnisse bis zur Heimfahrt zu unterdrücken, weil dann unter Umständen wieder ein Dienstunfallschutz besteht, wie im Rahmen des Beitrags Die Notdurft des Beamten als Dienstunfall anhand einer weiteren Entscheidung desselben Verwaltungsgerichts verdeutlicht wurde.

Übrigens:
Der Kläger hatte eine detaillierte Skizze vom Unfallhergang und mehrere Lichtbilder der örtlichen Situation vorgelegt, was ihm jedoch nicht zum Erfolg seiner Klage verhalf.

Weitere „kuriose“ Entscheidungen zum Dienstunfallrecht finden Sie unter Zeckenbiss und Wespenstich als Dienstunfall.

Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
_______________________________

1 Az.: M 12 K 13.1024
2 BVerwG v. 24.10.1963, 2 C 10/62
3 BayLSG v. 28.9.2011, Az.: L 18 U 354/09
4 BayLSG v. 6.5.2013, Az.: L 3 U 323/01


Zur Dienstunfall vgl. insbesondere:

  • Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht, § 31 BeamtVG, Rn. 1 f.

  • Schütz/Maiwald, Beamtenversorgungsgesetz, § 31 BeamtVG, Rn. 1 ff.

Mein Kommentar
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2 Kommentare zu diesem Beitrag
kommentiert am 19.04.2018 um 09:34:
Mittlerweile hat das BVerwG hierzu aber – richtigerweise - eine andere Rechtsauffassung vertreten: Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Dienstunfallfürsorge liegen in einem über die allgemeine Fürsorge hinausgehenden besonderen Schutz des Beamten bei Unfällen, die außerhalb seiner privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre im Bereich der in der dienstlichen Sphäre liegenden Risiken eintreten, also in dem Gefahrenbereich, in dem der Beamte entscheidend aufgrund der Anforderungen des Dienstes tätig wird. Dies gilt – so das BVerwG - grundsätzlich auch für den Aufenthalt in einem Toilettenraum des Dienstgebäudes. Siehe dazu: BVerwG, ZBR 2017, 196ff.
kommentiert am 06.02.2015 um 17:51:
Ein sehr interessanter Beitrag! Wie wäre es denn, wenn man auf dem Weg zum "Ort" dem Druck nicht mehr standhält und sich dann dabei verletzt?
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