Inflationsausgleichsgesetz – Ein Beispiel unglücklicher Kommunikation

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Gerade in Zeiten aufgeregter Berichterstattungen in den Medien, ist es immer besser klar zu kommunizieren, mit welcher Absicht etwas beschlossen wird bzw. in Planung ist, damit für ausufernde Spekulationen und Mutmaßungen kein Raum entsteht. So wäre die mediale Berichterstattung – ganz zu schweigen von Parteipolitisch geprägten Meinungsäußerungen - über die durch den Bundesfinanzminister letzte Woche bekannt gemachten Eckpunkte für ein Inflationsausgleichsgesetz sicher unaufgeregter erfolgt, wenn der Grund der Gesetzesinitiative von Seiten der Finanzverwaltung deutlich hervorgehoben worden wäre.

Liebe Leserin, lieber Leser,

und jährlich grüßt das Murmeltier, mit dem geplanten Gesetz kommt die Bundesregierung zum einen lediglich den seit Jahren bestehenden Vorgaben des BVerfG in Bezug auf die Freistellung des Existenzminimums1 über den Grundfreibetrag2 nach und zum anderen hält sie am Verfahren zum Ausgleich der kalten Progression, den der Deutschen Bundestag am 29. März 2012 beschlossen hat3, fest. Danach soll die jeweilige Bundesregierung (beginnend mit der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages) dem Deutschen Bundesstag alle zwei Jahre jeweils zusammen mit dem Existenzminimumsbericht einen Bericht über die Wirkung der kalten Progression im Verlauf des Einkommensteuertarifs vorlegen (Steuerprogressionsbericht). Als kalte Progression werden Steuermehreinnahmen bezeichnet, die entstehen, soweit Einkommenserhöhungen die Inflation ausgleichen und diese, in Folge des progressiven Einkommensteuertarifs, wieder „aufgefressen“ werden. Diese Prozedur wiederholt sich nahezu jährlich. Wobei die steuerlichen Anpassungen auf der Basis des Existenzminimusberichts seit 2016 „Hand in Hand“ mit der Einkommensteuertariflichen Anpassung aus dem Steuerprogressionsbericht gehen4.  

Wer also über dieses Gesetzesvorhaben jetzt meint eine Gerechtigkeitsdebatte anzustoßenoder gar den sozialen Frieden in Gefahr sieht6, liegt in Bezug auf die Intention der hier in Rede stehenden Maßnahmen falsch. Wobei ich aber bitte nicht gesagt habe, dass gezielte und sozial ausgewogene, inflationsbedingte Entlastungsmaßnahmen nicht erforderlich sind. Das sind sie sehr wohl. Sie erfolgen nur nicht über dieses Gesetz. Denn dieses Gesetz hat einzig die Aufgabe, dem vorgenannten verfassungsrechtlich verpflichtenden und parlamentarisch beschlossenen Anpassungsbedarf den Weg zu ebnen.

Wer allerdings auf der anderen Seite auf die Idee gekommen ist, dieses Gesetz „Inflationsausgleichsgesetz“ zu benennen (klingt vermutlich aktuell besser als „Gesetz zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes, des Kinderzuschlags und zum Ausgleich der kalten Progression) und zudem die Veröffentlichung des Vorhabens mit den Worten:

  • Der Staat darf sich nicht auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger an der Inflation bereichern.

  • Die Steuerlast soll an die Inflation angepasst werden.  

  • Von den Verbesserungen profitieren rund 48 Millionen steuerpflichtige Bürgerinnen und Bürger

zu begleiten, hat „ganze Arbeit geleistet“, die mediale Aufregung in Gang zu setzen7.

Denn liest man diese Worte isoliert (ohne die eigentliche Intention hinter den Gesetzesplänen zu betrachten), hat sicherlich jeder Recht der zu dem Ergebnis kommt, dass rund 35 Millionen Bürgerinnen und Bürger über dieses Gesetz keine Entlastung für die hohe Inflation erhalten und darüber hinaus eine hohe Zahl von Bürgerinnen und Bürger nur eine vergleichsweise geringe Entlastung erhalten. An dieser Stelle aber eine mediale Diskussion über verfehlte Steuerpolitik loszutreten, halte ich – wie gesagt - persönlich für verfehlt. Eine solche wäre meines Erachtens aber erst gar nicht entstanden, wenn man von Seiten des Bundesfinanzministeriums die Intention dieses Gesetzes klar und deutlich hervorgehoben hätte, idealerweise begleitet mit dem Hinweis auf weitere (konkret) angedachte Entlastungsmaßnahmen gerade für die Bevölkerungsgruppen, die durch dieses Gesetz nicht oder nicht spürbar entlastet werden. Und wenn diese Entlastungsmaßnahmen noch nicht spruchreif sind, hätte man mit der Veröffentlichung der voraussichtlichen Höhe der Entlastung durch das geplante Inflationsausgleichsgesetz auch warten können. Denn die endgültigen Rahmenbedingungen liegen (öffentlich) noch überhaupt nicht vor. Der Existenzminimumbericht und der Steuerprognosebericht liegen für 2022 vielmehr erst im Herbst vor8.

Doch die aktuell hohe Inflation scheint den steuerpolitischen Handlungsdruck enorm erhöht zu haben, sodass man offenbar nicht mit einer öffentlichkeitswirksamen Bekanntgabe warten wollte. Denn der Hinweis auf inflationsbedingten Änderungsbedarf bei der Einkommensteuer ergab sich ja bereits aus dem BMF-Monatsbericht Juni 2022: Daneben sind weitere Gesetzgebungsvorhaben in Planung, die voraussichtlich das Aufkommen der Steuereinnahmen im Schätzzeitraum zusätzlich verringern werden. Das gilt insbesondere mit Blick auf den im Herbst 2022 zu erstellenden Steuerprogressionsbericht, auf dessen Basis der Einkommensteuertarif ab dem kommenden Jahr zum Ausgleich der kalten Progression anzupassen sein wird, sowie den Existenzminimumbericht, aus dem sich inflationsbedingt ein Anpassungsbedarf bei den steuerlichen Freibeträgen zur Freistellung des Existenzminimums (Grundfreibetrag und Kinderfreibetrag) ergeben dürfte. Mit den diesbezüglichen Aussagen hier, wurde jedenfalls kein solches mediales und Parteipolitisches Echo hervorgerufen.  

Nochmal, die Aussagen, mit denen die Eckpunkte des Inflationsausgleichsgesetz öffentlichkeitswirksam platziert wurden, sind definitiv nicht falsch. Sie sind in meinen Augen nur zu effekthascherisch formuliert, weil sie die gesetzgeberische Notwendigkeit, die hinter dem Gesetzesvorhaben steht, nicht klar genug benennt. Denn die Gesetzesinitiative ist auf der einen Seite (Existenzminimum) verfassungsrechtlich verpflichtend und auf der anderen Seite (kalte Progression) durch den Bundestag bereits in 2012 beschlossen worden. Oder um es anders auszudrücken, einzig in der Gestaltung des Einkommensteuertarifs läge – wenn gewollt - politischer Ermessensspielraum vor. Das die Bundesregierung jedoch am Verfahren zum Ausgleich der kalten Progression festhalten wird, ließ sich bereits aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU9 vom 25. Juli entnehmen10. Der Grundfreibetrag, die Kinderfreibeträge sowie der Unterhaltshöchstbetrag hingegen müssen von Verfassungswegen das Existenzminimum steuerfrei stellen. Die Mindesthöhe auf der Basis des Existenzminimumsberichts liegt also außerhalb jeglichem politischem Ermessen.    

Betrachtet man das Inflationsausgleichsgesetz also (steuerlich) nüchtern, stehen unter dem Strich übliche jährliche Anpassungen beim Grundfreibetrag, den Kinderfreibeträgen (also inkl. dem Freibetrag für Bildung, Erziehung und Ausbildung) und korrespondierend dazu dem Kindergeld sowie die üblichen Anpassungen im Einkommensteuertarif. Allerdings diesmal ergänzt um Nachbesserungsarbeiten aus dem Steuerentlastungsgesetz 2022. Denn das gesetzgeberische Versehen, dass der Unterhaltshöchstbetrag nach § 33a EStG für 2022 vom Grundfreibetrag abweicht, soll rückwirkend durch das Inflationsausgleichsgesetz behoben werden.

Ach ja, das Aufschreiben der geplanten Erhöhungswerte und mögliche Steuerersparniswerte erspare ich mir an dieser Stelle. Denn zu vermuten ist, dass es aufgrund der immer weiter voranschreitenden Inflationsrate noch zu einer Veränderung der geplanten Werte kommen wird. Wer sich trotzdem über den aktuellen Stand informieren möchte, findet diesen in nahezu jeder Tageszeitung in Deutschland und natürlich auf der Internetseite des BMF11.

In dem Sinne, bleiben Sie gesund und zuversichtlich.

 

Es grüßt Sie,  

Ihr Matthias Janitzky


1 u.a. BVerfG vom 25. September 1992, 2 BvL 5/91
§ 32a Abs.  1 Satz 22 Nr. 1 EStG
Gesetz zum Abbau der kalten Progression (BT-Drucksache 17/8683 und 17/9201, Seite 7)
Erstmalig mit dem Gesetz zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags vom 16.07.2015 (BGBl. I, 1202) für die VZ 2015 und 2016
z. B. https://www.zeit.de/wirtschaft/2022-08/entlastungspaket-inflation-steuer-christian-lindner
6z. B. https://taz.de/Steuerpolitik-der-Ampelregierung/!5870716/
7 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Schlaglichter/Entlastungen/inflationsausgleichsgesetz.html
https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2022/06/Inhalte/Kapitel-3-Analysen/3-2-ergebnisse-steuerschaetzung-mai-2022.html
Drucksache 20/1387
10 Drucksache 20/2884 (Seite 14)
11 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Schlaglichter/Entlastungen/inflationsausgleichsgesetz.html

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