Das OLG Saarbrücken hat am 7.5.2025 entschieden, dass Wissensvorsprünge, die ein Bieter aus einer früheren Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber gewonnen hat, nur dann einen ausgleichspflichtigen Wettbewerbsvorteil i.S.d. § 97 Abs. 2 GWB begründen, wenn der Informationsvorsprung des Bieters auf den Auftraggeber selbst zurückzuführen ist.
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Der Fall
Das Vergabeverfahren betrifft den Auftrag für die Erstellung von Vermessungsplänen sowie den Modellaufbau und die Berechnung von Hochwassergefahrenkarten für verschiedene saarländische Gewässer in Grenzlage zu Frankreich. Die Ausschreibung des Auftrags erfolgte europaweit im offenen Verfahren. Für die Antragsgegnerin (Ag) wurde dieses Verfahren durch das Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz (LUA) durchgeführt. Die Antragstellerin (ASt) sowie die Beigeladene (Bg) beteiligten sich am Verfahren als Bieter.
Die Bg gewährte in ihrem Angebot einen Preisnachlass in Höhe von 30 %, der ihren eigenen Angaben nach überwiegend auf bereits erbrachte Leistungen zurückzuführen sei, auf die sie für den jetzigen Auftrag zurückgreifen könne. Dies bezieht sich auf das Projekt „Erstellung von Starkregengefahren- und Bodenerosionskarten für das Saarland“ im Auftrag des Saarländischen Ministeriums für Umwelt, Klima, Mobilität, Agrar und Verbraucherschutz, an dem die Bg oder jedenfalls einer ihrer Geschäftsführer als Projektpartner beteiligt war/ist. Aufgrund dieser Projektbeteiligung verfügt die Bg über Daten, welche auch das im Rahmen des aktuellen Vergabeverfahrens zu modellierende Gebiet betreffen.
Die ASt erfragte beim LUA, ob dieses Modellnetz entlang der zu bearbeitenden Gewässer auch ihr zur Verfügung gestellt werden könne, was das LUA verneinte.
Die ASt rügte daraufhin die vorgesehene Zuschlagserteilung an die Bg. Nachdem dieser Rüge nicht abgeholfen wurde, rief die ASt die Vergabekammer des Saarlandes an. Dabei machte sie geltend, dass die Bg wegen ihrer Beteiligung an dem Vorprojekt über einen vergaberechtswidrigen Wissensvorsprung gegenüber konkurrierenden Bietern verfüge.
Die Vergabekammer gab dem Antrag statt, weil die Bg als Zuschlagsprätendentin einerseits vorbefasst sei und andererseits auch über wettbewerbsverzerrende Vorteile verfüge, ohne dass die Ag erkennbar Maßnahmen zu einem etwaigen Vorteilsausgleich oder den Ausschluss der Bg als ultima ratio auch nur erwogen habe. Die Kammer gab der Ag auf, das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen und – bei fortbestehender Beschaffungsabsicht –, das Verfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen sowie geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die festgestellten Wettbewerbsnachteile für alle Bieter auszugleichen.
Gegen den Beschluss der Vergabekammer legte die Ag sofortige Beschwerde beim OLG Saarbrücken ein. Diese hatte in der Sache keinen Erfolg.
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Praxisleitfaden
Die Entscheidung
Die Entscheidung des OLG Saarbrücken beruht im Wesentlichen auf folgenden Feststellungen:
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Wissensvorsprünge, die ein Bieter aus einer früheren Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber gewonnen hat, begründen grundsätzlich noch keinen ausgleichspflichtigen Wettbewerbsvorteil i.S.d. § 97 Abs. 2 GWB.
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Ausnahmsweise sind solche Wissensvorsprünge vom Auftraggeber aber doch zu kompensieren, und zwar namentlich dort, wo der Informationsvorsprung eines Bieters auf den Auftraggeber selbst zurückzuführen ist.
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Ein solcher Ausnahmefall ist nicht nur dann gegeben, wenn ein Auftraggeber bestimmte für die Ausschreibung relevante Informationen exklusiv nur einem oder einzelnen Bietern zukommen lässt, sondern auch dann, wenn er den bestehenden Wissensvorsprung einzelner Bieter nicht ausgleicht, obwohl er dazu rechtlich und tatsächlich in der Lage ist.
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Ist der Auftraggeber außerstande, ein bestehendes Informationsdefizit oder einen vergleichbaren Vorteil in Natur zu kompensieren, kommt grundsätzlich auch der Ausgleich von Kostenvorteilen durch Nichtberücksichtigung eines Preisabschlags in Betracht
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Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1 GWB ist immer die Gebietskörperschaft selbst und nicht die für diese als Vergabestellen handelnden Behörden. Die Gebietskörperschaft muss sich das Wissen der für sie im Rahmen der unmittelbaren Staatsverwaltung tätigen Stellen zurechnen lassen. Ist also ein Wissensvorsprung eines Bieters auf das Verhalten einer dieser Behörden zurückzuführen, muss sich die Gebietskörperschaft dies als Auftraggeber zurechnen lassen.

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Fazit
Das OLG Saarbrücken weist darauf hin, dass es sich beim Umgang mit Bietern, die einen Wissensvorsprung gegenüber ihren Mitbewerbern haben, über § 7 VgV (vorbefasste Unternehmen) hinaus um ein grundsätzliches Problem des Vergaberechts handelt. Dabei gilt im Ausgangspunkt, dass Wissensvorsprünge aus einer früheren Kooperation gegenüber anderen Bietern nicht per se ausgleichungspflichtig sind. Vielmehr ergeben sich aus jeder Zusammenarbeit zwangsläufig spezifisches Wissen und Kenntnisse, etwa über den Auftragsgegenstand oder die regionalen Bedingungen, unter denen er zu erbringen ist. Wären solche besonderen Fähigkeiten vergaberechtlich pauschal zu beanstanden, würde dies aus Sicht des OLG Saarbrücken zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass besonders kompetente und kosteneffizient arbeitende Bieter gerade wegen ihrer Kompetenz und Effizienz womöglich vom Verfahren ausgeschlossen werden müssten. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur dann, wenn der Informationsvorsprung eines Bieters auf den Auftraggeber selbst zurückzuführen ist, was unabhängig davon gilt, ob der Auftraggeber solches Wissen aktiv nur an ausgewählte Bieter weitergibt oder ob er den bestehenden Wissensvorsprung einzelner Bieter nicht ausgleicht, obwohl er dazu in der Lage wäre.
Von Interesse ist auch die Klarstellung des OLG Saarbrücken, dass öffentlicher Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1 GWB immer die jeweilige Gebietskörperschaft (Bund, Länder, Landkreise und Gemeinden) ist. Sie ist Auftraggeber, rechtlicher Adressat der vergaberechtlichen Pflichten, Antragsgegner in Nachprüfungsverfahren und auch Vertragspartner. Die als Vergabestellen auftretenden Behörden und Einrichtungen sind nicht selbst Auftraggeber, sondern vertreten die Gebietskörperschaft.
Verfasser: Rudolf Ley