In Zeiten des Wettstreits um Personal wird die Bindung der Beschäftigten bedeutsamer. Wo gibt es Ansatzpunkte zur Personalbindung?
Liebe Leserin, lieber Leser,
innerhalb von zwei Jahrzehnten hat sich der Arbeitsmarkt in vielen Branchen, Berufsbereichen und Regionen Deutschlands grundlegend verändert. Während noch im Jahr 2005 die Arbeitslosenquote in Deutschland bei 13 % lag (Statistisches Bundesamt, 2024), beträgt sie im Juni 2024 5,8 %. Aus einem Arbeitgebermarkt ist ein Arbeitnehmermarkt geworden, d. h. insbesondere jüngere und gut qualifizierte Erwerbstätige können oftmals zwischen verschiedenen Arbeitsangeboten auswählen. In vielen Regionen, Branchen und Berufsbereichen herrscht Personalnot und die Arbeitgeber konkurrieren miteinander um das knappe Personal – aus dem früheren „war for talents“ ist nun ein umfassender „war for personnel“ geworden. Je ausgeprägter nun der Wettstreit um Personal am Arbeitsmarkt ist, desto bedeutsamer ist es, sich um diejenigen zu kümmern, die bereits „an Bord“ sind. In diesem Beitrag kläre ich, was unter Personalbindung und Commitment zu verstehen ist und erläutere einige empirische Befunde.
Auf der einen Seite Personalbindung …
Alle Aktivitäten, die die Beschäftigten in der eigenen Behörde oder Verwaltung halten und deren Engagement befördern, werden mit Personalbindung bezeichnet (syn. Personalerhaltung, Retention-Management). Maßnahmen, die zur Personalbindung beitragen, können u. a. in den Handlungsfeldern Personalbeschaffung (z. B. wirksame Onboarding-Prozesse), Personaleinsatz (z. B. Vereinbarung attraktiver Dienstzeiten), Personalentwicklung (z. B. Fort- und Weiterbildungsangebote, Potenzialanalysen), Personalentlohnung (z. B. Bleibeprämien), Personalführung (z. B. Realisierung eines partizipativ-demokratischen Führungsstils) durchgeführt werden. Daneben bietet auch der Bereich der Arbeits- und Organisationsgestaltung viele Ansatzpunkte zur Personalbindung. Schulte und Pinger (2020) sowie Krause (2022) stellen eine Vielzahl von Maßnahmen zur Personalbindung im öffentlichen Sektor dar.

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… auf der anderen Seite Verbundenheit bzw. Commitment
Maßnahmen der Personalbindung sollen auf Seiten der Beschäftigten zur Verbundenheit (syn. Commitment) führen. Die Verbundenheit kann sich auf unterschiedliche Objekte (bzw. Foci; Frank & Felfe, 2012, S. 16 - 20) richten: Beschäftigte können sich an eine Organisation (z. B. Stadtverwaltung X), an einen Beruf oder eine Tätigkeit (z. B. Erzieherin in einer Kita), an ein Team, an eine Führungskraft oder eine Beschäftigungsform (z. B. Festanstellung) gebunden fühlen. Dabei kann das Commitment an die Objekte durchaus unterschiedlich ausgeprägt sein: Beispielsweise mag sich eine Beschäftigte in hohem Maß an ihr Team, ihre Tätigkeit und an ihren Beamtenstatus gebunden fühlen, aber nicht an ihre Chefin und ihren Dienstherren.

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Unterschiedliche Interessen
Verschiedene Akteure des Personalmanagements können in Bezug auf die Wirkrichtung von Bindungsmaßnahmen durchaus unterschiedliche Interessen aufweisen. Die Verwaltungsführung und das Personalamt werden beabsichtigen, die Verbundenheit der Beschäftigten mit der Organisation zu erhöhen. Gleichzeitig werden diese Akteure es durchaus goutieren, wenn Beschäftigte bereitwillig innerhalb der Organisation ihre Stelle, ihr Tätigkeitsfeld oder ihr Team wechseln. Direkte Vorgesetzte hingegen schätzen in hohem Maße die Verbundenheit der Beschäftigten mit der Führungskraft, der Tätigkeit und dem Team. Die Verbundenheit mit der Organisation, das organisationale Commitment, ist der kleinste gemeinsame (Interessens)Nenner aller Akteure des Personalmanagements. Regelmäßig werden nicht alle Beschäftigten einer Organisation im Fokus der Personalbindung stehen. Zum Beispiel können mitarbeiterbedingt Personalfreistellungen erforderlich sein. An die Organisation sollen – so Berthel und Becker (2017) – „… vor allem die für die Zukunft benötigten Leistungsträger …“ (S. 449) gebunden werden.
Arten des Commitments und deren Folgen
In Anlehnung an Meyer und Allen (1991, S. 61-84) werden drei verschiedene Arten von organisationalem Commitment unterschieden. Mit dem affektiven Commitment wird die emotionale Verbundenheit von Beschäftigen mit der Organisation beschrieben. Beschäftigte verbleiben in der Organisation, weil es ihren Wünschen und Wollen entspricht. Kalkulatorisches Commitment ist das Ergebnis einer Abwägung der Kosten und des Nutzens des Verbleibs in einer Organisation. Nutzenaspekte können z. B. der Verdienst oder Pensionszusagen, Kostenaspekte eines Wechsels z. B. der Aufwand sein, der mit der Übernahme eines neuen Jobs verbunden wäre. Es kann auch keine alternativen Stellenangebote für einen Beschäftigten geben; dieser bleibt folglich, weil er muss (Felfe, 2020, S. 19). Normatives Commitment gründet auf moralischen Erwägungen oder der Reflexion gesellschaftlicher Normen in Bezug auf den Verbleib in einer Organisation. Beschäftigte mit einem hohen normativen Commitment verbleiben in der Organisation, weil sie sich moralisch in der Pflicht fühlen.
Beschäftigte, die sich „...einer Organisation in hohem Maße verbunden fühlen, werden sich mit großer Wahrscheinlichkeit stärker für die Interessen und Ziele der Organisation engagieren, Veränderungen und neue Entwicklungen akzeptieren und dem Unternehmen auch dann treu bleiben, wenn sich attraktive Beschäftigungsalternativen bieten“ (Felfe, 2008, S. 14).
Should I stay oder should I go?
Der Entschluss von Beschäftigten, in einer Organisation zu verbleiben oder sie zu verlassen, ist das Ergebnis der Melange von affektivem, kalkulatorischem und normativem Commitment. Zudem können auch Gewohnheiten eine bedeutsame Rolle spielen. Kurzfristig kann eine Wechselabsicht durch arbeitsvertragliche Vereinbarungen oder dienstrechtliche Vorgaben in ihrer Umsetzung behindert werden; in diesen Fällen ist es allerdings fraglich, ob sich die Beschäftigten dann noch positiv für den Arbeitgeber / Dienstherren engagieren.
Lage im öffentlichen Sektor
Im Bleibebarometer Öffentlicher Dienst ist festgehalten, dass sich 80 % der Beschäftigten im öffentlichen Sektor vorstellen könnten, den Arbeitgeber oder die Behörde zu wechseln; 59 % haben sich bereits bei anderen Arbeitgebern oder Dienstherren beworben (Next:Public, 2022, S. 9). Bei der Befragung im Rahmen des Bleibebarometers gaben die Beschäftigten ebenfalls an, durch welche Faktoren sie in ihrer Organisation gehalten werden – nachfolgend die Top-5-Haltefaktoren im öffentlichen Sektor aus Sicht der Beschäftigten in der Reihenfolge ihrer Bedeutsamkeit:
- Persönliche Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der Organisation
- Gute Bezahlung
- Interessante und abwechslungsreiche Arbeit
- Gutes Arbeitsklima
- Respektvoller Vorgesetzter
Zusammenfassung von Forschungsergebnissen
Mit welchen Merkmalen von Beschäftigten, Stellen und Organisationen sich erklären lässt, weshalb Beschäftigte von sich aus den Arbeitgeber wechseln (freiwillige Fluktuation), kann der Metaanalyse von Rubenstein et al. (2018, zitiert nach Biemann & Weckmüller, 2018, S. 47) entnommen werden. Die Metaanalyse von Rubenstein et al. (2018) fasst dabei die Ergebnisse hunderter empirischer Studien in quantitativer Weise zusammen; Abb. 1 enthält ausgewählte Ergebnisse der Metanalyse.
Abb. 1: Merkmale, die mit der freiwilligen Fluktuation statistisch zusammenhängen (Quelle: nach Rubenstein et al., 2018, zitiert nach Biemann und Weckmüller, 2018, S. 47)
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Merkmale und Zusammenhangsrichtung mit der Fluktuation („+“ bedeutet: je ausgeprägter das Merkmal, desto höher die Fluktuation, „-“ bedeutet: je ausgeprägter das Merkmal, desto niedriger die Fluktuation) |
Zusammenhangshöhe zwischen Fluktuation und den Merkmalen |
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Alter (-), Kinder (-), Dauer der Organisationszugehörigkeit (-), Arbeitsplatzsicherheit (-), Organisationsklima (-), Führung (-), Arbeitszufriedenheit (-), Passung/Fit (-), Stress (+) |
vergleichsweise hoher Zusammenhang |
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Gehalt (-), Arbeitsbelastung (-), emotionale Stabilität (-), Gewissenhaftigkeit (-), Offenheit für Erfahrungen (+), Verträglichkeit (-), Unterstützung durch Organisation (-) |
vergleichsweise mäßiger Zusammenhang |
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Geschlecht, Ausbildung, Aufgabenkomplexität, Organisationsgröße |
kein oder sehr geringer Zusammenhang |
Ein Lesebeispiel: je besser das Organisationsklima ist, desto niedriger ist die freiwillige Fluktuation, der Zusammenhang hierfür ist vergleichsweise hoch. Die Ergebnisse der Metaanalyse und auch des Bleibebarometers Öffentlicher Dienst zeigen auf, dass es für das Personalmanagement empirisch belegt vielfältige Ansatzpunkte gibt, die Verbundenheit der Beschäftigten zu beeinflussen.
Ich wünsche Ihnen angenehme Sommertage!
Herzlichst
Andreas Gourmelon
Quellen:
Berthel, J. & Becker, F. G. (2017). Personal-Management. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
Biemann, T. & Weckmüller, H. (2018). Should I stay or should I go? Mitarbeiterfluktuation lässt sich durch eine Vielzahl verschiedenster Faktoren erklären. PERSONALquarterly, 04/18, S. 46 – 49.
Felfe, J. (2008). Mitarbeiterbindung (1. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
Felfe, J. (2020). Mitarbeiterbindung (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
Felfe, J. & Franke, F. (2012). Commitment-Skalen (COMMIT). Fragebogen zur Erfassung von Com-mitment gegenüber Organisationen, Beruf/Tätigkeit, Team, Führungskraft und Beschäftigungsform. Bern: Verlag Hans Huber.
Krause, T. (2022). Nachhaltiger Erfolg in der Personalgewinnung durch ein aktives Retention Management im öffentlichen Dienst. In M. Kawik, S. Adena, H. M. Heimann, T. Krause, P. S. Metzger, S. Pflüger, U. Schäffer-Kulz und A. Werner (Hrsg.), Personalgewinnung, -bindung und -entwicklung im öffentlichen Dienst (S. 72 - 83). Hürth: Luchterhand / Wolters Kluwer.
Meyer, J. P., & Allen, N. J. (1991). A Three-Component Conceptualization of Organizational Commitment. Human Resource Management Review, 1, 61 – 89.
Next:Public (2022). Bleibebarometer Öffentlicher Dienst. Eine Befragung zu Bindungsfaktoren im Öffentlichen Dienst. https://nextpublic.de/bleibebarometer-oeffentlicher-dienst/ (Abruf am 11.07.2024)
Rubenstein, A. L., Eberly, M. B., Lee, T. W. & Mitchell, T. R. (2018). Surveying the forest: A meta-analysis, moderator investigation, and future-oriented discussion of the antecedents of voluntary employee turnover. Personnel Psychology, 71(1), 23-65.
Schulte, S. & Pinger, G. (2020). Mitarbeiterbindung im öffentlichen Dienst. Wiesbaden: Kommunal- und Schulverlag.
