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Vom Irrsinn des Bundesgesetzgebers

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Die Sonderurlaubsverordnung (SUrlV) gilt bekanntlich für Beamte des Bundes. Durch Art. 3 der Dritten Verordnung zur Änderung der Sonderurlaubsverordnung vom 16. März 2023 (BGBl I Nr. 8) wurde § 21a in die Verordnung aufgenommen. Diese Vorschrift ist – zumindest in wichtigen Teilen – nichtig und damit unwirksam.

Liebe Leserin, lieber Leser,

der neue § 21a SUrlV lautet:

„(1) Sonderurlaub ist einer Beamtin oder einem Beamten zu gewähren,

  1. wenn es aus medizinischen Gründen notwendig ist, dass sie oder er bei einer stationären Krankenhausbehandlung eines Menschen, bei dem die Voraussetzungen des § 2 Absatz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch vorliegen, zur Begleitung mitaufgenommen wird

    a) als nahe Angehörige oder naher Angehöriger im Sinne des § 7 Absatz 3 des Pflegezeitgesetzes oder

    b) als eine Person aus dem engsten persönlichen Umfeld und


  2. wenn die Voraussetzungen des § 44b Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe c und d und Nummer 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorliegen.

    (2) Der Anspruch auf den Sonderurlaub besteht für die Dauer der notwendigen Mitaufnahme.

    (3) Unterschreiten die Dienstbezüge oder Anwärterbezüge der Beamtin oder des Beamten die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Absatz 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch oder sind sie gleich hoch, so erfolgt die Gewährung des Sonderurlaubs für 80 Prozent der Dauer der notwendigen Mitaufnahme unter Fortzahlung der Besoldung. Für die verbleibenden 20 Prozent erfolgt die Gewährung des Sonderurlaubs unter Wegfall der Besoldung.

    (4) Überschreiten die Dienstbezüge oder die Anwärterbezüge einer Beamtin oder eines Beamten die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Absatz 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, so erfolgt die Gewährung des Sonderurlaubs für die Dauer der notwendigen Mitaufnahme unter Wegfall der Besoldung.

    (5) Der Mitaufnahme steht die ganztägige Begleitung gleich.

Wenn man nun mit der Vorschrift arbeiten will, so muss man gleich mehrere andere Gesetze kennen.

  • Zunächst verweist § 21a SUrlV auf § 2 Abs. 1 SGB IX. Dieser lautet:
    Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

Nun, das wäre auf den ersten Blick noch kein Problem. Behindert ist nach § 2 Abs. 2 SGB IX bekanntlich, wem eine GdB von mindestens 50 vom zuständigen Versorgungsamt bescheinigt wurde und wer seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches hat.

§ 156 SGB IX wiederum lautet:

(1) Arbeitsplätze im Sinne dieses Teils sind alle Stellen, auf denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden.

(2) Als Arbeitsplätze gelten nicht die Stellen, auf denen beschäftigt werden:

1. behinderte Menschen, die an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 Absatz 3 Nummer 4 in Betrieben oder Dienststellen teilnehmen,

2. Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt ist, und Geistliche öffentlich-rechtlicher Religionsgemeinschaften,

3. Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient und die vorwiegend zu ihrer Heilung, Wiedereingewöhnung oder Erziehung erfolgt,

4. Personen, die an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach dem Dritten Buch teilnehmen,

5. Personen, die nach ständiger Übung in ihre Stellen gewählt werden,

6. Personen, deren Arbeits-, Dienst- oder sonstiges Beschäftigungsverhältnis wegen Wehr- oder Zivildienst, Elternzeit, unbezahlten Urlaubs, wegen Bezuges einer Rente auf Zeit oder bei Altersteilzeitarbeit in der Freistellungsphase (Verblockungsmodell) ruht, solange für sie eine Vertretung eingestellt ist.

(3) Als Arbeitsplätze gelten ferner nicht Stellen, die nach der Natur der Arbeit oder nach den zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen nur auf die Dauer von höchstens acht Wochen besetzt sind, sowie Stellen, auf denen Beschäftigte weniger als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt werden.

 

Lieber Leser, liebe Leserin: Lesen Sie noch mit, oder haben Sie sich bereits „ausgeklinkt“?

Aber das Entscheidende kommt doch erst noch!

Die Angehörigeneigenschaft wird durch einen Verweis auf § 7 Absatz 3 des Pflegezeitgesetzes definiert.

Nahe Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind danach:

  1. Großeltern, Eltern, Schwiegereltern, Stiefeltern,

  2. Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, Geschwister, Ehegatten der Geschwister und Geschwister der Ehegatten, Lebenspartner der Geschwister und Geschwister der Lebenspartner,

  3. Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder, die Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartners, Schwiegerkinder und Enkelkinder.

Warum kann der Angehörigenbegriff nicht einheitlich in der bereits bestehenden – allgemeinen - Vorschrift des § 20 VwVfG geregelt werden? Nein: Deutschland befindet sich offensichtlich nach wie vor im Regulierungswahnsinn!

Auch interessant: Was dagegen eine „Person aus dem engsten Umfeld“ (§ 21a Abs. 1 Nr. 1b SUrlV) ist, das wird noch nicht einmal ansatzweise erwähnt.

Und jetzt kommt es gleich noch „ganz dick“:

Eine Tatbestandsvoraussetzung in § 21a Abs. 1 SUrlV ist, dass jemand „zur Begleitung mitaufgenommen wird“. Nun liest man in Abs. 5, „Die Mitaufnahme steht der Begleitung gleich.“ So mancher Anwender wird sich hier bereits die Frage stellen, wie das jetzt wieder zu verstehen ist??????

Unglaublich, aber wahr: Es gibt sogar noch eine Steigerung:

Nach § 21a Abs. 1 Nr. 1 SUrlV kann Sonderurlaub nur gewährt werden, wenn die Voraussetzungen des § 44b Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe c und d und Nummer 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorliegen.

Hier heißt es dann:

(1) Ab dem 1. November 2022 haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn sie

1. zur Begleitung eines Versicherten bei einer stationären Krankenhausbehandlung nach § 39 mitaufgenommen werden…….

c) der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches, § 35a des Achten Buches oder § 27d Absatz 1 Nummer 3 des Bundesversorgungsgesetzes erhält und

d) der keine Leistungen nach § 113 Absatz 6 des Neunten Buches in Anspruch nimmt-------

3. gegenüber dem begleiteten Versicherten keine Leistungen der Eingliederungshilfe gegen Entgelt nach Teil 2 des Neunten Buches, § 35a des Achten Buches oder § 27d Absatz 1 Nummer 3 des Bundesversorgungsgesetzes erbringen und

Nun wird also erneut auf mehrere Vorschriften in anderen Gesetzen verwiesen und wenn Sie wollen, dann verfolgen Sie das gerne weiter! Für mich ist jedenfalls hier Ende und das hat folgenden Grund:

Das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG gebietet:

Gesetze sind so zu erlassen, dass Sie der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit dienen!

 – und davon kann bei § 21a SUrlV keinesfalls die Rede sein!

Diese neue Regelung verstößt gegen dieses Gebot und ist damit schlichtweg nichtig!

Fazit:
Man sollte sich nicht wundern, wenn der „normal denkende Durchschnittsbürger“, für den die Gesetze ja erlassen werden, diese Bundesgesetzgebung für einen „blanken Irrsinn“ hält“ – und das ist sie wohl auch…………………

 

Ihr

Dr. Maximilian Baßlsperger


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Der nächste Beitrag erscheint nach dem Tag der Deutschen Einheit am 9.10.2023

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11 Kommentare zu diesem Beitrag
kommentiert am 28.11.2023 um 14:54:
Vielen Dank für Ihre Stellungnahmen. Ergänzend müsste man wohl noch anmerken, dass zum einen jeder Sonderurlaub nichts anderes als die vom Gesetzgeber realisierte Fürsorgepflicht des Dienstherrn darstellt und zum anderen diese Fürsorgepflicht vielleicht doch überstrapeziert wird, wenn man die Freistellung auch bei weniger als 30 % Behinderung gewährleisten würde.
kommentiert am 14.10.2023 um 11:36:
Ich finde es eigentlich nicht verworrener als Ihre Lösung - denn ob jemand 30% oder 50% rechtsgültig festgestgestellt hat, ist auch nicht „für jeden erkennbar“. Wer näher mit dem Rechtsgebiet befasst ist, weiß es. So ist es übrigens mit den meisten Rechtsgebieten.
kommentiert am 14.10.2023 um 10:44:
Ich finde es eigentlich nicht verworrener als Ihre Lösung - denn ob jemand 30% oder 50% rechtsgültig festgestgestellt hat, ist auch nicht „für jeden erkennbar“. Wer näher mit dem Rechtsgebiet befasst ist, weiß es. So ist es übrigens mit den meisten Rechtsgebieten.
kommentiert am 14.10.2023 um 08:47:
Das Ganze erscheint mir doch recht verworren und in der Praxis nicht durchführbar. Es muss im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit (siehe Blog) dabei bleiben: Schwerbehindert ist man mit einem GdB von 50 %, gleichgestellt bei 30% und dem entsprechendem Verwaltungsakt, der die Gleichstellung rechtsverbindlich feststellt. Alles andere ist praxisfremd und nicht durchführbar!
kommentiert am 13.10.2023 um 21:32:
Wenn der entsprechende Bescheid des „Versorgungsamts“ rechtskräftig ist, ist die Feststellung rechtsgültig und verbindlich. Das bedeutet noch lange nicht, dass das auch „für jeden erkennbar“ ist - einige Behinderungen sind „unsichtbar“ (z.B. psychische Erkrankungen). Mangelnde „allgemeine Erkennbarkeit“ gibt es im Rechtswesen allerdings häufiger….
kommentiert am 13.10.2023 um 18:35:
Vielen Dank für den interessanten Meinungsausrausch! Das klingt zwar logisch, aber wer sollte diese Voraussetzung denn verbindlich, damit für jeden erkennbar und rechtsgültig feststellen oder auch nur erkennen? Gewisse Zweifel bleiben also immer noch bei mir....
kommentiert am 13.10.2023 um 17:10:
Liebe(r ) K.H., zur dritten Gruppe gehören Menschen mit einem GdB von 20% und Menschen mit einem GdB von 30% oder 40%, die keinen Antrag auf Gleichstellung gestellt haben, weil sie keine Unterstützung in der Arbeitswelt brauchen (aus welchen Gründen auch immer). Der GdB wird ärztlich festgestellt und kann unterschiedlichste Ursachen haben. Mit freundlichen Grüßen
kommentiert am 13.10.2023 um 13:43:
Liebe(r) B.B. Danke für die rasche (und sehr gut formulierte) Antwort. Dennoch: Es ist wohl für keinen Bürger nachvollziehbar, um welchen Personenkreis es sich bei der von Ihnen beschriebenen 3. Gruppe von Schwerbehinderten handeln soll. Nennen Sie dazu vielleicht ein Beispiel! Das Ganze ist doch - Ihre Auffassung unterstellt - für den "normalen" Rechtsanwender mehr als nur verwirrend....
kommentiert am 13.10.2023 um 09:18:
Liebe(r) K.H., ich weiß nicht, was der Gesetzgeber beabsichtigte, aber schwerbehindert sind Menschen mit einem GdB ab 50%. Die Gleichstellung wird von der Arbeitsagentur auf Antrag festgestellt ab einem GdB von 30% und bezieht sich nur auf die Teilnahme am Arbeitsleben. Es gibt also Menschen mit GdB, die weder schwerbehindert noch gleichgestellt sind sondern "nur" behindert. Für sie ist der § 2 Abs. 1 SGB IX gedacht, damit auch sie in den Genuss gewisser Nachteilsausgleiche kommen können. Zu beurteilen, ob dies sinnlos ist, entzieht sich meiner Kompetenz. Über die Berechtigung des PflegeZG zur Regelung des Angehörigenbegriffs habe ich nicht geurteilt - so man die minimale Unterscheidung zwischen der Definition im PflegeZG und der im VwVfG für sinnvoll hält, hätte vielleicht auch ein zusätzlicher Absatz im § 20 VwVfG eingefügt werden können, um die Definitionen an einem Platz zu haben. Aber das war nicht mein Ansatz - ich wollte monieren, dass der Autor die Doppelregelung dem § 21a SUrlV anlastet, obwohl sie durch das PflegeZG entstanden ist.
kommentiert am 13.10.2023 um 07:17:
Liebe(r). B.B. Kann man bei "Art." 2 SGB IX den Abs. 2 und den Abs. 1 denn überhaupt so trennen, wie Sie das meinen? Entsteht dann nicht neben Schwerbehinderten und Gleichgestellten eine 3. Kategorie, die der Gestzgeber gar nicht beabsichtigte und die völlig sinnlos wäre? Und woraus ergibt sich denn überhaupt die Berechtigung des PfleheZG für die Sonderregelung des Angehörigenbegriffs? Auf jeden Fall haben Sie und der Autor insofern Recht, als diese Art der Gestzgebung ein "Unding" ist, das wohl nur eingefleischte Bürokraten erlassen haben konnten!
kommentiert am 11.10.2023 um 11:08:
Sehr geehrter Herr Dr. Baßlsperger, ich stimme Ihnen zu, dass die Regelungswut die Akzeptanz für den Staat nicht erhöht, aber Sie sollten schon genau sein: - Art. 2 Abs. 2 SGB IX spricht von Schwerbehinderung, anders als Abs. 1. Im Zusammenhang mit § 21a SUrlV hat Abs. 2 nichts verloren und darum auch nicht § 156 SBG IX. - Die Doppelregelung des Angehörigenbegriffs können Sie nicht 21a SUrlV anlasten sondern höchstens § 7 Abs. 3 PflegeZG, der diese Doppelregelung ja in die Welt gesetzt hat. § 7 Abs. 3 PflegeZG unterscheidet sich im übrigen leicht von § 20 VwVfG, so dass man auch durchaus beide für berechtigt halten kann. - Rechtsverweisungen sind durchaus üblich, sonst müsste ganz schön viel Text wiederholt werden und Vorschriften wären erst Recht unlesbar. - § 21a Abs. 1 Nr. 1 SUrlV setzt Mitaufnahme voraus. Ohne den Abs. 5 wären damit Personen, die ambulante, also nicht aufgenommene Patienten begleiten, nicht erfasst. Abs. 5 stellt deshalb die ganztätige Begleitung der Mitaufnahme gleich. Daran ist nichts doppelt oder unverständlich. - Die Verwendung des Wortes "bekanntlich" halte ich für nicht unproblematisch, da es eine gewisse Herablassung dem Gesprächspartner gegenüber suggeriert (genauso wie "natürlich"). Nach dem Motto " das weiß man ja, das weiß ja jeder - wie, sie wissen das nicht? Wie können Sie nur...". Mit freundlichen Grüßen
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