Gleiches Recht für alle
Liebe Leserin, lieber Leser,
Essen sowie Trinken gehören zum Leben wie die Luft zum Atmen, ohne geht es nicht. Essen und Trinken sind Bestandteil unseres Daseins („Wir leben nicht, um zu essen, sondern wir essen, um zu leben“, Sokrates) und nicht zwangsläufig dem Beruf zuzuordnen, nur, weil man während der Pausen oder auch schon mal während der Arbeit in sein Butterbrot beißt. Insofern gilt im Steuerrecht (leider) der Grundsatz, dass die jedem Steuerpflichtigen täglich entstehenden Aufwendungen für Verpflegung (Essen und Trinken) steuerlich nicht berücksichtigt werden1.
Eine Ausnahme macht das Steuerrecht nur da, wo durch Abweichungen vom beruflichen Alltag, wie zum Beispiel im Rahmen einer beruflichen Auswärtstätigkeit, ein erhöhter Aufwand für die klassische Verpflegung in Form eines Frühstücks, Mittag- und Abendessen zumindest nicht unüblich erscheint.
So ist seit 2014 gesetzlich festgelegt unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe die dem Arbeitnehmer aus Anlass einer beruflich veranlassten Auswärtstätigkeit entstehenden Mehraufwendungen für Verpflegung (Frühstück, Mittag- und/oder Abendessen) steuerlich als Werbungskosten berücksichtigt werden können. Von einer solchen geht man aus, wenn der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig wird2. Hat der Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte, wird gleichwohl aber außerhalb seiner Wohnung beruflich tätig, gelten dieselben Grundsätze3.
Das Gesetz unterstellt in diesen Fällen einen typisierenden, pauschalen Mehraufwand, der über das hinausgeht, was ein Arbeitnehmer für seine Verpflegung ohnehin während eines normalen Arbeitstages an seiner ersten Tätigkeitsstätte aufwenden muss. Nur dieser Mehraufwand wird steuerlich berücksichtigt. Wobei die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen auf die ersten drei Monate einer längerfristigen beruflichen Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte beschränkt ist. Nach Ablauf der Dreimonatsfrist wird ebenfalls typisierend unterstellt, dass der Arbeitnehmer sich auf die Gegebenheiten vor Ort so eingestellt hat, dass ein entsprechender Mehraufwand für „überteuerte Mahlzeiten und Getränke aufgrund von Ortsunkenntnis“ üblicherweise nicht mehr anfällt.
Übernimmt jetzt der Arbeitgeber (oder auf dessen Veranlassung von einem Dritten) die Kosten für ein Frühstück, Mittag- und/oder Abendessen, entsteht dem Arbeitnehmer für seine Verpflegung erst gar kein Mehraufwand. Durch die Übernahme der Kosten entsteht dem Arbeitnehmer vielmehr ein geldwerter Vorteil. Er ist um die selbst nicht aufgewendeten Kosten der ihm gewährten Verpflegung bereichert. Handelt es sich um eine übliche Mahlzeit4, wird der Wert der jeweiligen Mahlzeit mit dem Wert angenommen, die die Sozialversicherungsentgeltverordnung dafür vorsieht5. Seit 2014 sieht das Reisekostenrecht aber vor, dass auf die Versteuerung eines solchen geldwerten Vorteils verzichtet wird6. Den Verzicht auf die Besteuerung gibt es aber nicht umsonst. Vielmehr verfolgt der Gesetzgeber eine vereinfachende Logik in Form einer typisierenden Verrechnung von Einnahmen (übernommenen Kosten) und Aufwendungen (Verpflegungspauschalen). Im Fall der Mahlzeitengestellung durch den Arbeitgeber werden die Verpflegungspauschalen typisierend für ein Frühstück um 20 Prozent und für ein Mittag- oder Abendessen jeweils um 40 Prozent des Betrags der Verpflegungspauschalen für eine 24-stündige Abwesenheit bis maximal auf 0 Euro gekürzt7. Bei Vollverpflegung des Arbeitnehmers (Frühstück, Mittag- und Abendessen) entfällt dadurch die Möglichkeit, Verpflegungsmehraufwand geltend zu machen. Soweit so gut, alles nichts Neues. Die Vorgehensweise ist von der Logik und Systematik her auch eher unspektakulär.
Worum ging es jetzt dann in dem vor dem BFH geführten Verfahren? Geklagt hatte ein Offizier auf See, der an Bord von Schiffen seines Arbeitgebers tätig ist und von diesem an Bord unentgeltlich verpflegt wird. Eine Versteuerung des Sachbezugs hat der Arbeitgeber in zutreffender Auslegung der Rechtslage ab 2014 nicht vorgenommen.
Aufgrund der Tatsache, dass er an Bord eines Schiffes seinen Dienst verrichtet, liegt für den Steuerpflichtigen keine erste Tätigkeitsstätte (keine „ortsfeste“ betriebliche Einrichtung) vor. Gleichwohl befindet er sich an den Tagen auf See auf einer beruflichen Auswärtstätigkeit, da er außerhalb seiner Wohnung beruflich tätig wird. Trotz der unentgeltlichen, unversteuerten Gestellung der Mahlzeiten, beantragte er für alle Tage an Bord des Schiffes den Abzug der Verpflegungspauschale in voller Höhe, was das Finanzamt wiederum ablehnte. Aus Sicht des Finanzamts wirkt sich die gesetzliche Gleichstellung von Arbeitnehmern mit und ohne erste Tätigkeitsstätte auf einer beruflichen Auswärtstätigkeit nicht nur beim Ansatz von Verpflegungspauschalen8 aus. Bei beiden unterbleibt auf der einen Seite eine Lohnversteuerung unentgeltlich gewährter üblicher Mahlzeiten. Auf der anderen Seite führt die Mahlzeitengestellung des Arbeitgebers bei beiden zu einer prozentualen Kürzung der Verpflegungspauschalen. Gleiches Recht für alle wenn die Rahmenbedingungen die gleichen sind, nennt man sowas auch.
Aus der Sicht des Klägers sei der Rückschluss des Finanzamts nicht zwingend. Er beruft sich dabei auf den Wortlaut des Gesetzes. Dieses ordnet bei Auswärtstätigkeiten zwar eine Anwendung der Verpflegungspauschalen auch für Arbeitnehmer ohne erste Tätigkeitsstätte ausdrücklich an, nicht jedoch eine Anwendung der Kürzungsvorschrift. Eine Kürzung der Verpflegungspauschalen scheide deshalb für Arbeitnehmer auf einer Auswärtstätigkeit, die keine erste Tätigkeitsstätte haben, aus.
Nachdem bereits das FG Niedersachsen9 dem Ansinnen des Steuerpflichtigen nicht folgen konnte, trat nun auch der BFH10 diesem entgegen. Sowohl aus dem Zweck der Norm (kein Ansatz ohne Mehraufwand) als auch aus der ausdrücklichen gesetzlichen Verweisung bei der Abgeltung der dem Arbeitnehmer „tatsächlich entstandenen beruflich veranlassten Mehraufwendungen“, schließen beide Gerichte, dass auch bei Arbeitnehmern ohne erste Tätigkeitsstätte eine Kürzung der Verpflegungspauschalen vorzunehmen ist. Zudem habe der Gesetzgeber mit der Neuregelung des Reisekostenrechts - bei gleichzeitigem Verzicht auf die Besteuerung des geldwerten Vorteils – beabsichtigt, dass der Werbungskostenabzug für Verpflegungsmehraufwendungen im Falle der Gestellung von Mahlzeiten durch den Arbeitgeber für jede Form der auswärtigen beruflichen Tätigkeit entfallen sollte.
Unabhängig davon, so der BFH, würde die Auffassung des Steuerpflichtigen zudem zu einer vom Gesetzgeber erkennbar nicht gewollten doppelten Begünstigung von Arbeitnehmern ohne erste Tätigkeitsstätte führen. Er bekäme einerseits eine unversteuerte und beitragsfreie Mahlzeit. Andererseits bliebe ihm der Werbungskostenabzug in Form von ungekürzten Verpflegungspauschalen erhalten. Dies würde zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer mit erster Tätigkeitsstätte gegenüber solchen ohne erste Tätigkeitsstätte führen.
Der BFH bestätigt damit in einem zweiten Urteil zu der ab 2014 geltenden Neuregelung zur Kürzung von Verpflegungsmehraufwendungen aufgrund einer Mahlzeitengstellung durch den Arbeitgeber die vereinfachende Herangehensweise bei der steuerlichen Betrachtung durch den Gesetzgeber. In einem ersten Urteil im Sommer letzten Jahres hatte er entschieden, dass auch in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer – aus welchen Gründen auch immer - die ihm vom Arbeitgeber unentgeltlich zur Verfügung gestellten Mahlzeiten nicht einnimmt, die Verpflegungspauschalen zu kürzen sind11.
Es grüßt Sie,
Ihr Matthias Janitzky
2 § 9 Abs. 4a Satz 2 EStG
3 § 9 Abs. 4a Satz 4 1. HS EStG
4 Als „üblich“ gilt eine Mahlzeit, deren Preis 60 € nicht übersteigt (§ 8 Abs. 2 Satz 8 EStG)
5 2021: Frühstück 1,83 €, Mittag- oder Abendessen 3,47 €
6 § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG
7 § 9 Abs. 4a Satz 8 EStG
8 § 9 Abs. 4a Satz 4 EStG auf § 9 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG
9 FG Niedersachsen, Urteil vom 02.07.2019, 15 K 266/16
10 BFH-Urteil vom 12.07.2021, VI R 27/19
11 BFH-Urteil vom 07.07.2020, VI R 16/18

