rehm-verlag   Online-Produkte öffnen

Newsübersicht < Newsbeitrag

Geheimwettbewerb: Wer abschreibt, zahlt!

In einem spektakulären Fall hat das OLG Naumburg am 17.01.2025 entschieden, dass ein Bieter sich gegenüber dem Auftraggeber schadensersatzpflichtig macht, wenn er unter Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs sein Angebot in Kenntnis des Angebots eines Mitbewerbers kalkuliert, dies aber gegenüber dem Auftraggeber bestreitet und gegen einen vom Auftraggeber verhängten Angebotsausschluss noch ein Nachprüfungsverfahren einleitet. Im konkreten Fall beziffert der Auftraggeber seinen Schaden mit mehr als 800.000 Euro.

Jetzt bewerten!
Ley / Ley

Vergabehandbuch für Lieferungen und Dienstleistungen online

Leitfaden durch das Verfahren, Ablaufschemata, Formularsammlung und alle wichtigen Vorschriften

Vierteljahrespreis‎ 87,00 €
Online-Produkt

Der Fall

Die Klägerin, ein kommunales Abfallentsorgungsunternehmen im Landkreis S, schrieb im offenen Verfahren die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen zur Abfallentsorgung in sechs Losen europaweit aus. Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis. Die Beklagte beteiligte sich an der Ausschreibung mit Angeboten zu fünf Losen, in denen sie die Angebote einer Mitbewerberin bei einer Vielzahl von Preispositionen geringfügig unterbot. Im Zuge der Angebotsprüfung stellte sich heraus, dass die Angebote der Beklagten auffällige Parallelen zu den Angeboten der Mitbewerberin aufwiesen, darunter eine weitgehend identische formale und inhaltliche Struktur, identische Schreibfehler und Zeilenumbrüche, inhaltliche Zuordnungsfehler und zahlreiche übereinstimmende quantitative Annahmen. Im Rahmen der Angebotsaufklärung erklärte die Beklagte diese Übereinstimmungen nur allgemein mit den Vorgaben der Ausschreibung und unterstellte der Klägerin eine Kampagne zur Verdrängung der Beklagten. Auf die Ähnlichkeiten in den Angeboten im Einzelnen ging sie nicht ein. Daraufhin schloss die Klägerin die Beklagte nach § 124 Abs. 1 Nrn. 3, 4 und 9b GWB vom Vergabeverfahren aus.

Die Beklagte rief nach einer erfolglosen Rüge die Vergabekammer Sachsen-Anhalt an und begründete ihren Antrag im Wesentlichen damit, dass weder sie noch ihr Berater bei Angebotserstellung Kenntnis von der Kalkulation der Mitbewerberin gehabt hätten. Erst im weiteren Verlauf des Nachprüfungsverfahrens räumte die Beklagte ein, dass ihrem Berater ein Umschlag mit einem USB-Stick in den Briefkasten geworfen worden sei, auf welchem Daten einer Kostenkalkulation enthalten gewesen seien, die der Berater jedoch der Beklagten zugeordnet habe. Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag zurück und stützte dies im Wesentlichen darauf, dass jedenfalls ein Ausschluss der Angebote nach § 124 Abs. 1 Nr. 9c GWB wegen fahrlässiger Übermittlung irreführender Angaben gerechtfertigt sei. Die Herkunft der vom Berater der Beklagten verwendeten Daten auf dem USB-Stick aus der Sphäre der Mitbewerberin habe sich aufgedrängt.

Die Beklagte legte gegen den Beschluss der Vergabekammer sofortige Beschwerde beim OLG Naumburg ein. Nach einem Hinweis des Vergabesenats auf die fehlenden Erfolgsaussichten nahm die Beklagte die Beschwerde zurück.

Aufgrund des im Nachprüfungsverfahren geltenden Zuschlagsverbots war die Klägerin gezwungen, zur Sicherstellung der Abfallentsorgung diverse Interimsaufträge zu vergeben. Diese Verfahren verursachten Kosten und im Ergebnis wurden die Übergangsverträge teurer als es die Entsorgung nach der regulären Ausschreibung gewesen wäre. Den dadurch entstandenen Schaden sowie die zusätzlichen Aufwendungen für eine ingenieurtechnische und rechtliche Beratung im Umgang mit den Angeboten der Beklagten machte die Klägerin gegenüber der Beklagten beim Landgericht Stendal geltend. Insgesamt beziffert die Klägerin den Schaden auf mehr als 800.000 Euro.

Das Landgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass ein Anspruch auf Ersatz der Schäden in Gestalt der mit der Verzögerung der Auftragsvergabe verbundenen Mehrkosten und des erhöhten Aufwands nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB begründet sei. Die Beklagte habe ihre vorvertraglichen Rücksichtnahmepflichten dadurch verletzt, dass sie mit Angeboten an der Ausschreibung teilgenommen habe, die bei Kenntnis aller Umstände ihres Zustandekommens auf Seiten der Klägerin nicht zuschlagsfähig gewesen seien.

Ley / Altus / Müller

Handbuch für die umweltfreundliche Beschaffung online

Praxisleitfaden

Vierteljahrespreis‎ 38,00 €
Online-Produkt

Die Entscheidung

Die von der Beklagten eingelegte Berufung gegen das Urteil wies das OLG Naumburg zurück. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit folgenden Erwägungen:

  • Unterwerfen sich die Parteien eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses besonderen Regelungen, wie hier den Vorschriften der VgV, so werden die wechselseitigen Rücksichtnahme- und Schutzpflichten durch dieses Vergaberegime konkretisiert. Ein vergaberechtswidriges Verhalten entweder des Auftraggebers oder des Bieters ist regelmäßig zugleich ein pflichtwidriges und schadensersatzträchtiges Verhalten i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB.

  • Es stellt eine Pflichtverletzung i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB dar, dass sich die Beklagte am Vergabeverfahren mit Angeboten beteiligte, welche unter Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Wettbewerbs und der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GWB), aus denen das Gebot des Geheimwettbewerbs hergeleitet wird, erstellt wurden.

  • Ein weiterer Verstoß der Beklagten gegen die nach § 241 Abs. 2 BGB bestehende Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Rechtsgüter und Interessen der Klägerin liegt darin, dass die Beklagte im Rahmen der Aufklärung ihrer Angebotskalkulation ihre Orientierung an den Kalkulationsdaten der Mitbewerberin in Abrede stellte und dadurch weitere Ermittlungen der Klägerin veranlasste.

  • Auch die missbräuchliche Inanspruchnahme des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes ist eine Pflichtverletzung i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB.

  • Die Klägerin kann ihre Schadensersatzansprüche auch auf § 180 Abs. 1 und 2 GWB stützen. Der Nachprüfungsantrag der Beklagten war von Anfang an objektiv aussichtslos. Die Beklagte war durch den Ausschluss ihrer Angebote, die jeweils unter Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs erstellt wurden, nicht in ihren subjektiven Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt.

    Die Beklagte handelte bei der Inanspruchnahme des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes auch mit einer subjektiv verwerflichen Zielrichtung. Unter Berücksichtigung der Beweggründe der Beklagten, welche in der Durchsetzung einer durch unlauteres Verhalten erlangten Wettbewerbsposition im Vergabeverfahren bestanden, der in Kauf genommenen erheblichen Beeinträchtigungen der Abfallbeseitigung im gesamten Landkreis und der hierfür eingesetzten Mittel bis hin zum Vorwurf eines kartellrechtswidrigen Verhaltens der Klägerin wider besseren Wissens ist das Verhalten der Beklagten seinem Gesamtcharakter nach als verwerflich zu bewerten.

  • Der Schadensersatzanspruch nach § 180 GWB verdrängt einen vertraglichen Ersatzanspruch auf Schadensersatz aus vorvertraglichen Schuldverhältnissen nicht. Die Ansprüche bestehen vielmehr nebeneinander.

18469-HJR-Website2023-04-RZ-Newsletter.webp

Beste Antworten.

Newsletter Vergaberecht

Dieser kostenlose Newsletter informiert Sie regelmäßig über neue Entwicklungen im Vergaberecht. Sie erhalten aktuelle und praxisbezogene Informationen und Produkttipps zu Vorschriften, EU-Vorgaben, Länderregelungen und aktueller Rechtsprechung.

Fazit

Wenn von Schadensersatz wegen Vergabeverstößen die Rede ist, denkt man zunächst an Ersatzansprüche von Bietern gegen Auftraggeber. Der vorliegende Fall zeigt, dass auch Auftraggeber gegenüber unlauteren Bietern nicht schutzlos sind. Entsprechend zufrieden äußerte sich der Landrat des betroffenen Kreises, „dass wir uns als öffentliche Hand solche Geschäftspraktiken nicht haben gefallen lassen und mit langem Durchhaltevermögen bei diesem Prozess Erfolg hatten“. Zumal die entstandenen Schäden ansonsten zulasten der Steuer- oder Gebührenzahler gehen würden. Bieter sollten sich dieses Risikos bewusst sein.

Zwar mag es sich vorliegend um einen Extremfall handeln, doch die vom OLG Naumburg dargestellten Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch des Auftraggebers nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB wegen des Verstoßes gegen vorvertraglichen Rücksichtnahmepflichten durch einen Bieter können auch bei einem weniger eklatanten Fehlverhalten eines Bieters erfüllt sein. Der Maßstab für einen daneben in Betracht kommenden Anspruch gemäß § 180 GWB liegt demgegenüber höher, da hierfür kumulativ ein von Anfang an objektiv aussichtsloser Nachprüfungsantrag sowie eine subjektiv verwerfliche Zielrichtung erforderlich sind.

Vergaberechtlich sind aus der Entscheidung des OLG Naumburg insbesondere die Ausführungen zum Geheimwettbewerb hervorzuheben. Hier vor allem die Feststellung, dass die Aufzählung der Ausschlussgründe in den §§ 123, 124 GWB zwar abschließend ist, dies jedoch einem Angebotsausschluss zur Gewährleistung des Geheimwettbewerbs (als zusätzliche Maßnahme) nicht entgegensteht.

Verfasser: Rudolf Ley

Sie sind nicht eingeloggt
Bitte benachrichtigen Sie mich bei neuen Kommentaren.
Ihr Kommentar erscheint unter Verwendung Ihres Namens. Weitere Einzelheiten zur Speicherung und Nutzung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
0 Kommentare zu diesem Beitrag
SX_LOGIN_LAYER