6% Zinssatz jährlich – wo gibt es denn in einer Phase anhaltender Niedrigzinsen sowas? Im Steuerrecht – und damit auch im Kindergeldrecht! Doch jetzt hat der Bundesfinanzhof (BFH) in seiner Entscheidung vom 25.4.2018, IX B 21/18 ernstliche Zweifel an der Verfassungskonformität des Zinssatzes nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO angemeldet. Auch beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sind dazu zwei Verfahren anhängig: 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17; ggf. werden diese Verfahren noch im Jahr 2018 entschieden. Mit BMF-Schreiben vom 14.6.2018, IV A 3 – S 0465/18/10005-01 wurde nunmehr geregelt, dass auf Antrag des Zinsschuldners im Einspruchsverfahren Aussetzung der Vollziehung gewährt werden kann.
Der Zinssatz von 0,5% monatlich – und damit 6% jährlich – gilt im Steuerrecht seit dem Jahr 1961 unverändert für folgende Sachverhalte:
Ein weiterer Verzinsungsanspruch im Kindergeldrecht ergibt sich aus § 74 Abs. 2 EStG i. V. m. den §§ 102 ff. SGB X zugunsten von bestimmten Sozialleistungsträgern für deren Erstattungsansprüche gegen die Familienkassen. Für diese Ansprüche sind nach § 108 Abs. 2 SGB X 4% Zinsen jährlich vorgesehen; vgl. dazu Rz. 393 – 415 zum gesamten steuerrechtlichen Erhebungsverfahren in der Kommentierung des Verlages Kindergeldrecht im öffentlichen Dienst. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich nicht auf diese Zinsansprüche – auch wenn diese sicherlich ebenfalls nicht mehr dem marktüblichen Zinsniveau entsprechen.
In seiner aktuellen Entscheidung IX B 21/18 hat der BFH erstmalig ausgeführt, dass die realitätsferne Bemessung des Zinssatzes von 6% jährlich im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und das Übermaßverbot zumindest für Verzinsungszeiträume ab dem 1.4.2015 schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnet; zuvor war der BFH stets noch von der Verfassungsmäßigkeit des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ausgegangen, letztmalig mit Urteil III R 10/16 für in das Jahr 2013 fallende Verzinsungszeiträume.
Dies und die beiden o. g. anhängigen Verfahren vor dem BVerfG haben die Finanzverwaltung nunmehr dazu bewegt, eine Regelung zur Aussetzung der Vollziehung (§ 361 Abs. 2 Satz 2 AO – vgl. dazu Rz. 131 ff. zu § 77 EStG in der Kommentierung des Verlages Kindergeldrecht im öffentlichen Dienst) von vollziehbaren Zinsfestsetzungen zu treffen. Dafür gelten nach Ziffer I. Abs. 1 des o. g. BMF-Schreibens auch im Kindergeldrecht die folgenden Voraussetzungen:
Nach Ziffer II. des o. g. BMF-Schreibens kommt eine Aussetzung der Vollziehung für Verzinsungszeiträume vor dem 1.4.2015 hingegen nur in Betracht, „wenn die Verzinsung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte und im Einzelfall ein besonders berechtigtes Interesse des Antragstellers zu bejahen ist“. Im dortigen Absatz 3 macht der BMF aber sogleich deutlich, dass für diese Zeiträume i. d. R. keine Aussetzung der Verzinsung zu gewähren ist. Dies wird damit begründet, dass dem „Geltungsanspruch der formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Zinsvorschriften … für Verzinsungszeiträume vor dem 1. April 2015 der Vorrang einzuräumen“ ist. Auch sei der Eingriff beim Steuerpflichtigen „als eher gering einzustufen“ und habe „keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen“.
Klaus Lange
Gerne können Sie auch unser Kontaktformular benutzen und wir melden uns bei Ihnen.
Kontaktformular