Eine gute Videoüberwachungsanlage kostet einiges an Geld; über ihren Nutzen lässt sich meist streiten. Gerade im kommunalen Bereich sind solche Einrichtungen beliebt; der Umfang der Überwachungsmaßnahmen steht mitunter in keinem Verhältnis zu den Bedrohungen, denen begegnet werden soll. Der Landesgesetzgeber hat aus gutem Grund keine „Generalklausel“ für Videoüberwachungen eingeführt, sondern spezifische Befugnisnormen bereitgestellt, die auf ortsgebundene (Sonder-)Risiken reagieren. Zu diesen Normen gehören neben Art. 24 Bayerisches Datenschutzgesetz (BayDSG), der Videoüberwachungen zum Schutz von öffentlichen Einrichtungen und ihren Benutzern vorsieht und Gegenstand dieses Beitrags ist, auch Vorgaben für entsprechende Maßnahmen von Polizei- oder Justizvollzugsbehörden. Die bayerische Verwaltungsgerichtsbarkeit und schließlich das Bundesverwaltungsgericht hatten jüngst Gelegenheit, sich eingehend mit einer Videoüberwachung im Passauer Klostergarten zu befassen. Die Stadt Passau verteidigte die aufwändige Überwachungsmaßnahme gegen einen Bürger bis in die letzte Instanz. Erfolg hatte sie dabei nicht.
Der Ausgangssachverhalt war einfach gelagert. Die Stadt Passau überwachte bereits ab Dezember 2018 mit einer aufwändigen Kamerainstallation den städtischen Klostergarten, einen etwa fußballfeldgroßen öffentlichen Platz, der in unmittelbarer Nähe zum Zentralen Omnibusbahnhof sowie innerstädtischen Einkaufs- und Einkehrmöglichkeiten liegt und täglich von vielen Passanten überquert wird. Auf dem Platz finden zweimal wöchentlich ein Markt, jährlich ein Volksfest und mit gewisser Regelmäßigkeit politische und kulturelle Veranstaltungen statt. Bäume an den Seiten, Sitzmöglichkeiten, kleinere Rasenflächen sowie Spielmöglichkeiten für Kinder geben dem Platz eine gewisse Aufenthaltsqualität. Er ist nahezu eben, größtenteils fein geschottert, leicht einsehbar und auch für Benutzer gut zu überblicken. Das videoüberwachte Areal maß 60 m x 80 m. Insgesamt waren zehn Kameras installiert, acht Stück davon fest. Zwei weitere sogenannte „Dome-Kameras“ waren an den Längsseiten einander gegenüber auf Masten befestigt. Diese beiden Kameras verfügten über Zoom- und Schwenkfunktion.
Gegen diese Videoüberwachung wandte sich ein Bürger, der in Passau wohnt und arbeitet, den Klostergarten außerdem privat und in Zusammenhang mit politischen Tätigkeiten nutzt. Der Kläger erhob gegen die Stadt eine allgemeine Leistungsklage in der „Spielart“ der Unterlassungsklage. Das war die richtige Klageart, weil eine Videoüberwachung kein Verwaltungsakt ist, der mit einer Anfechtungsklage angefochten werden könnte. Das Verwaltungsgericht hielt die erhobene Klage bereits für unzulässig, ließ aber die Berufung zu (Gerichtsbescheid v. 6.8.2020 – RN 9 K 19.1061 – BeckRS 2020, 19361). Der im Anschluss angerufene Bayerische Verwaltungsgerichtshof gab dem Kläger Recht und verpflichtete die Stadt Passau, die Videobeobachtung und die Aufzeichnung von Videobildern des Klägers im Klostergarten zu unterlassen (Urteil v. 30.5.2023 – 5 BV 20.2104 – GRUR-RS 2023, 12517). Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde nicht zugelassen. Die von der Stadt erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen (Beschluss v. 2.5.2024 – 6 B 66/23 – BeckRS 2024, 11593).
Datenschutz in Bayern online
Bayerisches Datenschutzgesetz, Datenschutz-Grundverordnung - Kommentar und Handbuch für Datenschutzverantwortliche
I. Anspruch auf Unterlassung einer rechtswidrigen Videoüberwachung
1. Anspruch auf Unterlassung rechtswidriger Grundrechtseingriffe nach dem Grundgesetz
In der Sache hängt der Erfolg einer Unterlassungsklage im Wesentlichen von zwei Voraussetzungen ab. Erstens muss überhaupt ein Anspruch auf Unterlassung zur Verfügung stehen (Anspruchsgrundlage). Für diesen Anspruch müssen dann – zweitens – auch die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Dass Bürgern in Deutschland ein Unterlassungsanspruch gegen hoheitliches Handeln zusteht, das ihre Rechte verletzt, ist seit langem anerkannt. Einigkeit besteht insbesondere darüber, dass kein Bürger einen Eingriff in die vom Grundgesetz gewährten Grundrechte hinnehmen muss, wenn dieser Eingriff rechtswidrig ist. Dieser Unterlassungsanspruch ist im jeweils thematisch einschlägigen Grundrecht, sofern ein solches nicht betroffen ist, in der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) fundiert. Die Unterbindung nicht legitimierter Eingriffe ist eine „Urfunktion“ aller (Abwehr-) Grundrechte.

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2. Videoüberwachung als Grundrechtseingriff
Gleichermaßen anerkannt ist, dass Videoüberwachungen durch öffentliche Stellen jedenfalls in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als datenschutzrechtliche „Konkretisierung“ des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingreifen. In einem früheren Fall einer – ebenfalls in Bayern – geplanten Videoüberwachung hat das Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage festgestellt (Beschluss v. 23.2.2007 – 1 BvR 2368/06 – juris Rn. 37 ff.):
„Videoüberwachung greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht […] in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung ein. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen […].
Das durch die Videoüberwachung gewonnene Bildmaterial kann und soll dazu genutzt werden, belastende hoheitliche Maßnahmen gegen Personen vorzubereiten, die in dem von der Überwachung erfassten Bereich bestimmte unerwünschte Verhaltensweisen zeigen. Die offene Videoüberwachung eines öffentlichen Ortes kann und soll zugleich abschreckend wirken und insofern das Verhalten der Betroffenen lenken […]. Durch die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials werden die beobachteten Lebensvorgänge technisch fixiert und können in der Folge abgerufen, aufbereitet und ausgewertet sowie mit anderen Daten verknüpft werden. So kann eine Vielzahl von Informationen über bestimmte identifizierbare Betroffene gewonnen werden, die sich im Extremfall zu Profilen des Verhaltens der betroffenen Personen in dem überwachten Raum verdichten lassen.
Der Eingriff in das Grundrecht entfällt nicht dadurch, dass lediglich Verhaltensweisen im öffentlichen Raum erhoben werden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet nicht allein den Schutz der Privat- und Intimsphäre, sondern trägt in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch den informationellen Schutzinteressen des Einzelnen, der sich in die Öffentlichkeit begibt, Rechnung […].
Von einer einen Eingriff ausschließenden Einwilligung in die Informationserhebung kann selbst dann nicht generell ausgegangen werden, wenn die Betroffenen aufgrund einer entsprechenden Beschilderung wissen, dass sie im räumlichen Bereich der Begegnungsstätte gefilmt werden. Das Unterlassen eines ausdrücklichen Protests kann nicht stets mit einer Einverständniserklärung gleichgesetzt werden […].“
3. Schließt die Datenschutz-Grundverordnung den grundgesetzlichen Unterlassungsanspruch aus?
a) Vor diesem Hintergrund überrascht die Argumentation des Verwaltungsgerichts, dass die erhobene Unterlassungsklage bereits unzulässig sei. Das Verwaltungsgericht war der Meinung, dass der anerkannte Unterlassungsanspruch im Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung keinen Platz mehr habe.
Das Verwaltungsgericht stützte diese Ansicht vor allem auf Art. 79 Abs. 1 DSGVO. Dieser Artikel regelt unter der Überschrift „Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter“ Folgendes:
„Jede betroffene Person hat unbeschadet eines verfügbaren verwaltungsrechtlichen oder außergerichtlichen Rechtsbehelfs einschließlich des Rechts auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde gemäß Artikel 77 das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf, wenn sie der Ansicht ist, dass die ihr aufgrund dieser Verordnung zustehenden Rechte infolge einer nicht im Einklang mit dieser Verordnung stehenden Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten verletzt wurden.“
Diese Vorschrift legte das Verwaltungsgericht dahin aus, dass gerichtliche Rechtsbehelfe – anders als die in Art. 79 Abs. 1 DSGVO ebenfalls genannten verwaltungsrechtlichen und außergerichtlichen Rechtsbehelfe – den betroffenen Personen nur zustünden, soweit die Datenschutz-Grundverordnung subjektive Rechte gewähre. Da die Datenschutz-Grundverordnung aber nur die Rechte aus Kapitel III, namentlich Auskunfts-, Berichtigungs- und Löschungsansprüche, jedoch keinen Unterlassungsanspruch einräume, könne dieser auch nicht mit einem gerichtlichen Rechtsbehelf durchgesetzt werden (Rn. 15 ff.).
b) Diese Ansicht überzeugte den Verwaltungsgerichtshof nicht. Dass mit der Formulierung in Art. 79 Abs. 1 DSGVO „die […] aufgrund dieser Verordnung zustehenden Rechte“ nur die Rechte der betroffenen Personen nach Kapitel III DSGVO gemeint sind, treffe nicht zu. Weder der Wortlaut der Vorschrift noch die Erwägungsgründe, die Normhistorie oder eine Auslegung nach Sinn und Zweck gäben Anhaltspunkte dafür, dass Art. 79 Abs. 1 DSGVO die Rechte betroffener Personen auch im Fall einer rechtswidrigen Datenverarbeitung nur auf die Rechte gemäß Kapitel III DSGVO beschränken und gerade das effektivste Instrument zur Abwehr einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung, den Unterlassungsanspruch, ausschließen wolle (Rn. 28).
Der Verwaltungsgerichtshof befand vielmehr, dass die Rechtsschutzgewährleistung aus Art. 79 Abs. 1 DSGVO alle subjektiven Rechte des Einzelnen erfasse, welche die Datenschutz-Grundverordnung – gleich an welcher Stelle, auch außerhalb von Kapitel III DSGVO – einräume. Auch Vorschriften des materiellen Rechts könnten einen derartigen Schutzzweck haben. Die Datenschutz-Grundverordnung verleihe jedem das Recht, keiner rechtswidrigen Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten ausgesetzt zu sein. Ist die Verarbeitung personenbezogener Daten eines Betroffenen beispielsweise deshalb materiell rechtswidrig, weil sie gegen Art. 24 BayDSG i. V. m. Art. 6 Abs. 2, Abs. 3 DSGVO verstößt, besteht ein Unterlassungsanspruch.
c) Im Rahmen des Nichtzulassungsverfahrens wies das Bundesverwaltungsgericht ferner darauf hin, dass Art. 79 Abs. 1 DSGVO schon deshalb den grundgesetzlichen Unterlassungsanspruch nicht ausschließen könne, weil die Datenverarbeitung im Wege der Videoüberwachung nicht allein unionsrechtlich determiniert sei. Nur wenn Videoüberwachung durch öffentliche Stelle vollständig unionsrechtlich vorgeprägt wäre, könnte der grundrechtliche Unterlassungsanspruch ausgeschlossen sein (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13 – BeckRS 2019, 29201, Rn. 42 – „Recht auf Vergessen I“). Dies sei aber nicht der Fall. Art. 24 BayDSG sei als mitgliedstaatliche Rechtsgrundlage für eine Datenverarbeitung auf Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. e, Abs. 3 Satz 1 Buchst. b DSGVO gestützt. Mit dieser Norm habe der bayerische Landesgesetzgeber von einem ihm durch die Datenschutz-Grundverordnung eröffneten Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht. Vor diesem Hintergrund sei Art. 24 BayDSG wie auch seine Anwendung am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes zu messen.
Ob sich der Kläger ergänzend auch auf einen im europäischen Recht wurzelnden Unterlassungsanspruch berufen könnte, konnte das Bundesverwaltungsgericht daher offenlassen.
II. Rechtswidrigkeit der konkreten Videoüberwachung im Passauer Klostergarten
Während sich das Verwaltungsgericht wegen der angenommenen Unzulässigkeit der Klage nicht weiter mit der Rechtmäßigkeit der konkreten Videoüberwachung zu befassen brauchte, hat der Verwaltungsgerichtshof dies nachgeholt. Dabei hat er auch die tatsächlichen Verhältnisse im Klostergarten aufgeklärt (vgl. Rn. 17 f.).
1. Überblick der Voraussetzungen von Art. 24 BayDSG
Nach Art. 24 Abs. 1 BayDSG ist die Verarbeitung personenbezogener Daten mit Hilfe von optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) zulässig, wenn dies im Rahmen der Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder in Ausübung des Hausrechts erforderlich ist, um – erstens – Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum von Personen, die sich im Bereich öffentlicher Einrichtungen, öffentlicher Verkehrsmittel, von Dienstgebäuden oder sonstigen baulichen Anlagen öffentlicher Stellen oder in deren unmittelbarer Nähe aufhalten, oder – zweitens – um Kulturgüter, öffentliche Einrichtungen, öffentliche Verkehrsmittel, Dienstgebäude oder sonstige bauliche Anlagen öffentlicher Stellen sowie die dort oder in deren unmittelbarer Nähe befindlichen Sachen zu schützen und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen beeinträchtigt werden.
2. Klostergarten als öffentliche Einrichtung
Der Klostergarten erwies sich als eine öffentliche Einrichtung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 BayDSG. Auch Grünanlagen können solche öffentlichen Einrichtungen sein, wenn sie entsprechend gewidmet sind. Dies war hier der Fall (näher Rn. 41).
3. Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe
Die nach Art. 24 Abs. 1 BayDSG durch die Videoüberwachung zu erfüllende Aufgabe kann nur darin liegen, den Widmungszweck der öffentlichen Einrichtung zu gewährleisten, indem diese vor Beschädigung und ihre Benutzer vor relevanten Übergriffen durch Dritte geschützt werden. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die entsprechende Orientierungshilfe des Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz nahm der Verwaltungsgerichtshof an, dass diese „erweiterte Eigensicherung“ durch eine Videoüberwachung grundsätzlich geeignet sein könne, eine ordnungsgemäße Benutzung einer Naherholungsfläche zu sichern und Gefahren der in Art. 24 Abs. 1 BayDSG beschriebenen Art zu verhüten.
Wichtig für die Praxis ist die Klarstellung des Verwaltungsgerichtshofs, dass das Ziel der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten die Zulässigkeit der Überwachung nicht hindert. Sie kann und darf aber (nur) „Nebenmotivation“ der Videoüberwachung sein; dann kommt es auch nicht zu einem Übergriff in den polizeilichen Befugnisbereich.
4. Gefahrentatbestand
Der Verwaltungsgerichtshof hebt hervor, dass Videoüberwachung nach Art. 24 BayDSG mit dem Gefahrentatbestand „steht und fällt“: „Um festzustellen, ob und in welchem Umfang eine Videoüberwachung zur Eigensicherung einer öffentlichen Einrichtung erforderlich ist, muss zunächst festgestellt werden, ob und welche Gefahren für die in Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BayDSG genannten Rechtsgüter im Einzelnen bestehen“ (Rn. 45).
Wie stets enthält der Gefahrentatbestand eine Prognose. Die Prognose ist notwendig tatsachenbasiert; sie muss ein Mindestmaß an Rationalität und Nachvollziehbarkeit aufweisen. Entsprechend genügen bloß theoretische – und letztlich immer bestehende – „Gefährdungsmöglichkeiten“, auch ein emotional noch so intensives „Unsicherheitsgefühl“ reicht nicht, um eine Videoüberwachung nach Art. 24 BayDSG zu rechtfertigen (Rn. 45).
Die Tatsachenbasis muss vielmehr nachzuweisen sein. Die Beweislast trägt dabei die öffentliche Stelle. Das versteht sich bereits aus national-grundrechtlicher Perspektive, ist aber in Art. 5 Abs. 2 DSGVO auch unionsrechtlich normiert. Der Nachweis setzt regelmäßig eine Dokumentation über einschlägige Schädigungen und Gefährdungen in der Vergangenheit voraus – die sog. Vorfallsdokumentation. Darin muss in Bezug auf den Zeitpunkt, das betroffene Rechtsgut und den Ablauf des Vorfalls möglichst genau festgehalten werden, was an schutzgutrelevanten Abläufen bislang zu verzeichnen war. Eine „Hinterlegung“ mit Strafanzeigen, Beweisfotos, polizeilichen Ermittlungsberichten oder vergleichbaren Dokumenten kann dabei helfen, die einzelnen Vorfälle „greifbar“ (und in der Gefahrprognose verarbeitbar) zu machen (vgl. Rn. 45).
Hieran fehlte es im konkreten Fall. Eine Gefahrsituation hinsichtlich relevanter Rechtsgüter war nicht ausreichend belegt – dies auch, weil in erheblichem Umfang „untaugliche“ (Bagatell-)Vorfälle herangezogen worden waren (vgl. im Einzelnen Rn. 55 ff.). Insofern war wegen der Regeln zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bei einer Unterlassungsklage auch der Zeitraum zwischen der behördlichen und der (berufungs-)gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen (Rn. 49). Die öffentliche Stelle hatte ja ohnehin in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob die Gefahrsituation noch bestand oder ob sich Veränderungen ergeben hatten.
Zwar kann eine Videoüberwachung – ausnahmsweise – auch zulässig sein, wenn Schäden oder schwere Vorfälle in der Vergangenheit noch nicht aufgetreten sind. Die öffentliche Stelle, die in einem solchen Fall eine Videoüberwachung einrichten will, muss die Gefahrenlage dann aber auf andere Weise darlegen. Der Verwaltungsgerichtshof lässt anklingen, dass hier neben gefahrimmanenten Orten (zum Beispiel ein Ausstellungsraum in einem städtischen Museum, in dem ein besonders wertvoller Münzfund ausgestellt ist) noch weitere Konstellationen in Betracht kommen. Hier dürften insbesondere Erfahrungen mit vergleichbaren Orten und dort eingetretenen Schäden eine Rolle spielen. Zu denken ist etwa an das generell bestehende Ein- und Ausbruchsrisiko bei Justizvollzugsanstalten oder Risiko gemeinschädlicher Angriffe auf Einrichtungen der kritischen Infrastruktur. Beim Klostergarten, einer von allen Seiten einsehbaren öffentlichen Grünfläche, waren die Voraussetzungen für den Verzicht auf eine Vorfallsdokumentation aber nicht erfüllt.
5. Eignung
Von Interesse sind schließlich die Aussagen des Verwaltungsgerichtshofs zur Eignung der Videoüberwachung. Die im Zeitpunkt der Senatsentscheidung noch „aktive“ Videoüberwachung hatte gegenüber dem Jahr 2017 – dem Jahr vor ihrer Einrichtung – keine nennenswerte Veränderung hinsichtlich der (ohnehin eher wenigen) begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten erlebt.
„Diese Entwicklung der relevanten Vorfälle zeigt, dass es nicht nur an der Erforderlichkeit der Videoüberwachung, sondern größtenteils auch an der Geeignetheit der Videoüberwachung, d.h. an ihrer Wirksamkeit und Effizienz zur Gefahrenabwehr fehlt […]. Verbale Beleidigungen können von der Videoüberwachung ohnehin nicht eingedämmt werden; für aus der Emotion heraus – spontan und affektiv – begangene Körperverletzungen ist die Videoüberwachung ebenfalls nicht relevant. Auch der Handel mit Betäubungsmitteln („Ameisenhandel“) dürfte durch die Videoüberwachung kaum eingedämmt werden können, zumindest soweit nicht erkennbar ist, welche Waren letztlich gehandelt werden. Zudem wird [in einem vorgelegten polizeilichen Bericht] darauf hingewiesen, dass [Klostergarten] in der „BtM-Szene“ als Anlaufadresse zwar bestens bekannt sei und tatsächlich zum illegalen BtM-Handel mit harten Drogen frequentiert werde. Diese Szene treffe sich im Bereich des [Klostergartens] aber lediglich, um illegale Geschäfte zu vereinbaren. Die tatsächlichen Handlungen passierten dann meist abgesetzt, zum Beispiel in den dortigen Tiefgaragen. Auch diese Aussage zeigt, dass die Videobeobachtung insoweit keinen oder allenfalls geringen positiven Effekt haben kann. Dass insbesondere Leben und Gesundheit der Besucher des [Klostergartens], die ein besonderes wichtiges Interesse darstellen […], gefährdet wäre, kann aufgrund der vorgelegten Dokumentationen nicht angenommen werden.
Sofern Täter, die andernorts Straftaten begangen haben, ermittelt werden konnten, weil sie bei ihrer Flucht den [Klostergartens] durchquerten […], kann das nicht für die Videobeobachtung […] angeführt werden, weil der [Klostergartens] insofern keine Gefahrenquelle darstellt; ansonsten könnte man jede Fläche, die fluchtgeeignet ist, videoüberwachen.“ (Rn. 52 f.)
6. Dimensionierung der Überwachung
Da es bereits am Vorliegen einer entsprechenden Gefahr fehlte, konnte der Verwaltungsgerichtshof offenlassen, ob die Dimensionierung der Videoüberwachung im Detail – namentlich die Beobachtung des gesamten Klostergartens mit auch schwenkbaren und zoombaren Kameras, mit denen nicht nur eine jederzeitige Videobeobachtung durch das Aufsichtspersonal auf dem Nachbargrundstück möglich war, sondern auch eine Aufzeichnung in einem zeitlichen Ausmaß von täglich 19 Stunden und einer Speicherdauer von 72 Stunden erfolgte – rechtmäßig war (Rn. 66).
III. Fazit
Der bis in die letzte Instanz „durchgeklagte“ Fall zeigt: Videoüberwachung ist möglich, wenn eine Gefahrsituation vorliegt und dokumentiert wird. An der strukturierten, gut nachvollziehbaren Prüfung der Vorschrift durch den Verwaltungsgerichtshof können sich auch Verantwortliche ein Vorbild nehmen. Wer eine Videoüberwachung einrichten möchte, sollte sein Augenmerk insbesondere auf folgende Überlegungen richten:
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Eine Videoüberwachung nach Art. 24 BayDSG setzt voraus, dass eine Gefahrsituation für Rechtsgüter besteht, die in Art. 24 Abs. 1 BayDSG genannt sind.
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Die Gefahrsituation ist zu begründen; sie setzt eine rationale Prognose voraus. Deshalb sind einschlägige Vorfälle, aus denen sich per Videoüberwachung abzuwehrende, künftige Gefahren ergeben sollen, möglichst präzise zu dokumentieren. Soll eine Videoüberwachung eingerichtet werden, ohne dass bislang einschlägige Vorfälle zu verzeichnen sind, muss die Gefahrsituation anderweit begründet – also nicht lediglich vermutet oder behauptet – werden.
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Trotz des präventiven Charakters von Art. 24 BayDSG schadet es nicht, wenn der Verantwortliche auch Maßnahmen der Strafverfolgung unterstützen möchte. Das darf nur nicht das „Alleinziel“ sein.
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Eine bereits errichtete Überwachungsanlage ist in gewissen Abständen auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Dazu gehört es auch, die Eignung und die Erforderlichkeit kritisch zu hinterfragen: Hat die Videoüberwachung keine positiven Veränderungen erbracht, kann sie ungeeignet sein. Werden die Vorfälle weniger, kann es „irgendwann“ auch an der Erforderlichkeit fehlen. Dann kann durch erkennbare Deaktivierung erprobt werden, ob es bei der erreichten Verbesserung des Sicherheitsniveaus bleibt.
Nähere Informationen zur Videoüberwachung durch bayerische öffentliche Stellen finden sich in Wilde/Ehmann/Niese/Knoblauch, Datenschutz in Bayern, in der Kommentierung zu Art. 24 BayDSG. Die Infothek des Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz (https://www.datenschutz-bayern.de/infothek) hält folgende Dokumente bereit:
- eine Orientierungshilfe „Videoüberwachung durch bayerische öffentliche Stellen“;
- ein Formular „Prüfbogen für eine Videoüberwachung durch eine bayerische öffentliche Stelle“ sowie
- ein Formular „Vorfallsdokumentation für eine Videoüberwachung durch eine bayerische öffentliche Stelle“.
Dr. Kai Engelbrecht/Dr. Thomas Schwabenbauer
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