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Bessere Personalauswahl durch KI?

Die Auswahl der Besten ist eine sehr anspruchs- und verantwortungsvolle Aufgabe. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz wird mit der Hoffnung verbunden, diese Aufgabe besser zu erfüllen. Die mit der KI verbundenen Chancen sollten jedoch mit deren Risiken abgewogen werden.

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Liebe Leserin, lieber Leser,

seit wenigen Jahren werden am Markt Produkte angeboten, die versprechen, eignungsdiagnostische Erkenntnisse mittels Künstlicher Intelligenz (KI) zu erzeugen (z. B. Greb & Linnenbürger, 2018; Schwertfeger, 2015, S. 32). Bei den am Markt angebotenen Systemen, die auf KI gründen, werden vielfältige Daten von Bewerbern‘1 analysiert. Das können Sprachproben, Fotos oder Videoaufzeichnungen von Bewerbern‘, ebenso von Bewerbern‘ verfasste Texte oder Daten zum Verhalten von Bewerbern‘ im Internet (z. B. vergebene Likes) sein (Kanning, 2023). Aus diesen Daten werden mittels KI Rückschlüsse z. B. auf deren Persönlichkeitsmerkmale gezogen und die Ausprägungen dieser Merkmale mit dem Anforderungsprofil verglichen.

Chancen der KI

Als mögliche Vorzüge des Einsatzes von KI in der Personalauswahl werden u. a. beschrieben (Greb & Linnenbürger, 2018, S. 80 – 81; Czernietzki & Westmattelmann, 2024, S. 237; Kanning & Ohlms, 2023, S. 17):

  • KI-gestützte Systeme würden objektiver als Menschen entscheiden, da sie keine Voreingenommenheit gegenüber einzelnen oder Gruppen von Menschen aufweisen,

  • Entscheidungen von KI-Systemen erfolgten evidenzbasiert,

  • angesichts der Nutzung großer Datenmengen könne die Zuverlässigkeit bzw. Reliabilität der eignungsdiagnostischen Messungen gesteigert werden,

  • durch die Heranziehung einer Vielzahl von Personenmerkmalen bei der Eignungsbeurteilung könne eine höhere Validität bzw. Treffsicherheit erreicht werden,

  • in der Personalauswahl könne der Zeit- und Kostenaufwand vermindert werden,

  • Personalauswählende würden von hoch repetitiven Tätigkeiten entlastet (z. B. Sichtung von Bewerbungsunterlagen),

  • mit KI-gestützten Systemen könne die Personalauswahl flexibler durchgeführt werden,

  • die Ergebnisse von KI-Systemen könnten durch die Bewerber‘ weniger verfälscht werden.

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Skepsis ist angebracht

Ob sich diese und andere möglichen Vorzüge tatsächlich realisieren lassen, ist bislang nicht umfassend geklärt. Erste Erfahrungen mahnen zur Vorsicht: Bei einem KI-gestützten System haben geringfügige Änderungen im Aussehen der Bewerber‘ oder Änderungen im Hintergrund einer Videoaufzeichnung zu erheblichen Änderungen in der Einschätzung der Persönlichkeitsmerkmale der Bewerber‘ geführt (sehen Sie sich das Video von Report München, 2021, an). Kanning (2023, S. 222) kommt nach seiner Analyse zu der Erkenntnis, dass die prognostische Validität der KI-Systeme weitgehend unbekannt ist.

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Werden Entscheidungen durch KI akzeptiert?

Erste Erkenntnisse liegen allerdings nun im Hinblick auf die Frage vor, ob Bewerber‘ den Einsatz von KI in der Personalauswahl akzeptieren. Czernietzki und Westmattelmann (2024) teilten 410 Personen zufällig in zwei Gruppen auf. Beiden Gruppen wurde eine Situation geschildet, bei der ein Vorauswahlverfahren auf Grundlage von Bewerbungsunterlagen durchgeführt wird. Die Auswahlentscheidung wurde bei der Situationsschilderung in der einen Gruppe durch einen Menschen, in der anderen Gruppe durch eine KI gefällt. Nach der Darstellung der Situation wurden die Personen befragt, wie sie das Entscheidungsverhalten des Menschen und der KI wahrnehmen.

Mensch vertrauenswürdiger als KI

Die Befragten‘ hatten im Durchschnitt ein größeres Vertrauen in die Entscheidung des Menschen (4,41 zu 3,28 auf einer siebenstufigen Skala). Der Mensch würde mit größerem Wohlwollen, einer höheren Anpassungsfähigkeit und (erstaunlicherweise) einer größeren Datenverarbeitungskapazität als die KI entscheiden. Allerdings sprachen sie der KI eine höhere Integrität zu. Das absolute Ausmaß des Vertrauens in die Vorauswahlentscheidung ist jedoch auch beim Entscheidungsträger Mensch nicht übermäßig hoch. So liegt die Interpretation nahe, dass in der beschriebenen Vorauswahlsituation der Mensch als das kleinere Übel wahrgenommen wird. Insgesamt legt die Studie trotz ihrer Einschränkung (keine realen Bewerber‘) die Annahme nahe, dass die Akzeptanz von Vorauswahlprozessen durch den Einsatz von KI nicht gesteigert, aber auch nicht ruiniert wird.

Risiko: Diskriminierung durch KI

Vor dem Einsatz der KI sollten die Chancen mit den Risiken abgewogen werden. Ein Risiko ist hierbei der sog. „Algorithmic Bias“. KI fundiert auf mathematisch-statistischen Verfahren, die eine große Anzahl von Daten analysieren und in einer iterativen Vorgehensweise die optimale Formel zur Vorhersage einer interessierenden Größe (z. B. Ausmaß der beruflichen Leistung, Ausprägung von Persönlichkeitsmerkmalen) bestimmen. Bei unsachgemäßem Einsatz der KI kann es zu Diskriminierungen kommen („Algorithmic Bias“; Fleck et al., 2022, S. 5 - 6). Beispiel: Bislang gibt es nach meiner Kenntnis in Deutschland keinen Behördenleiter‘ mit dunkler Hautfarbe. Eine KI, die bei der Analyse erfolgreicher Behördenleitungen auch die Hautfarbe als Personenmerkmal berücksichtigte, könnte zum (Fehl)Schluss kommen „alle erfolgreichen Behördenleitungen haben helle Hautfarbe“. Bewürbe sich nun eine dunkelhäutige Person um eine Behördenleitung, würde die Person aufgrund ihrer Hautfarbe fälschlicherweise als ungeeignet beurteilt werden.

Risiko: Datengrundlage und Entscheidung nicht nachvollziehbar

Vor dem Einsatz von KI-Produkten in der Personalauswahl wäre in der Praxis zu prüfen, welche Daten durch diese Systeme erhoben werden. Werden durch diese Produkte Daten zu besonders geschützten Merkmalen (z. B. Hautfarbe, Geschlecht, Schwangerschaft, Behinderung, Gewerkschaftszugehörigkeit) erhoben und verarbeitet? Erfolgt die Datenerhebung und –verarbeitung datenschutzkonform? Des Weiteren ist ein Kriterium für den Einsatz von KI-Produkten, ob neben prognostisch validen Daten auch ein „Verstehenszusammenhang“ (Bäcker & Jansen, 2018, S. 111) geliefert wird.  Personalauswählende sollten erklären können, wie eine Messung der Ausprägung eines Personenmerkmals oder ein Eignungsurteil im Einzelfall zustande gekommen ist. Zu beachten ist, dass KI-Systeme für Zwecke der Personalauswahl als Hochrisiko-KI-Systeme gemäß Artikel 6 Absatz 2 des Artificial Intelligence Act (AI Act) einzustufen sind, an die höchste Anforderungen in Bezug auf die technische Dokumentation, menschliche Aufsicht, Aufzeichnungspflichten u. ä. m. gestellt werden (siehe Abschnitt 2 des AI Act).

Risiko: Nicht-Berücksichtigung zukünftiger Anforderungen

KI-Systeme können nur Daten analysieren, die bereits vorliegen. KI kommt stets zu einer Schlussfolgerung, wie in der Vergangenheit Daten optimal für eine Vorhersage genutzt hätten werden können, sie findet die damals geltenden Regeln. Falls jedoch zukünftig andere Regeln gelten, versagt die KI. Übertragen auf die Personalauswahl: Werden zukünftig andere berufliche Anforderungen bedeutsam, wird die KI in ihren Vorhersagen eine geringe Treffsicherheit aufweisen. Menschen sind in begrenztem Maße in der Lage, in ihrem Handeln zukünftige Entwicklungen zu berücksichtigen und Umbrüche zu erahnen (vielleicht auch deswegen, weil sie sich ihre Zukunft in Teilen selbst schaffen). Deswegen zeichnet sich gute Personalauswahl dadurch aus, dass neben den aktuellen auch die zukünftigen beruflichen Anforderungen berücksichtigt werden.

Ausblick (!)

Künstliche Intelligenz ist ein interessanter Ansatz, der Eignungsdiagnostik neue Möglichkeiten zu eröffnen. Zwischen den Polen „vorschnelle Ablehnung und Verteufelung“ sowie „Zusprechung magischer Macht“ (Bäcker & Jansen, 2018, S. 111) bleibt genügend Raum für die Entwicklung neuer, den Auswahlprozess unterstützender und optimierender Instrumente. Für die Stellenbesetzungsverfahren im öffentlichen Sektor wäre es beispielsweise schon ein großer Gewinn, falls ein KI-gestütztes Auskunftssystem Personalauswählenden für Gestaltungs- und Durchführungsfragen Hinweise zu aktuellen und spezifischen Gerichtsurteilen sowie eignungsdiagnostischen Studien liefern würde (Gourmelon & Hoffmann, 2021, S. 252).

Herzlichst

Andreas Gourmelon

Quellen:

Bäcker, R. & Jansen, K. (2018). Potenzialbeurteilung in einer digitalen Welt. In A. Gourmelon (Hrsg.), Personalauswahl – ein Blick in die Zukunft (S. 95 - 120). Heidelberg: Rehm.

Czernietzki, C. & Westmattelmann, D. (2024). Künstliche Intelligenz in der Personalauswahl. Zeitschrift Führung und Organisation, zfo 04/24, S. 236 – 242.

Greb, C. & Linnenbürger, A. (2018). Einsatz von künstlicher Intelligenz und Sprachanalysetechnologien in der Personalauswahl, in: Gourmelon, Andreas, Personalauswahl – ein Blick in die Zukunft (S. 75– - 86). Heidelberg: Rehm.

Kanning, U. P. (2023). Künstliche Intelligenz in der Personalauswahl. In U. P. Kanning & M. L. Ohlms (Hrsg.), Digitale Personalauswahl und Eignungsdiagnostik (S. 197 – 226). Göttingen: Hogrefe.

Kanning, U. P. & Ohlms, M. L. (2023). Digitale Personalauswahl und Eignungsdiagnostik – eine Einführung. In U. P. Kanning und M. L. Ohlms (Hrsg.). Digitale Personalauswahl und Eignungsdiagnostik (S. 1 – 20). Berlin: Springer.

Report München (2021). Künstliche Intelligenz bei der Jobbewerbung. https://www.ardmediathek.de/video/report-muenchen/kuenstliche-intelligenz-bei-der-jobbewerbung/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3JlcG9ydCBtw7xuY2hlbi8wODQxYzgxNS1kMjU1LTRhNjMtYjYyYy1lZTJiNmExOTg2ZWU

Schwertfeger, B. (2015). Personalauswahl per Sprachtest. Personalmagazin, 12, 32–34.


1 Durch die Verwendung eines Apostrophs wird gekennzeichnet, dass mit dem Begriff Menschen jeglichen Geschlechts gemeint sind.

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