Die Beschäftigten des öffentlichen Sektors sollen sich durch Redlichkeit, Rechtschaffenheit, Unbestechlichkeit und Anständigkeit – kurz: Integrität – auszeichnen. Kann mit dem neuen Test INWORK die Integrität von Bewerbern1 zuverlässig erfasst werden?
Liebe Leserin, lieber Leser,
zu meinem großen Erstaunen ist es schon neun Jahre her, dass wir uns in diesem Blog mit dem Thema Integrität befasst haben. Im Blog vom 14.12.2015 berichtete ich Ihnen über die Ergebnisse einer empirischen Studie, mit der die Qualität des Integritätstests IBES geprüft wurde. Ich empfahl Ihnen damals, diesen Test bei der Auswahl von Nachwuchskräften ergänzend einzusetzen, weil damit die Anzahl gering integrer Nachwuchskräfte um bis zu 50 % reduziert werden kann. Seit zwei Jahren ist ein neuer Integritätstests erhältlich, der Ihnen in diesem Blog kurz vorgestellt wird.
Ein Test aus Österreich
INWORK wurde unter der Leitung des Psychologen Prof. Dr. Aljoscha Neubauer und der Psychologin Dr. Barbara Weissenbacher (beide an der Universität Graz tätig) entwickelt. Bezogen werden kann der Test über den Hogrefe-Verlag (testzentrale.de). Das Manual zum Test liegt in Papierform vor, die Testdurchführung erfolgt ausschließlich via Computer. Der Test, welcher für Zwecke der Personalauswahl und -entwicklung konzipiert wurde, setzt gute Deutsch-Kenntnisse voraus und ist für Personen ab 18 Jahren anwendbar.

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Was erfasst der Test?
Mit dem Test wird das „…individuelle Ausmaß an Integrität in beruflichen Situationen erfasst“ (Neubauer & Weissenbacher, 2022, S. 9). In Bezug auf die Arbeitswelt kann Integrität als das Handeln der Beschäftigten im Sinne und zum Wohl des Arbeitgebers verstanden werden (Gourmelon, 2017, S. 25). Der Gegenpol zu Integrität ist die Neigung zu kontraproduktiven Verhalten (Hoffmann et al., 2006, S. 59 – 60), also den Arbeitgeber oder dessen Beschäftigten schädigendes Verhalten, wie z. B. Diebstahl, Absentismus, Korruption.

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Alltagsnahe Testaufgaben
Üblicherweise werden in Persönlichkeitstests den Testteilnehmern‘ Fragen, Aussagen u. ä. m. vorgegeben, die dann durch „Ankreuzen“ auf einer Skala beantwortet oder bewertet werden. INWORK funktioniert anders: In diesem Test werden jeweils mit einigen Sätzen konkrete berufliche Situationen, die konfliktbehaftet sind, beschrieben. Eine solche Situation könnte beispielsweise2 sein, dass eine OP-Pflegekraft kurz vor einer medizinischen Operation die Alkoholfahne des Chirurgen bemerkt. Anschließend sollen die Testteilnehmer‘ angeben, welche von vier vorgegebenen Handlungsmöglichkeiten sie in einer solchen Situation am ehesten umsetzen würden (z. B.: a, Meldung an Vorgesetzten oder b, Chirurg ansprechen oder c, an OP wie geplant mitwirken oder d, sich krank melden3). Insgesamt werden 23 Situationen beschrieben, deren Bearbeitung etwa eine halbe Stunde in Anspruch nehmen.
Auswertung
Bei der Konstruktion des Tests wurde durch Experten‘ vorab bewertet, wie integer die jeweilige Handlungsoption ist. Jede der vier Handlungsoptionen einer beruflichen Situation erhielt – je nach Ausmaß der Integrität – einen Punktwert zwischen 1 und 4 zugeordnet. Zur Auswertung eines durchgeführten Tests werden die pro Testaufgabe (berufliche Situation) erzielten Punkte ermittelt und über alle 23 Situationen summiert. Ein Testteilnehmer‘ kann folglich maximal 4 x 23 = 92 Punkte erzielen. Der erzielte Testwert kann mit den Testwerten einer „…repräsentativen Normstichprobe von insgesamt N = 1503 Personen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz…“ (Neubauer & Weissenbacher, 2023, S. 10) verglichen werden.
Qualitätskriterien
Überprüft wurden bei INWORK u. a. die Test-Retest-Reliabilität (r = 0,88) sowie die Zusammenhänge mit Ergebnissen aus Fragebogen zu selbstberichteten kontraproduktiven Verhalten am Arbeitsplatz (r = - 0,39; Neubauer & Weissenbacher, 2022, S. 36 – 37). Diese und andere im Manual dokumentierten Ergebnisse zu Qualitätskriterien weisen darauf hin, dass mit INWORK für die Personalauswahl angemessen reliable und valide Testergebnisse erzielt werden. Der Test scheint zudem nur in geringem Ausmaß für Verfälschungstendenzen der Teilnehmenden anfällig zu sein. Die Akzeptanz der Testaufgaben sollte angesichts der berufsbezogenen Formulierungen ähnlich hoch sein, wie die von situativen Fragen in Interviews.
Fazit
Die Überprüfung der charakterlichen Eignung in Auswahlverfahren ist nicht trivial. Zumindest für Auswahlverfahren mit ausschließlich externen Bewerbern‘ scheint der Einsatz von INWORK eine sinnvolle Ergänzung zu sein. Interessant wäre es, die prognostische Validität des Tests speziell im öffentlichen Sektor zu erheben.
Herzlichst
Andreas Gourmelon
Quellen:
Gourmelon, A. (2017). Bewährung von Integritätstests in der Praxis – Studienergebnisse aus dem öffentlichen Sektor. In C. Stark (Hrsg.), Korruptionsprävention (S. 21 - 36). Wiesbaden: SpringerGabler.
Hoffmann, J., Mokros, A., & Wilmer, R. (2006). Dimensionen der Devianz. Polizei & Wissen-schaft, 1/2006, 59–63.
Neubauer, A. & Weissenbacher, B. (2022). INWORK – Integrity in work-related situations (Manual). Göttingen: Hogrefe.
1 Durch die Verwendung eines Apostrophs wird gekennzeichnet, dass mit dem Begriff Menschen jeglichen Geschlechts gemeint sind.
2 Das Beispiel und die folgenden Handlungsoptionen entsprechen nicht dem Originaltext des Tests. Es ist nur an das Original angelehnt, stark verkürzt und dient ausschließlich der Verdeutlichung der Funktionsweise.
3 Wem die Option „mir selbst Mut antrinken“ fehlt, meldet sich bitte bei mir ;-)
