Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat mit Beschluss vom 1.8.2024 (Verg 19/23) einen recht seltenen Fall der Nutzung einer elektronischen Auktion nach § 120 Abs. 2 GWB i.V.m. §§ 25, 26 VgV zu entscheiden. Der Vergabesenat stellte fest, dass auch nach Durchführung einer elektronischen Auktion die finalen Angebote einer Auskömmlichkeitsprüfung nach § 60 VgV zu unterziehen sind. Außerdem sei ein Auftraggeber nicht verpflichtet, den an der Auktion teilnehmenden Bietern neben ihrem jeweiligen Rang auch die Gesamtanzahl der an der Auktion beteiligten Wettbewerber mitzuteilen.
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Der Fall
Die Antragsgegnerin (Ag) schrieb die Verwertung und Vermarktung von Altpapier europaweit im offenen Verfahren unter Durchführung einer elektronischen Auktion aus. Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis. Zur Teilnahme an der Auktion waren alle Bieter zugelassen, die nach dem Ergebnis einer vollständigen Bewertung ihres Erstangebots die vorgegebenen Kriterien erfüllten. Nach Abschluss der Auktion sollten die in der Auktion abgegebenen Gebote einer nochmaligen Angemessenheitsprüfung nach § 60 VgV unterzogen werden. Die Ag teilte den Bietern im Rahmen der Auktion zwar den jeweiligen Rang, nicht aber die Anzahl der insgesamt teilnehmenden Bieter mit.
Die Antragstellerin (Ast) gab ein Erstangebot ab und beteiligte sich auch an der elektronischen Auktion, bei der nicht sie, sondern ein Wettbewerber den ersten Rang belegte.
Die Ast strengte daraufhin ein Nachprüfungsverfahren an, in dem sie diverse Verfahrensfehler rügte, unter anderem auch die fehlerhafte Durchführung der elektronischen Auktion. Sie trug dazu vor, dass eine nochmalige Auskömmlichkeitsprüfung der Angebote im System einer elektronischen Auktion nicht vorgesehen sei. Außerdem hätte die Ag neben dem Rang auch die Gesamtzahl der teilnehmenden Unternehmen mitteilen müssen.
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Die Entscheidung
Das BayObLG hielt die Rügen gegen die Durchführung der elektronischen Auktion für unbegründet, gab der Beschwerde aber wegen eines anderen Vergabeverstoßes aufgrund einer unzureichend beantworteten Bieterfrage statt (dazu s.u.).
Zunächst weist das Gericht darauf hin, dass weder im nationalen Recht noch in der zugrundeliegenden Richtlinie 2014/24/EU ausdrücklich positiv geregelt sei, ob eine abschließende Auskömmlichkeitsprüfung in offenen Verfahren mit elektronischer Auktion zulässig sei. Vielmehr sei in § 120 Abs. 2 S. 2 GWB, § 25 Abs. 1 S. 3 VgV lediglich angeordnet, dass jeder elektronischen Auktion eine vollständige erste Bewertung aller Angebote vorauszugehen hat. Jedoch ergebe sich aus dem Regelungszusammenhang der Normen, dass es rechtlich zulässig und auch geboten sei, nach Durchführung der Auktion unter den Voraussetzungen des § 60 VgV nochmals eine Auskömmlichkeitsprüfung durchzuführen, die die in der Auktion abgegebenen Gebote betreffe. Nur eine solche Prüfung im Stadium nach Beendigung der Auktion sei geeignet, den subjektiven Anspruch der Mitbewerber auf die Beachtung der Vorgaben der VgV in Bezug auf ungewöhnlich niedrige Angebote zu wahren. Der „Preis- und Bieterwettkampf“ bei Durchführung einer Auktion zeige die Notwendigkeit auf, hinsichtlich der finalen Bestgebote die Regelung des § 60 VgV im Interesse eines fairen Wettbewerbs und damit der Bieter anzuwenden.
Ebenfalls keinen Vergabeverstoß stellt es aus Sicht des BayObLG dar, dass die Ag den an der Auktion teilnehmenden Bietern nur ihren jeweiligen Rang, nicht aber die Gesamtanzahl der an der Auktion beteiligten Wettbewerber mitgeteilt habe. Gemäß § 26 Abs. 5 S. 1 VgV habe der öffentliche Auftraggeber allen Bietern im Laufe einer jeden Phase der elektronischen Auktion unverzüglich zumindest „den jeweiligen Rang ihres Angebots innerhalb der Reihenfolge aller Angebote“ mitzuteilen.
Der Wortlaut des § 26 Abs. 5 S. 1 VgV sei entgegen der Ansicht der Ast nicht eindeutig in der Weise zu verstehen, dass der jeweilige Rang (z. B. „Rang 1“) in einen Bezug zur Gesamtzahl der Bieter (z. B. „von insgesamt 4“) zu setzen sei. Vielmehr ließe sich die Formulierung „Rang ihres Angebots innerhalb der Reihenfolge aller Angebote“ auch als bloße Umschreibung für die Rangstelle des jeweiligen Angebots begreifen, wobei die Rangstelle auf der Grundlage der Reihenfolge aller Angebote zu ermitteln ist. Nach diesem Verständnis handele es sich bei dem Zusatz „innerhalb der Reihenfolge aller Angebote“ lediglich um eine um Präzision bemühte Umschreibung des Begriffs „Rang“ ohne zusätzliches inhaltliches Erfordernis, das über den Begriff des Rangs hinausginge.
Auch die Materialien zur Verordnung der Bundesregierung zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsverordnung – VergRModVO), mit der § 26 Abs. 5 VgV eingeführt worden ist, sprechen aus Sicht des BayObLG gegen eine Auslegung der nationalen Norm in dem Sinne, dass neben der Rangstelle stets auch die Gesamtanzahl der Bieter zwingend zu nennen sei. Die schlichte Erläuterung in der Verordnungsbegründung dahingehend, dass mit Absatz 5 die Richtliniennorm umgesetzt werde, spricht gegen die Annahme, der nationale Gesetzgeber habe erwogen und sich dazu entschieden, eine ihm in der Richtlinie eröffnete Möglichkeit zu einer weitreichenderen Regelung (über die Mitteilung des Rangs hinaus) zu nutzen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass etwaige Überlegungen in dieser Richtung sowie die Gründe für eine gewollte erweiterte Regelung in den Materialien dokumentiert worden wären.
Erfolg hatte die Beschwerde im Ergebnis deshalb, weil die Ag aus Sicht des Vergabesenates eine Bieterfrage der Ast unzureichend beantwortet habe (es ging dabei um Informationen über Bestehen und Inhalt einer Abstimmungsvereinbarung zwischen dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und einem sog. Systemtreiber nach § 22 VerpackG). Der Umgang mit Bieterfragen ist in der VgV nur rudimentär geregelt, lediglich § 20 Abs. 3 Nr. 1 VgV befasst sich mit einer evtl. Verlängerung der Angebotsfrist, wenn ein Unternehmen rechtzeitig zusätzliche Informationen angefordert hat. Das BayObLG betont nun aber, dass öffentliche Auftraggeber nach Art. 53 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU verpflichtet seien, allen am Vergabeverfahren teilnehmenden Bietern auf rechtzeitige Anforderung ergänzende Auskünfte zu den Spezifikationen und den zusätzlichen Unterlagen zu erteilen. Diese Verpflichtung gelte ohne weiteren nationalen Ausführungsakt unmittelbar, denn ihre Voraussetzungen und Rechtsfolgen seien der Richtlinienbestimmung selbst hinreichend genau und unbedingt zu entnehmen. Die in Art. 53 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU gemachte Vorgabe erzeuge daher im Verhältnis zwischen öffentlichen Auftraggebern und den Bietern unmittelbar Rechte und Pflichten. Die Entscheidung des BayObLG macht deutlich, wie sorgsam bei der Beantwortung von Bieterfragen vorzugehen ist.
Verfasser: Rudolf Ley
Beste Antworten.
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