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Interimsvergaben: Aus 3 mach 1!

Mit Beschluss vom 28.2.2025 hat die Vergabekammer Thüringen entschieden, dass die interimsweise Vergabe von Reinigungsdienstleistungen im Rahmen mehrerer getrennter nationaler Ausschreibungen gegen das Umgehungsverbot gem. § 3 Abs. 2 S. 1 und 2 VgV verstößt.

 

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In dieser Fallkonstellation sind die Einzelaufträge für die Ermittlung des Auftragswerts zu addieren. Wird dadurch der EU-Schwellenwert überschritten, ist ein europaweites Vergabeverfahren erforderlich. Die abgeschlossenen Interimsverträge sind gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam, da es sich um De-facto-Vergaben handelt.

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Der Fall

Ein Landkreis (Ag) schrieb im Juli 2024 in mehreren Losen die Gebäudereinigung für das Landratsamt und die Schulen im Landkreis europaweit im offenen Verfahren aus. Der Leistungsbeginn war für den 1.1.2025 vorgesehen. Aufgrund eines eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens kam es in diesem Vergabeverfahren zu Verzögerungen.

Um die Gebäudereinigung nahtlos sicherzustellen, schrieb der Auftraggeber Anfang Dezember die Reinigungsleistungen für den Monat Januar 2025 im Wege einer nationalen öffentlichen Ausschreibung aus. Auch gegen diese Interimsvergabe wurde von der Antragstellerin (ASt) im Hauptsacheverfahren die Vergabekammer angerufen. Am 27.12.2024 erteilte die Ag dem beigeladenen Drittunternehmen (Bg) den Zuschlag für die Reinigungsleistungen im Monat Januar 2025.

Anfang Januar 2025 leitete der Ag dann für die Reinigungsleistungen im Februar 2025 eine weitere nationale öffentliche Ausschreibung ein, die von der Antragstellerin wiederum beanstandet wurde. In diesem Verfahren wurde der Zuschlag von der Auftraggeberin an die Bg am 21.1.2025 erteilt.

Schließlich veröffentlichte der Auftraggeber Ende Januar 2025 auch noch für die Reinigungsleistungen im März 2025 eine zusätzliche nationale öffentliche Ausschreibung, gegen die sich die Antragstellerin ebenfalls wendete. Den Zuschlag erhielt in dieser Ausschreibung am 20.2.2025 ebenfalls die Bg.

Neben diversen weiteren Vergabeverstößen trug die ASt im Nachprüfungsverfahren insbesondere vor, dass es sich bei den drei Interimsvergaben um eine einheitliche Beschaffung handele, deren kumulierter Auftragswert den einschlägigen EU-Schwellenwert in Höhe von 221.000 Euro überschreite, weshalb eine europaweite Ausschreibung erforderlich gewesen wäre.

Des Weiteren beanstandete die Antragstellerin die ihrer Auffassung nach unzumutbar kurzen Fristen zwischen dem Ablauf der Bindefrist und dem vorgesehenen Beginn der Leistungserbringung. Die kurzen Fristen schlössen eine sachgerechte Vorbereitung auf die Auftragsausführung aus. So habe etwa beim Interimsauftrag für Februar 2025 zwischen dem Ablauf der Bindefrist am 31.1.2025 und dem vorgesehenen Leistungsbeginn am 3.2.2025 lediglich ein Zeitraum von drei Kalendertagen gelegen. Für die Interimsvergabe betreffend März 2025 sei der Beginn der Leistungserbringung sogar auf denselben Tag wie das Ende der Bindefrist, den 3.3.2025, festgelegt worden.

Ley / Altus / Müller

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Die Entscheidung

Die Vergabekammer Thüringen gab der ASt Recht und erklärte die drei Interimsverträge gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB für unwirksam.

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Auftragswert

Die Auftragswertermittlung des Ag verstoße gegen das Umgehungsverbot aus § 3 Abs. 2 S. 1 und 2 VgV. Gem. § 3 Abs. 2 S. 1 VgV dürfe die Wahl der Methode zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts nicht in der Absicht erfolgen, die Anwendung der Bestimmungen des Teils 4 des GWB oder der VgV zu umgehen. Dies umfasse im Grundsatz zwei Varianten der manipulativen Schätzung. Zum einen verbiete die Vorschrift die Schätzung in der Absicht, den Auftrag der Anwendung der VgV zu entziehen. Zum anderen richte sich das Umgehungsverbot gegen eine Unterteilung von Aufträgen, wenn diese in der Absicht vorgenommen werde, den Auftrag der Anwendung der VgV zu entziehen. Die manipulative Aufteilung des Auftrags beziehe sich auf die Fälle, in denen der Auftrag künstlich aufgespalten werde. Dies könne dadurch geschehen, indem ein einheitlicher Auftrag ohne objektive Notwendigkeit in verschiedene Aufträge mit Auftragswerten unterhalb der Schwellenwerte aufgeteilt werde.

Vorliegend seien die Interimsaufträge für die Zeiträume Januar, Februar und März 2025 im Hinblick auf das im Rahmen der Auftragswertschätzung gemäß § 3 VgV zu beachtende Umgehungsverbot zu addieren, da nach der notwendigen funktionalen Betrachtungsweise die Aufträge dieselbe wirtschaftliche Funktion erfüllten. Nach Überzeugung der Vergabekammer war vom Ag eine Umgehung der vergaberechtlichen Kontrolle auch beabsichtigt, weil den Unterlagen keine objektiven Gründe, die für eine zulässige Unterteilung der Interimsaufträge sprechen würden, zu entnehmen seien.

Die Vergabekammer kam daher zu dem Ergebnis, dass die streitgegenständlichen Interimsaufträge und die von Januar 2025 bis März 2025 beauftragten Reinigungsdienstleistungen einen einheitlichen Dienstleistungsauftrag bilden, der angesichts seines Gesamtwerts den Schwellenwert nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB überschreitet. Demzufolge hätte der Ag die Dienstleistungsaufträge in einem europaweiten Vergabeverfahren gemäß § 97 Abs. 1 GWB i.V.m. §§ 119 ff. GWB vergeben müssen. Mit der Entscheidung über die Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung nach UVgO habe der Ag gegen diese Pflicht verstoßen.

Ausführungsfrist

Bei der Festlegung des Auftragsbeginns handele es sich zwar grundsätzlich um eine Vertragsbestimmung und nicht um eine Vorschrift über das Vergabeverfahren, deren Verletzung im Nachprüfungsverfahren zur Überprüfung stehe. Das gelte aber dann nicht, wenn sich eine Vertragsbestimmung auf die Auftragschancen eines Bieters auswirke. So sei es hier: Eine nur drei bzw. null Tage umfassende Ausführungsfrist zwinge den Bieter bei einem logistisch aufwändigen Auftrag, Vorbereitungshandlungen für eine spätere Auftragsausführung in die Angebotsphase vorzuverlagern. Werde ihm der Zuschlag gleichwohl nicht erteilt, würden von ihm ohne sachlich gerechtfertigten Grund Aufwendungen verlangt, die die bloße Ausarbeitung und Einreichung eines Angebots erheblich überstiegen. Das halte Bieter, erst recht neue Anbieter oder ausländische Bieter davon ab, sich am Wettbewerb zu beteiligen.

Fazit

Immer wieder kommt es im Rahmen eines Vergabeverfahrens zu Verzögerungen, sei es durch „Störungen“ im Verfahren selbst oder aufgrund der Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens. Um Lücken in der Bedarfsdeckung zu überbrücken, greifen Auftraggeber in dieser Situation oftmals auf Interimsvergaben oder Verlängerungen bestehender Verträge zurück. Beide Maßnahmen sind jedoch mit erheblichen vergaberechtlichen Risiken behaftet und erfordern eine sorgfältige und nachvollziehbare Dokumentation in den Vergabeakten. Die Vergabekammer Thüringen betont in ihrem Beschluss unter Verweis auf das OLG Frankfurt (Beschluss vom 24.11.2022,11 Verg 5/22), dass Interimsaufträge, die selbständig neben dem Hauptvertrag stehen, im Hinblick auf das im Rahmen der Schätzung des Auftragswertes nach § 3 VgV zu beachtende Umgehungsverbot des § 3 Abs. 2 S. 1 und 2 VgV zu addieren sind, soweit der einheitliche (Interims-) Beschaffungsbedarf in der Absicht, die Anwendung des Kartellvergaberechts zu umgehen, künstlich aufgespalten wird, sei es durch mehrere Interimsaufträge, sei es durch eine Kombination aus Vertragsverlängerungen und (neuen) Interimsaufträgen. Werden Interimsaufträge sukzessive und jeweils isoliert vergeben, ohne die Auftragswerte zusammenzurechnen, bedarf es einer plausiblen dokumentierten Begründung. Fehlt eine solche, etwa bei monatlich getrennt vergebenen Interimsaufträgen, entsteht leicht der Eindruck einer gezielten Umgehung vergaberechtlicher Vorgaben.

Verfasser: Rudolf Ley

Vergabekammer Thüringen: Beschluss vom 28.2.2025

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