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Und ewig grüßt der Anscheinsbeweis

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13 Jahre ist es mittlerweile her, dass der für Fragen zur Lohnsteuer zuständige VI. Senat des BFH erstmalig entschieden hat, dass aus der bloßen zur Verfügungstellung eines Fahrzeugs zu betrieblichen Zwecken, nicht aufgrund des sog. Anscheinsbeweises geschlossen werden kann, dass das Fahrzeug vom Arbeitnehmer auch privat genutzt wird. Beim sog. Anscheinsbeweis handelt es sich, vereinfacht ausgedrückt, um nichts anderes, als „die Lebenserfahrung“. Er beruht also auf der Erfahrung, dass bestimmte Sachverhalte typischerweise bestimmte Folgen auslösen.

Seit dieser Zeit darf ein geldwerter Vorteil nicht angesetzt werden, wenn der Arbeitnehmer zur Privatnutzung des Firmenwagens nicht (mehr) befugt ist. Die 1 %-Regelung kommt demnach nur zur Anwendung, wenn feststeht, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer tatsächlich einen Dienstwagen zur privaten Nutzung arbeitsvertraglich oder doch zumindest auf Grundlage einer konkludent getroffenen Nutzungsvereinbarung überlassen hat. Diese Entscheidungen sind drei Jahre später so ebenfalls bestätigt worden für einen Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH1, einen angestellten Allein-Geschäftsführer einer GmbH2 (BFH-Urteil vom 21.3.2013, BStBl. II S. 918) und einem familienangehörigen Geschäftsführer eines Familienunternehmens3.  

Folge der Abkehr vom sog. Anscheinsbeweis ist, dass (zumindest für das Lohnsteuerrecht) zum Ansatz eines geldwerten Vorteils aus der (auch) privaten Nutzungsmöglichkeit eines Firmenwagens feststehen muss, dass dem Arbeitnehmer ein Firmenwagen auch tatsächlich zur privaten Nutzung überlassen worden ist. Die Feststellungslast trifft insoweit das Finanzamt4.

Jetzt steht der sog. Anscheinsbeweis und seine daraus zu ziehenden steuerlichen Folgen durch zwei kürzlich ergangene Finanzgerichtsurteile erneut in Fokus5. Allerdings geht es hier um die Frage, ob die für das Lohnsteuerrecht geltende Rechtsprechung, auf die körperschaftsteuerliche Behandlung bei der GmbH im Falle eines alleinigen bzw. beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH übertragen werden kann, oder ob hier aufgrund dessen Stellung (nach wie vor) andere Maßstäbe zu Grunde zu legen sind?

Liebe Leserin, lieber Leser,

es stellt sich die Frage, ob auch im Steuerrecht das Sprichwort gilt: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Oder bezogen auf das Steuerrecht gefragt: Gelten für den angestellten, alleinigen bzw. beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, strengere Regelungen für die Überprüfung eines arbeitsvertraglich ausgesprochenen Nutzungsverbots bzw. einer nicht ausdrücklich erlaubten Privatnutzung eines ihm zur Verfügung stehenden betrieblichen Fahrzeugs, als für „normale“ Arbeitnehmer?

Während der für Fragen zur Lohnsteuer zuständige VI. Senat aus der bloßen Überlassung eines betrieblichen Fahrzeugs und unabhängig von einem bestehenden Privatnutzungsverbots aufgrund des sog. Anscheinsbeweises nicht (mehr) den Rückschluss zieht, dass das Fahrzeug immer auch vom Arbeitnehmer privat genutzt wird, kommt der für Fragen zur Körperschaftssteuer zuständige I. Senat des BFH zu dem gegenteiligen Ergebnis. Aus dessen Sicht spricht aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung der Beweis des ersten Anscheins gerade dafür, dass ein von der GmbH seinem alleinigen bzw. beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer überlassenes betriebliches Fahrzeug tatsächlich auch für private Fahrten genutzt wird. Das gilt auch dann, wenn die GmbH ein Privatnutzungsverbot ausgesprochen hat, dieses Verbot von der GmbH aber nicht überwacht und durchgesetzt wird.

Allerdings treffen hier zwei unterschiedliche Rechtsverhältnisse und Rechtsbereiche aufeinander. Auf der einen, das berufliche Abhängigkeitsverhältnis des Arbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber und den sich daraus ergebenen arbeits- oder zivilrechtlichen Konsequenzen bei einem hinwegsetzen über ein bestehendes Privatnutzungsverbot. Aus dem heraus ist ein geldwerter Vorteil nicht anzusetzen, wenn die Privatnutzung des Firmenwagens dem Arbeitnehmer verboten ist (z. B. im Arbeitsvertrag). Die 1 %-Regelung kommt grundsätzlich nur zur Anwendung, wenn feststeht, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer tatsächlich ein betriebliches Fahrzeug zur privaten Nutzung arbeitsvertraglich oder doch zumindest auf Grundlage einer konkludent getroffenen Nutzungsvereinbarung überlassen hat. Darüber hinaus aber auch in den Fällen, in denen nachhaltige „vertragswidrige“ Privatnutzung eines betrieblichen Fahrzeugs durch den Arbeitnehmer festgestellt wird. Denn dann kann der Rückschluss gezogen werden, dass ein Privatnutzungsverbot nicht ernst gemeint ist, sondern lediglich „auf dem Papier“ steht, da der Arbeitgeber üblicherweise eine unbefugte Nutzung durch den Arbeitnehmer nicht duldet. Unterbindet der Arbeitgeber die unbefugte Nutzung durch den Arbeitnehmer nicht, kann die „vertragswidrige“ Privatnutzung auf einer vom schriftlich Vereinbarten abweichenden, mündlich oder konkludent getroffenen Nutzungs- oder Überlassungsvereinbarung beruhen und damit den Ansatz eines nach der monatlichen 1 %-Bruttolistenpreisregelung ermittelten geldwerten Vorteils rechtfertigen. Dies gilt lohnsteuerlich gesehen sowohl für „normale“ Arbeitnehmer, wie auch für den alleinigen bzw. beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer.

Auf der anderen Seite steht die Ebene der Kapitalgesellschaft mit der Gesellschafterstellung des alleinigen bzw. beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers, der sich einem solchen Risiko bei einem hinwegsetzen über ein bestehendes Privatnutzungsverbot gerade nicht aussetzt. Insofern ist eine nicht ausdrücklich genehmigte, auf einer fremdüblichen Überlassungs- und Nutzungsvereinbarung beruhenden Privatnutzung bzw. eine vertragswidrige Privatnutzung des betrieblichen Fahrzeugs durch den alleinigen bzw. beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers, durch das Gesellschaftsverhältnis zumindest mitveranlasst und führt nach der Rechtsprechung des I. Senats auf Gesellschaftsebene stets zu einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) und einer unentgeltlichen Wertabgabe6. Losgelöst von der Gesellschaftsebene führt die vGA für den Gesellschafter, dem die vGA zuzurechnen ist, zu Kapitalerträgen, die grundsätzlich mit der 25-prozentigen Abgeltungsteuer besteuert werden.

Während also aus der Sicht der Lohnsteuer aus der bloßen Zurverfügungstellung eines betrieblichen Fahrzeugs nicht geschlossen werden kann, dass ein Arbeitnehmer, gleich ob es sich um einen „normalen“ Arbeitnehmer oder um den alleinigen bzw. beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH handelt, ein solches Fahrzeug auch privat nutzt, wenden die Finanzgerichte diesen lohnsteuerlichen Grundsatz nicht auf der Ebene der GmbH für Zwecke der Prüfung einer vGA an7. So hat z. B. das FG Berlin-Brandenburg bereits in 2013 dazu ausgeführt, dass es „weltfremd“ sei anzunehmen, dass eine private PKW-Nutzung unterbleibt, nur, weil dies im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag oder andernorts geregelt ist. Dies zumal auch deshalb, weil sich ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der sich über ein mit der GmbH vereinbartes Verbot hinwegsetze, nicht einmal ansatzweise dem Risiko von arbeits- oder zivilrechtlicher Konsequenzen aussetzten würde, die für einen „normalen“ Arbeitnehmer gelten. Würde die Rechtsprechung des Lohnsteuersenats auf die Besteuerung der Rechtsbeziehungen zwischen einer GmbH und ihrem alleinigen bzw. beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer übertragen, hinge die Besteuerung nicht vom tatsächlichen Lebenssachverhalt, sondern von einer „nur auf dem Papier“ bestehenden Rechtslage ab.

Auf der gleichen Linie ergingen kürzlich zwei Finanzgerichtliche Entscheidungen. So urteilte zum einen das FG Köln, dass der sog. Anscheinsbeweis für eine private Nutzung spricht, wenn eine GmbH ihrem alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführer einen PKW überlässt. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung wird ein zur Verfügung stehender PKW des Betriebsvermögens regelmäßig nicht ausschließlich betrieblich, sondern tatsächlich auch privat genutzt, wenn die Möglichkeit dazu besteht. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich - wie hier - um ein repräsentatives, neuwertiges und hochpreisiges Fahrzeug handelt, auf das ein jederzeitiger Zugriff besteht. Daran ändere selbst ein im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag ausgesprochenes Privatnutzungsverbots nichts, wenn keine organisatorischen Maßnahmen getroffen werden, um sicherzustellen, dass tatsächlich keine Privatfahrten durchgeführt werden (z. B. Abstellen des PKW auf dem Firmengelände und Verwahrung des Schlüssels durch Dritte)8.

In gleicher Weise urteilte auch das FG Münster9. Durch die Einlegung der Revision gegen das Urteil des FG Münster, bekommt nun aber der für Fragen zur Körperschaftssteuer zuständige I. Senat des BFH Gelegenheit, sich dazu zu äußern, ob er dem für Fragen zur Lohnsteuer zuständigen VI. Senat des BFH in Bezug auf die Ablehnung des sog. Anscheinsbeweises folgt oder an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält.     

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das was für die Lohnsteuer gilt, nicht automatisch auch Gültigkeit für die Körperschaftsteuer erlangt. Die unterschiedliche Auslegung des sog. Anscheinsbeweis bzw. der allgemeinen Lebenserfahrung für Zwecke der Prüfung einer vGA auf Ebene der GmbH und einem zu Arbeitslohn führenden geldwerten Vorteil bei Überlassung eines betrieblichen PKWs an den alleinigen bzw. beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer oder eben an einen „normalen“ Arbeitnehmer, mag sicherlich auch durch die Besonderheit gerechtfertigt sein, dass es an einem Interessengegensatz zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite mangelt, da diese – zumindest in Fällen des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers – durch dieselbe Person repräsentiert wird10. Es wäre jedoch für die praktische Anwendung hilfreich, wenn diese Sichtweise (erneut) höchstrichterlich „abgesegnet“ wird.  

Abschließend noch ein Wort in eigener Sache: Mit diesem Beitrag verabschiede ich mich nach nunmehr 6 Jahren von Ihnen. Ich durfte den Blog-Lohnsteuer aufbauen und „mit Leben“ befüllen. Vielen Dank, dass Sie so zahlreich meine Sicht auf die Welt der Lohnsteuer verfolgt haben. Für mich persönlich ist zwar noch nicht ganz Schluss mit der Lohnsteuer, aber ich möchte „Schritt für Schritt“ kürzertreten und deshalb ist es Zeit, den Blog-Lohnsteuer in andere Hände zu legen. Ich freue ich mich, dass der Blog-Lohnsteuer ab dem nächsten Beitrag von Frau Ramona Dietmair weitergeführt wird.

In dem Sinne, vielen Dank für Ihr jahrelanges Interesse, bleiben Sie gesund und zuversichtlich.

Es grüßt Sie,  

Ihr Matthias Janitzky


1 BFH-Urteil vom 21.03.2013, VI R 46/11, BStBl. II S. 1044
2 BFH-Urteil vom 21.03.2013, VI R 31/10, BStBl. II S. 918
3 BFH-Urteil vom 18.04.2013, VI R 48/11, BStBl. II S. 920
4 Vgl. insbesondere: BFH v. 21.3.2013, VI R 46/11, BStBl II 2013, 1044; BFH v. 21.3.2013, VI R 42/12, BStBl II 2013, 918; BFH v. 18.4.2013, VI R 23/12, BStBl II 2013, 920.
5 FG Köln v. 8.12.2022, 13 K 1001/19 und FG Münster v. 28.4.2023, 10 K 1193/20 K,G,F (Revision BFH: I R 33/23)
6 zuletzt BFH-Urteile vom 23.01.2008, I R 8/06, BStBl II 2012, 260 und vom 17.07.2008, I R 83/07, BFH/NV 2009, 417;
7 vgl. z. B. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.09.2013, 6 K 6154/10, FG Köln, Urteil vom 15.09.2016, 10 K 2497/15
8 FG Köln, Urteil vom 8.12.2022, 13 K 1001/19
9 FG Münster, Urteil vom 28.04.2023, 10 K 1193/20 K,G,F (Revision anhängig: BFH I R 33/23)
10 BFH-Beschluss vom 30.09.2015, I B 85/14, BFH/NV 2016, 423

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