Fachkräftemangel
Liebe Leserin, lieber Leser,
was hat der Fachkräftemangel und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz jetzt mit der Lohnsteuer zu tun? Nun, vordergründig eigentlich nur den Bezug zur Arbeitnehmerschaft. Aber, wie es der Zufall will, habe ich im zeitlichen Zusammenhang mit dem vergeblichen Versuch an einem Mittwochabend einen Tisch in einem Restaurant zu reservieren, morgens einen Artikel in meiner Tageszeitung zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz gelesen, sowie tagsüber im Büro die Rechtsfrage zu einem anhängigen Revisionsverfahren beim BFH gelesen. In dem Revisionsverfahren geht es, grob zusammengefasst, um die steuerlichen Folgen einer niederländischen Spezialregelung für in Deutschland lebende Fachkräfte, die in den Niederlanden arbeiten. Konkret geht es um die Frage, ob die Anwendung der sog. 30 %-Spezialistenregelung in den Niederlanden zu einer teilweisen tatsächlichen Nichtbesteuerung in Deutschland führt3. Die Vorinstanz, das FG Düsseldorf, kam jedenfalls zu einem anderen Ergebnis und bestätigte die Auffassung des Finanzamts. Soweit Einkunftsteile durch die Niederlande tatsächlich nicht besteuert werden, braucht Deutschland die nicht besteuerten Einkunftsteile nicht aus der deutschen Bemessungsgrundlage auszunehmen, da insoweit die abkommensrechtliche Rückfallklausel greift, so das Gericht4. Denn bei der niederländischen 30 %-Spezialistenregelung handelt es sich nach Ansicht des Gerichts um eine Steuerfreistellung und nicht um einen pauschalen Werbungskostenabzug.
Auch wenn ich mich beruflich mit der Lohnsteuer befasse, sind mir spezielle steuerrechtliche Regelungen in Staaten außerhalb Deutschlands nicht zwingend geläufig. Zumal ich beruflich auch keine Berührungspunkte mit Abkommen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung habe. Deshalb habe ich mich an dem Tag zunächst erstmal nur gefragt, was denn unter dem Begriff „Spezialistenregelung“ genau zu verstehen ist. Nutzt man dann die allgemein zugänglichen Informationsquellen, stellt man schnell fest, dass Sinn und Zweck dieser Regelung ist, die Tätigkeit in den Niederlanden über die Möglichkeit einer vereinfachenden Steuerfreistellung vom Arbeitslohn für hochqualifizierte ausländische Arbeitnehmer, attraktiver zu gestalten. Kommt diese Regelung zur Anwendung, darf der niederländische Arbeitgeber 30% des Gehalts steuerfrei an den betroffenen Arbeitnehmer auszahlen.
Dadurch kam bei mir der Gedanke auf, ob diese Regelung nicht auch ein begleitender Anreiz für die Aufnahme einer Tätigkeit in Deutschland sein kann. Denn meines Erachtens reicht es nicht aus nur bürokratische Hemmnisse bei der Arbeitsaufnahme in Deutschland abzubauen. Die Frage ist aber, ob das deutsche Steuerrecht für eine solche Regelung überhaupt ausgelegt ist?
In unserem Nachbarland ist lohnsteuerrechtlich geregelt, dass Arbeitnehmer mit spezifischem Fachwissen, die eine Tätigkeit bei einem niederländischen Arbeitgeber aufnehmen und zwecks Ausübung ihrer Tätigkeit in die Niederlande umziehen oder täglich vom Ausland in die Niederlande reisen, entweder
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eine steuerfreie Erstattung der ihnen nachweislich durch den Aufenthalt in den Niederlanden entstehenden Mehrkosten, der sog. extraterritorialen Kosten5, erhalten oder alternativ,
- der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer (ohne Nachweis tatsächlich entstandener Kosten), 30 % seines Arbeitslohns (inklusive etwaiger steuerfrei ausgezahlter Erstattungen) über die sog. „Spezialistenregelung“ steuerfrei auszahlt.
Voraussetzung zur Anwendung dieser „Spezialistenregelung“ ist vereinfacht ausgedrückt, dass der ausländische Arbeitnehmer über ein, für den niederländischen Arbeitsmarkt interessantes, spezifisches Fachwissen verfügt. Dieses spezifische Fachwissen, kann sich entweder aus dem Ausbildungsniveau, des Umfangs der beruflichen Erfahrung oder der Höhe des Gehalts ergeben6.
Eine vergleichbare vereinfachende Steuerfreistellung sucht man bisher im deutschen Lohnsteuerrecht vergebens. Sie passt in dieser Ausgestaltung systematisch auch nicht hinein. Grund dafür ist das im deutschen Steuerrecht vorherrschende Leistungsfähigkeitsprinzip. Es besagt allgemein, dass jeder nach Maßgabe seiner individuellen ökonomischen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung staatlicher Leistungen beitragen soll. Also ganz nach dem Motto: „Sind dir berufliche Kosten entstanden, dann weise sie nach oder mache sie zumindest glaubhaft, dann kannst du sie auch mindernd auf deine Lohneinkünfte anrechnen lassen“. Darauf aufbauend gibt es in Deutschland bei Aufnahme einer neuen Tätigkeit lediglich die Möglichkeit, bestimmte, mit dem durch die Arbeitsaufnahme verbundenen Umzug (nach Deutschland) entstandene Kosten, angemessene Kosten für eine doppelte Haushaltsführung oder allgemein Reisekosten, entweder über den Arbeitgeber steuerfrei erstattet zu bekommen oder im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung als Werbungskosten steuermindernd geltend zu machen. All das setzt aber voraus, dass die Kosten tatsächlich entstanden und angemessen sind. Zudem müssen die Aufwendungen in einem engen beruflichen Zusammenhang stehen. Die niederländische Spezialistenregelung geht jedoch wirtschaftlich gesehen, weit über das Prinzip des Werbungskostenabzugs hinaus. Sie folgt damit einzig dem Ziel der Akquise und Bindung von Fachkräften für den niederländischen Arbeitsmarkt.
Auch das FG Düsseldorf sieht deshalb in der pauschalen „Spezialistenregelung“ keine mit dem Werbungskostenabzug vergleichbare Regelung, sondern, auch in Anbetracht seines Umfangs, eine rein wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch motivierte Steuerfreistellung. Denn dadurch, dass diese über einen mehrjährigen Zeitraum gewährt wird, führe sie regelmäßig zu einer Überkompensation der durch die Arbeitsaufnahme begründeten Kosten.
Gleichwohl bleibt aber die Frage, ob der deutsche Arbeitsmarkt, für wirkliche Fachkräfte (wie auch immer man das Wort definiert) aus dem Ausland noch so attraktiv ist, dass man bereit ist, sein Heimatland zu verlassen um hier beruflich „durchzustarten“, wie es das Bundesministerium für Inneres bezeichnet.
Klar ist, dass es einen großen Bedarf an Arbeitskräften gibt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zählte im letzten Quartal 2022 fast 2 Millionen offene Stellen in Deutschland. Im Vergleich zum letzten Quartal 2021 ist das ein Anstieg von über 17%7. Das Institut kommt zudem zu dem Ergebnis, dass das sogenannte Erwerbspersonenpotenzial ohne Zuwanderung demografisch bedingt bis 2035 um sieben Millionen Personen schrumpft.
Eine OECD-Studie kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass Deutschland für Fachkräfte aus dem Ausland deutlich an Attraktivität eingebüßt hat8. Deutschland hat demnach im Vergleich zu einer früheren Studie aus dem Jahr 2019 Plätze im Länderranking eingebüßt und fällt zurück auf den 15. Rang. Insbesondere bei Visaerteilung, Digitalisierung, Einbürgerung oder im Umgang mit Vielfalt besteht nach Aussage der Studie Handlungsbedarf. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll zumindest schon mal erreicht werden, das bürokratische Hürden zur Erlangung einer Arbeitserlaubnis in Deutschland aus dem Weg geräumt werden. In die Kriterien der OECD-Studie wurde aber auch das Thema Einkommen und Steuern aufgenommen.
Kommt man aus einem anderen Land, um hier zu arbeiten, ist das – unabhängig von den bürokratischen Schwierigkeiten - immer auch mit zusätzlichen Kosten verbunden. In aller Regel sind die Lebenshaltungskosten in Deutschland höher, als in dem Herkunftsland. Auch der Wohnungsmarkt ist bekanntlich schwierig, weil auch die Mieten zum Teil jegliche Bodenhaftung verloren haben. Deutschland steht weltweit an 27. Stelle, was die Höhe der Lebenshaltungskosten und Kaufkraft in Relation zum Einkommen anbelangt9. Länder wie Spanien, Italien, Portugal, Slowenien, Bulgarien oder auch die Nordafrikanischen Ländern, liegen hinter Deutschland.
Insofern lohnt sich ja vielleicht auch für Deutschland der Gedanke über anderweitig als die „Spezialistenregelung“ ausgestaltete steuerliche Anreize oder auch spezielle Subventionen für Arbeitgeber nachzudenken, um dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen. Auch wenn man mit Geld bekanntlich nicht alles heilen kann, aber ein bisschen mehr „Netto vom Brutto“ hilft vielleicht, über manche Unzulänglichkeiten in unserem Land, wie eine „ausbaufähige“ Infrastruktur, mangelnde Digitalisierung und das Wetter hinwegzusehen.
In dem Sinne, bleiben Sie gesund und zuversichtlich.
Es grüßt Sie,
Ihr Matthias Janitzky
1 z. B.: https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/fachkraefteeinwanderungsgesetz-wie-die-regierung-um-arbeiter-aus-dem-ausland-wirbt/25553188.html
2 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/Downloads/kabinettsfassung/entwurf-gesetz-weiterentwicklung-fachkraefteeinwanderung.pdf?__blob=publicationFile&v=8
3 Revisionsverfahren I R 51/22, Vorinstanz FG Düsseldorf, Urteil vom 25.10.2022, 13 K 2867/20 E
4 § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG
5 siehe dazu näher: https://www.belastingdienst.nl/wps/wcm/connect/de/privatpersonen/inhalt/ich-komme-zum-arbeiten-in-die-niederlande-30-prozent-regelung-beantragen#extraterritoriale-kosten
6 Zu den Voraussetzungen siehe unter Fußnote 2
7 https://nachrichten.idw-online.de/2023/03/09/iab-stellenerhebung-fuer-das-vierte-quartal-2022-offene-stellen-erreichen-mit-198-millionen-ein-neues-allzeithoch
8 https://www.dw.com/de/bei-fachkr%C3%A4ften-verliert-deutschland-an-beliebtheit/a-64928347
9 z. B. https://www.laenderdaten.info/lebenshaltungskosten.php

