BMF-Schreiben zur steuerlichen Berücksichtigung volljähriger Kinder – Auslegung der Begriffe „Erstausbildung“ und „Erststudium“
Das Schreiben ersetzt das BMF-Schreiben vom 07.12.2012 zu dieser Thematik.
Neben einigen Ausführungen zur Berücksichtigung behinderter Kinder am Ende des Schreibens, die keine Neuerungen oder Ergänzungen gegenüber A 18 Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz, Stand 2015 (DA-KG) beinhalten, liefert das Schreiben Regelungen zur Berücksichtigung volljähriger Kinder nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums. Hierbei wird die aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) berücksichtigt, wodurch sich an einzelnen Stellen Abweichungen von den Weisungen unter A 19 DA-KG ergeben, die hier zunächst näher beleuchtet werden sollen. Anschließend wird versucht anhand von Beispielen Aspekte des Schreibens zu veranschaulichen.
1. Abweichungen/Ergänzungen gegenüber der DA-KG
Das BMF-Schreiben konkretisiert und erweitert teilweise die bestehenden Weisungen der DA-KG hinsichtlich der Fragestellung, wann eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen ist (Randziffern 12b und 12c des Schreibens). Hierzu führt das BMF aus, dass, wenn auf Grund objektiver Beweisanzeichen erkennbar ist, dass das Kind sein angestrebtes Berufsziel noch nicht erreicht hat, auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein kann, die Prägung und Auslegung des Begriffs der „mehraktigen Ausbildung“ durch den BFH übernimmt das BMF. „Abzustellen“, so das BMF weiter, „ist dabei darauf, ob die weiterführende Ausbildung in einem engen sachlichen Zusammenhang mit der nichtakademischen Ausbildung oder dem Erststudium steht und im engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt wird (…). Ein enger sachlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die nachfolgende Ausbildung z. B. dieselbe Berufssparte oder denselben fachlichen Bereich betrifft. Ein enger zeitlicher Zusammenhang liegt vor, wenn das Kind die weitere Ausbildung zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufnimmt oder sich bei mangelndem Ausbildungsplatz zeitnah zum nächstmöglichen Zeitpunkt für die weiterführende Ausbildung bewirbt.“
Begrüßenswert ist aus Sicht des Autors, dass das BMF in diesem Zusammenhang auch die Unschädlichkeit von Verzögerungen betont, „die z. B. aus einem zunächst fehlenden oder einem aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt verfügbaren Ausbildungsplatz resultieren. Unschädlich ist es auch, wenn das Kind infolge Erkrankung oder wegen eines Beschäftigungsverbots nach den §§ 3 und 6 Mutterschutzgesetz daran gehindert ist, die weitere Ausbildung aufzunehmen. Erst wenn die für das von Kind und Eltern bestimmte Berufsziel geeigneten Grundlagen erreicht sind, stellt eine weitere Ausbildung eine Weiterbildung oder eine Zweitausbildung dar.“ An dieser Stelle wird ein weiterer Bogen geschlagen, als er sich aus der BFH-Rechtsprechung und der DA-KG bereits ergibt.
Setzt das angestrebte Berufsziel keinen weiterführenden Abschluss voraus, handelt es sich dagegen nach Maßgabe des BFH-Schreibens bei weiteren Ausbildungsmaßnahmen nach Abschluss der erstmaligen Berufsausbildung (auch weiterhin) um eine Weiterbildung oder eine Zweitausbildung. Eine Berücksichtigung des Kindes ist dann nach § 32 Absatz 4 Satz 2 EStG nur möglich, wenn das Kind keiner anspruchsschädlichen Erwerbstätigkeit nachgeht oder es sich bei den Ausbildungsmaßnahmen um ein Ausbildungsdienstverhältnis handelt (§ 32 Absatz 4 Satz 3 EStG).
In Übernahme der Rechtsauffassung des BFH wird in dem BMF-Schreiben hinsichtlich der Berücksichtigung von Bachelor- und Masterstudiengängen nunmehr klargestellt dass bei „konsekutiven Masterstudiengängen an einer inländischen Hochschule (…) von einem engen sachlichen Zusammenhang auszugehen ist.“ Als konsekutiv werden Studiengänge bezeichnet, in denen ein Masterstudium auf ein vorausgegangenes Bachelorstudium aufbaut. Masterstudiengänge erfolgen zum weit überwiegenden Teil in konsekutiver Form. Ausnahmsweise können Masterstudiengänge nicht-konsekutiv an beliebige, abgeschlossene Studiengänge anschließen oder auf Grundlage qualifizierter berufspraktischer Erfahrungen durchgeführt werden.
Nach Randziffer 32 Satz 2 des o. g. BMF-Schreibens sind die vorstehend beschriebenen Regelungen ab dem Veranlagungszeitraum (VZ) 2015 und im Übrigen auf alle offenen Fälle anzuwenden. Die generelle Anwendung bereits ab dem VZ 2015 beschränkt sich allerdings auf Fälle im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung durch die Finanzämter. Im steuerlichen Kindergeldrecht hingegen kommt eine rückwirkende Anwendung nur in offenen Fällen in Betracht. Offen sind Fälle, in denen noch keine Entscheidung mit negativem Regelungsgehalt (insbesondere Aufhebung oder Ablehnung) der Familienkasse mit Bindungswirkung/Bestandskraft für einen innerhalb der mindestens vierjährigen Festsetzungsfrist (§ 169 AO) liegenden Zeitraum ergangen ist. Vgl. Beispiel 6 unter 2.
2. Beispiele
In den folgenden Beispielen wird dargestellt, wann (noch) von einer erstmaligen Berufsausbildung oder einem Erststudium auszugehen ist, in deren Rahmen nebenher ausgeübte Beschäftigungen unabhängig von ihrem Umfang unschädlich für die Berücksichtigungsfähigkeit beim Kindergeldanspruch sind.
In allen Beispielen wird vorausgesetzt, dass keine anderweitige erstmalige Berufsausbildung und auch kein Erststudium abgeschlossen wurde.
Beispiel 1 – Studium nach Fachschule
Ein Kind hat im Juli eines Jahres erfolgreich eine schulische Ausbildung zum Erzieher abgeschlossen und bemüht sich zum nächstmöglichen Termin an der infrage kommenden Hochschule „Sommersemester“ des Folgejahres um einen Studienplatz mit dem Ziel „Fachwirt für Erziehungswesen“. – Ein enger sachlicher Zusammenhang besteht zweifelsohne, ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht ebenfalls, weil dem Kind ein früherer Beginn nicht möglich ist; daher ist das Studium noch Teil der Erstausbildung.
Beispiel 2 – Studium nach Fachschule
Ein Kind hat im Juni eines Jahres erfolgreich eine schulische Ausbildung zum Erzieher abgeschlossen und arbeitet im Anschluss daran an einer Schule. Er bemüht sich im übernächsten Jahr um einen Studienplatz mit dem Ziel „Fachwirt für Erziehungswesen“. – Ein sachlicher Zusammenhang besteht hier zwar, doch ist er nicht „eng“ im Sinne des BMF-Schreibens, da der ursprünglich angestrebte Abschluss mit dem erfolgreichen Absolvieren der Erzieherausbildung bereits erworben wurde. Ein enger zeitlicher Zusammenhang ist nicht gegeben.
Beispiel 3 – duales Studium
Ein Kind befindet sich in einem dualen Studium, das zum einen eine betriebliche Berufsausbildung zum Steuerfachangestellten und zum anderen ein Studium „Steuerrecht“ bei einer Fachhochschule mit dem angestrebten Abschluss als Bachelor of Arts beinhaltet. Die Prüfung zum Steuerfachangestellten wurde im Juni 2015 erfolgreich absolviert, das Bachelorstudium dauert noch bis voraussichtlich September 2016 an. Nach der erfolgreichen Prüfung ist das Kind neben dem Studium mehr als 20 Stunden wöchentlich als Steuerfachangestellter erwerbstätig. – Da die erstmalige Berufsausbildung insgesamt noch nicht abgeschlossen wurde, ist die Erwerbstätigkeit bei der Prüfung des Anspruchs unbeachtlich.
Beispiel 4 – (konsekutives) Studium
Ein Kind befindet sich nach erfolgreichem Abschluss eines Bachelorstudiengangs im Fachbereich Betriebswirtschaftslehre im anschließenden, darauf aufbauenden Studiengang mit dem Ziel des Abschlusses als Master of Arts. – Das Masterstudium ist als Teil des konsekutiven Studiengangs Teil eines Erststudiums. In diesen Fällen ist, so das BMF-Schreiben, stets von einem engen sachlichen Zusammenhang auszugehen; ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht ebenfalls.
Beispiel 5 – (konsekutives) Studium
Ein Kind hat eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert und ist bereits nach wenigen Jahren in das Management seiner Kreissparkasse aufgestiegen. Zur Vertiefung seiner Kenntnisse beginnt es nun mit einem Studium zur Erlangung eines Abschlusses als Master of Business Administration. – Das nun angetretene Studium ist nicht mehr Teil einer Erstausbildung. Der Studiengang verläuft auch nicht konsekutiv, da nicht an ein vorausgegangenes Bachelorstudium angeknüpft wird. Es fehlt hier am engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang.
Beispiel 6 – Anwendungsregel:
Für ein Kind wurde Kindergeld bis einschließlich Juli 2015 festgesetzt und gewährt, weil es eine betriebliche Berufsausbildung absolvierte. Ab August 2015 beantragte der Berechtigte das Kindergeld für dieses Kind, weil es erneut nach § 32 Absatz 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG als Kind in Ausbildung zu berücksichtigen war. Allerdings lehnte die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 7.1.2016 ab, weil das Kind neben der Ausbildung mit 25 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist (§ 32 Absatz 4 Satz 2 und 3 EStG).
Am 15.6.2016 beantragt der Berechtigte erneut das Kindergeld für das Kind. Auf Grundlage der vorstehend beschriebenen Neuregelung kommt die Familienkasse zum Ergebnis, dass die ab August 2015 absolvierte Ausbildungsmaßnahme Teil einer einheitlichen (mehraktigen) Erstausbildung ist, mithin noch keine abgeschlossene Erstausbildung vorliegt, weshalb eine nebenher ausgeübte Erwerbstätigkeit in jedem Fall anspruchsunschädlich ist.
Der bestandskräftige Ablehnungsbescheides vom 7.1.2016 erlangte für die Zeit vom August 2015 bis Januar 2016 (Monat der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides) Bindungswirkung, weil dagegen nicht innerhalb der einmonatigen Frist Einspruch eingelegt wurde. Kindergeld kann damit nur für den „offenen“ Zeitraum ab Februar 2016 festgesetzt und gewährt werden.
Thorsten Weinhold

