Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 21.8.2024 (Verg 6/24, noch nicht in der NRW-Rechtsprechungsdatenbank veröffentlicht) enge Grenzen für das Absehen von einer Losvergabe gezogen. Der gesetzliche Regelfall sei die losweise Vergabe, die gegenüber einer Gesamtvergabe grundsätzlich vorrangig sei. Obwohl der Beschluss eine Bauvergabe betrifft, ist er auf andere Leistungsgegenstände übertragbar.
Vergabehandbuch für Lieferungen und Dienstleistungen online
Leitfaden durch das Verfahren, Ablaufschemata, Formularsammlung und alle wichtigen Vorschriften
Der Fall
Die Auftraggeberin (AG) schrieb im offenen Verfahren die Fahrbahnerneuerung einer Bundesautobahn (bestehend aus der Erneuerung der Asphaltfahrbahn, des Fahrbahnrückhaltesystems, der Herstellung der Weißmarkierung sowie der Verkehrssicherung während der Baumaßnahme) als Gesamtauftrag EU-weit aus. Den Verzicht auf eine Fachlosbildung begründete die AG mit der Verkürzung der Bauzeit. Maßgeblich sei das Bestreben, die mit den Bauarbeiten an dem stark verkehrsbelasteten Streckenabschnitt verbundenen negativen Auswirkungen so gering wie möglich zu halten.
Die Antragstellerin (ASt) rügte die unterbliebene Fachlosbildung für passive Schutzeinrichtungen. Sie sei ein auf die Errichtung von Fahrzeugrückhaltesystemen an Straßen, insbesondere an Bundesfernstraßen ausgerichtetes Unternehmen. Erd- und Deckenbauarbeiten erbringe sie hingegen nicht, weshalb sie durch die unterbliebene Fachlosbildung an einer Angebotsabgabe gehindert werde. Diese Rüge wies die AG zurück. Es sprächen sowohl wirtschaftliche als auch technische Gründe für das Absehen von einer Losvergabe.
Der von der ASt gestellte Nachprüfungsantrag blieb vor der Vergabekammer des Bundes ohne Erfolg. Das Absehen von der Fachlosbildung sei vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Das von der AG als Sachwalterin der Interessen der Allgemeinheit verfolgte Ziel der Beschleunigung der Arbeiten stelle einen wirtschaftlichen und technischen Grund für das Absehen dar. Mit Bauarbeiten auf Autobahnen gingen Zeitverluste durch Staus, ökologische Nachteile durch vermehrte staubedingte Emissionen, erhöhte Unfallgefahr sowie Belästigungen der durch Ausweichverkehr betroffenen Bevölkerung einher. Gegen den Beschluss der Vergabekammer legte die ASt sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein.
Handbuch für die umweltfreundliche Beschaffung online
Praxisleitfaden
Die Entscheidung
Das OLG Düsseldorf hob die Entscheidung der Vergabekammer des Bundes auf. Das Gericht untersagte der AG die Zuschlagserteilung und gab ihr auf, das Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen.
Das Gericht führt aus, dass die von der AG angeführten Gründe keine technischen oder wirtschaftlichen Gründe im Sinne von § 97 Abs. 4 S. 3 GWB seien, die eine Gesamtvergabe erforderten.
Unter technischen Gründen seien nur solche zu verstehen, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machten. Entsprechende Gründe müssten im Auftrag selbst begründet sein und damit im Zusammenhang stehen. Sie lägen vor, wenn bei getrennten Ausschreibungen das Risiko bestehe, dass der Auftraggeber Teilleistungen erhalte, die zwar jeweils ausschreibungskonform seien, aber nicht zusammenpassen und deshalb in ihrer Gesamtheit nicht geeignet seien, den Beschaffungsbedarf in der angestrebten Qualität zu befriedigen. Solche Gründe seien dem Vermerk der AG nicht zu entnehmen.
Wirtschaftliche Gründe lägen vor, wenn eine Aufteilung in Lose mit wirtschaftlich nachteiligen Folgen für den Auftraggeber verbunden sei, die über das übliche in Kauf zu nehmende Maß hinausgehen. Der mit einer Losvergabe allgemein verbundene Ausschreibungs-, Prüfungs- und Koordinierungsmehraufwand sowie die Vermeidung von Gewährleistungsschnittstellen könnten eine Gesamtvergabe für sich allein nicht rechtfertigen. Es handele sich dabei um einen Losvergaben immanenten und damit typischerweise verbundenen Mehraufwand, der nach dem Gesetzeszweck in Kauf zu nehmen ist.
Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen sei die mit einer Gesamtvergabe zu erzielende Bauzeitverkürzung als solche noch kein wirtschaftlicher Grund im Sinne von § 97 Abs. 4 S. 3 GWB. Erforderlich sei vielmehr, dass die Zeitersparnis kausal mit wirtschaftlichen Vorteilen für den öffentlichen Auftraggeber verbunden ist. Dies sei dem Vorbringen der AG nicht zu entnehmen, da sie sich allein auf den volkswirtschaftlichen Nutzen der Bauzeitenverkürzung durch Verringerung des Fahrzeitenverlusts, des Unfallgeschehens, des Kraftstoffverbrauchs und der Schadstoffbelastung berufe.
Bei alledem handele es sich aber nicht um einen wirtschaftlichen Nachteil des öffentlichen Auftraggebers, auf den es beim Vorliegen eines wirtschaftlichen Grundes gemäß § 97 Abs. 4 S. 3 GWB entscheidend ankomme, weil er durch das Gebot der Losaufteilung nicht zu einer für ihn als Nachfrager unwirtschaftlichen Beschaffung verpflichtet werden soll. Nachteilige Folgen für den Straßenzustand, die Verkehrsteilnehmer, die Umwelt und die Volkswirtschaft könnten allenfalls bei der Gewichtung des wirtschaftlichen Nachteils für den öffentlichen Auftraggeber berücksichtigt werden. Sie könnten jedoch nicht an die Stelle eines von § 97 Abs. 4 S. 3 GWB geforderten wirtschaftlichen Nachteils des öffentlichen Auftraggebers treten.

Beste Antworten.
Newsletter Vergaberecht
Dieser kostenlose Newsletter informiert Sie regelmäßig über neue Entwicklungen im Vergaberecht. Sie erhalten aktuelle und praxisbezogene Informationen und Produkttipps zu Vorschriften, EU-Vorgaben, Länderregelungen und aktueller Rechtsprechung.
Praxishinweis
Der strenge Maßstab, den das OLG Düsseldorf an eine Gesamtvergabe anlegt, macht deutlich, wie sorgfältig Auftraggeber ein Absehen von der Losvergabe im Vergabevermerk begründen müssen. Das Gericht betont, dass der Auftraggeber sich mit dem Gebot einer Fachlosvergabe und den dagegensprechenden Gründen intensiv auseinanderzusetzen müsse. Die widerstreitenden Belange seien in der Dokumentation umfassend abzuwägen. Im streitgegenständlichen Fall enthielt der Vermerk keinerlei Ausführungen zu den Gesichtspunkten, die für eine Fachlosvergabe sprachen. Er befasste sich ausschließlich mit Gründen, die für eine Gesamtvergabe sprachen. Das war für das OLG Düsseldorf zu wenig.
Im Entwurf des Vergabetransformationsgesetzes vom 27.11.2024 ist eine Flexibilisierung des Losgrundsatzes vorgesehen, wonach neben technischen und wirtschaftlichen Gründen auch zeitliche Gründe eine Gesamtvergabe rechtfertigen können. Danach könnte in Fallkonstellationen wie der vorliegenden künftig ein Absehen von der Losvergabe gerechtfertigt sein. Allerdings ist das Schicksal des Vergabetransformationsgesetzes aufgrund der bevorstehenden Auflösung des Deutschen Bundestages mehr als ungewiss.
Verfasser: Rudolf Ley