Die Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 28.2.2023, Az. 3194.Z3-3_01-22-41) und als Beschwerdeinstanz das BayObLG (Beschluss vom 21.2.2024, Az. Verg 5/23) haben sich mit der Frage befasst, ob im Anschluss an eine Kündigung des ursprünglichen Auftragnehmers eine Direktvergabe ohne ein neues Vergabeverfahren als ausnahmsweise zulässige Auftragsänderung in Form der Ersetzung eines Auftragnehmers I.S.v. § 132 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 i.V.m. § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 GWB erfolgen kann.
Beide Instanzen hielten im konkreten Fall im Ergebnis eine Direktvergabe für nicht zulässig, allerdings mit einem unterschiedlichen rechtlichen Ansatz.
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Fall:
Den Entscheidungen liegt eine Bauvergabe nach der VOB zu Grunde, bei der die Auftraggeberin (AG) den Vertrag mit der ursprünglichen Auftragnehmerin aufgrund von Leistungsverzug, abredewidriger Auftragsausführung sowie Vertrauensverlust kündigte. Mit den Restaufgaben beauftragte die AG dann ohne neues Vergabeverfahren ein bereits bei dem Bauvorhaben für andere Gewerke tätiges Drittunternehmen im Wege eines Nachtrages. Gegen diese Direktvergabe leitete die ursprüngliche Auftragnehmerin (nachfolgend ASt) ein Nachprüfungsverfahren ein, da sie sich an einer neuen europaweiten Ausschreibung erneut habe beteiligen wollen.
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Die Entscheidungen:
Die Vergabekammer Südbayern sah in der Beauftragung des neuen Unternehmens kein Fall einer Auftragsänderung, bei der nach § 132 Abs. 2 GWB ausnahmsweise auf die Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens hätte verzichtet werden können.

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Keine Ersetzung des ursprünglichen Auftragnehmers
Es liege keine Ersetzung des Auftragnehmers i. S. v. § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB vor. Ausweislich des Wortlauts des § 132 Abs. 1 S. 1 GWB sowie der Richtlinienvorgabe in Art. 72 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU bezögen sich die jeweiligen Vorschriften auf Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit. Der Auftrag mit der Antragstellerin sei jedoch durch die Kündigung der Antragsgegnerin unstreitig beendet worden. Die anschließende Beauftragung des Drittunternehmens mit den Restleistungen möge zwar faktisch einer Ersetzung der ASt gleichkommen, lasse sich rechtlich aber kaum als Änderung des (gekündigten) Auftrags der ASt begreifen.
Kein Grund zur Privilegierung einer nachträglich gescheiterten Bedarfsdeckung
Es gebe auch keinen stichhaltigen Grund, eine (nachträglich) gescheiterte Bedarfsdeckung dadurch zu privilegieren, dass man die Vorschriften über Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit auf beendete Verträge analog anwende. Das Interesse des Marktes an einer allgemeinen Bekanntgabe der Beschaffungsabsicht und Beteiligungsmöglichkeit stelle sich nach (außerordentlicher) Kündigung eines Auftrags nicht anders dar, als bei der ursprünglichen Vergabe. Sachliche Gründe, nur einem bestimmten oder einzelnen ausgewählten Unternehmen die Möglichkeit zu eröffnen, ein Angebot abzugeben, seien nicht ersichtlich.
Keine Möglichkeit zur Umgehung einer Ausschreibungspflicht
Würde man demgegenüber die Neuvergabe eines gekündigten Auftrags als Auftragsänderung ansehen, hätten es öffentliche Auftraggeber über die Ausnahmevorschrift des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 a) GWB in der Hand, die grundsätzlich bestehende Ausschreibungspflicht durch die Aufnahme einer Überprüfungsklausel i. S. v. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GWB in die Vertragsbedingungen auszuhebeln.
Ergänzend prüfte die Vergabekammer Südbayern noch das Vorliegen der Ausnahmetatbestände nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 (zusätzliche Leistungen) und 3 (unvorhersehbare Umstände) GWB. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sah die Vergabekammer in beiden Fällen als nicht erfüllt an.
Die Vergabekammer Südbayern stellt daher im Ergebnis fest, dass die Direktvergabe an das Drittunternehmen vergaberechtswidrig war.
Beschwerde beim BayObLG
Gegen diese Entscheidung legte die AG Beschwerde beim BayObLG ein. Nach einem rechtlichen Hinweis des Gerichts, wonach die Beschwerde nach einer vorläufigen Bewertung keine Aussicht auf Erfolg verspreche, nahm die AG die Beschwerde zurück.
Fall der Ersetzung des ursprünglichen Auftragnehmers
In diesem rechtlichen Hinweis brachte das Gericht – allerdings ohne nähere Begründung – zum Ausdruck, dass es entgegen der Auffassung der Vergabekammer im vorliegenden Fall die Vorschrift des § 132 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 GWB für anwendbar hält. Trotz der erfolgten Kündigung des Vertrags mit der ASt handele es sich um einen Fall der Ersetzung des Auftragnehmers während der Vertragslaufzeit. Nach der Systematik des § 132 GWB könne in einem solchen Fall der Auftragnehmer ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens nur unter den Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 4 GWB ersetzt werden. Insbesondere hält es der Senat für möglich, dass die vorliegende Problematik theoretisch über den Weg einer Überprüfungsklausel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4 Buchstabe a hätte gelöst werden können. Insoweit nimmt das Gericht auf die Frogne-Entscheidung des EuGH vom 7.9.2016 (Az: Rs. C-549/14) Bezug.
Die Vergabekammer Südbayern hatte es von ihrem Standpunkt (kein Fall der Ersetzung) aus folgerichtig dahinstehen lassen, ob die Regelung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 VOB/B, die ein Recht des Auftraggebers statuiert, den noch nicht vollendeten Teil der Leistung nach einer Kündigung nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B zu Lasten des Auftragnehmers durch einen Dritten ausführen zu lassen, den Anforderungen an eine sog. Überprüfungsklausel nach § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GWB gerecht wird. Darauf geht das BayObLG in seinem rechtlichen Hinweis gar nicht ein, was nahelegt, dass das Gericht § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 VOB/B nicht als hinreichend konkrete Überprüfungsklausel ansieht.
Fazit:
Bedauerlicherweise ergibt sich aus dem Beschluss des BayObLG nicht, warum das Gericht die hier liegende Fallkonstellation als Ersetzung eines Auftragnehmers i.S.d. § 132 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GWB sieht. Dadurch bleibt auch offen, ob man diese Einzelfallentscheidung auf andere Fallkonstellationen nach der Kündigung des ursprünglichen Auftragnehmers übertragen kann, etwa auch auf den Bereich der Vergabe von Leistungen nach der VgV und der UVgO. Wie wäre beispielsweise ein Sachverhalt zu bewerten, bei dem nicht kurzerhand ein bereits am Leistungsort tätiges Unternehmen im Wege eines Nachtrages beauftragt werden kann, sondern ein neues Unternehmen für die Erledigung der Restaufgaben gesucht werden müsste? Könnte hier der Auftraggeber ohne weiteres Vergabeverfahren beispielsweise auf den zweitplatzierten Bieter des ursprünglichen Verfahrens zurückgreifen, wenn er nur einen entsprechenden Hinweis in den Vergabeunterlagen aufgenommen hätte? Ob dem Beschluss eine derartige Reichweite beigemessen werden kann, erscheint zumindest zweifelhaft.
Rudolf Ley