CDU/CSU und SPD haben sich rund sechs Wochen nach der Bundestagswahl auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag geeinigt, der auch Aussagen zur Vergabe öffentlicher Aufträge enthält.
Bereits der Koalitionsvertrag zwischen der SPD, Bündnis 90-Die Grünen und der FDP aus dem Jahr 2021 enthielt Zielaussagen mit Blick auf eine Vereinfachung, Digitalisierung und Beschleunigung der öffentlichen Auftragsvergabe. Das zur Umsetzung dieser Zielvorgaben aufgelegte Vergabetransformationspaket wurde aufgrund der vorgezogenen Neuwahl zum Deutschen Bundestag nicht mehr beschlossen und unterfiel daher der sachlichen Diskontinuität.
Im neuen Koalitionsvertrag wird dem Vergaberecht bzw. dem öffentlichen Beschaffungswesen ein breiter Raum gewidmet, mit folgenden wesentlichen Aussagen:
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1. Die Vereinfachung des Vergaberechts und strategisches Beschaffungsmanagement (Randziffern 2058 – 2067)
Wir werden uns dafür einsetzen, das Vergaberecht auf nationaler und europäischer Ebene für Lieferungen und Leistungen aller Art für Bund, Länder und Kommunen zu vereinfachen, zu beschleunigen und zu digitalisieren. Für uns gilt der Grundsatz der mittelstandsfreundlichen Vergabe. Wir werden das Vergaberecht auf sein Ziel einer wirtschaftlichen, diskriminierungs- und korruptionsfreien Beschaffung zurückführen. Wir schaffen sektorale Befreiungsmöglichkeiten vom Vergaberecht insbesondere in Fragen der nationalen Sicherheit und für Leitmärkte für emissionsarme Produkte in der Grundstoffindustrie mit einem Pionierfeld für die Deutsche Bahn. Wir streben für die Schwellenwerte für öffentliche Ausschreibungen im nationalen Recht eine Vereinheitlichung an und wollen sie insbesondere für Direktvergaben und freihändige Vergaben heraufsetzen.
Mit dem Eingangssatz machen die Parteien deutlich, dass sie eine Reform des Vergaberechts mit den aufgeführten inhaltlichen Schwerpunktenfür erforderlich halten. Und zwar neben Lieferungen auch für Leistungen „aller Art“, worunter wohl auch Bauleistungen zu verstehen sind. Interpretationsbedürftig scheint allerdings die gewählte Formulierung, dass man sich für eine entsprechende Reform „einsetzen“ wird. Während das für Vergabeverfahren ab den EU-Schwellenwerten mit Blick auf die Zuständigkeit der EU nachvollziehbar ist, kann eine neue Bundesregierung bei Vergabeverfahren unterhalb der EU-Schwellenwerte selbst initiativ werden, sich also nicht auf „einsetzen“ beschränken muss. Es bleibt also abzuwarten, wie diese Formulierung in der Regierungs- und Parlamentsarbeit umgesetzt wird.
Das abstrakte Bekenntnis zur mittelstandsfreundlichen Vergabe ist begrüßenswert, auch wenn offen bleibt, ob damit auch neue Akzente gemeint sind, die über das bereits geltende Recht (vor allem zur Losvergabe) hinausgehen. Möglicherweise ist diese Formulierung auch als Absage an die mit dem Vergabetransformationspaket angestrebte erweiterte Zulässigkeit von Gesamtvergaben zu verstehen.
Die Zurückführung des Vergaberechts auf das Ziel einer wirtschaftlichen, diskriminierungs- und korruptionsfreien Beschaffung ist vermutlich so zu interpretieren, dass sog. strategische Belange (Umwelt, Soziales etc.) weniger Berücksichtigung finden sollen. Gerade die Berücksichtigung von Umwelt (Klima)-belangen ist in vielen Fällen mit Blick auf die Lebenszykluskosten von Produkten und Leistungen allerdings auch eine Frage der Wirtschaftlichkeit.
Die angekündigte Schaffung sektoraler Befreiungsmöglichkeiten vom Vergaberecht muss bei Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte selbstverständlich den europarechtlichen Rahmen beachten. Unterhalb der Schwellenwerte ist der Spielraum größer.
Die angestrebte Vereinheitlichung der Schwellenwerte für „öffentliche Ausschreibungen“ im nationalen Recht ist überaus sinnvoll, da sich mittlerweile in der Vergabepraxis ein fast unüberschaubarer Flickenteppich an Wertgrenzen gebildet hat. Die ebenfalls angekündigte Heraufsetzung der Wertgrenzen für Direktvergaben und Freihändige Vergaben (gemeint offenbar die Verhandlungsvergabe in der UVgO) entspricht der aktuellen Tendenz in Bund und Ländern.
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2. Wertgrenzen für Direktaufträge (Randziffern 2068 – 2072)
Auf Bundesebene werden wir die Wertgrenze bei Direktaufträgen für Liefer- und Dienstleistungen auf 50.000 Euro und für Start-ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung auf 100.000 Euro erhöhen. Auch auf europäischer Ebene setzen wir uns für eine maßvolle Erhöhung der Schwellenwerte und für eine getrennte Betrachtung der Planungsleistungen ein.
Die Anhebung der Wertgrenze bei Direktaufträgen für Liefer- und Dienstleistungen auf 50.000 Euro ist erheblich. Im Entwurf der überarbeiteten UVgO hatte die alte Bundesregierung noch eine Grenze von 15.000 Euro vorgesehen. Der Koalitionsvertrag geht allerdings nicht so weit wie manche Bundesländer, in denen die Wertgrenze für Direktaufträge auf 100.000 Euro hochgesetzt wurde. Die Anhebung der Wertgrenze für innovative Leistungen von Startups auf 100.000 Euro war bereits im erwähnten Entwurf der UVgO vorgesehen.
Die angesprochene maßvolle Erhöhung der Schwellenwerte für EU-weite Vergaben kann die Bundesregierung in den bereits laufenden Reformprozess der europäischen Vergaberichtlinien einspeisen. Die erwähnte „getrennte Betrachtung von Planungsleistungen“ bezieht sich offenbar auf die viel diskutierte und kritisierte Änderung der VgV vom 17.8.2023, mit der seinerzeit der von der EU-Kommission in einem Vertragsverletzungsverfahren beanstandete § 3 Abs. 7 S. 2 VgV aufgehoben wurde. § 3 Abs. 7 S. 2 VgV sah vor, dass die Auftragswerte unterschiedlicher Lose bei Planungsleistungen nur dann zu addieren waren, wenn die Leistungen gleichartig waren.

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3. Öffentliches Beschaffungswesen (Randziffern 2075 – 2086)
Das öffentliche Beschaffungswesen werden wir systematisch optimieren. Wir werden ein strategisches Beschaffungsmanagement implementieren. Behörden sollen künftig auf Rahmenverträge anderer öffentlicher Dienststellen und auf zentrale Einkaufsplattformen zurückgreifen dürfen. Die Bestellplattform des Bundes (Kaufhaus des Bundes) machen wir zu einem digitalen Marktplatz für Bund, Länder und Kommunen und konsolidieren die Vergabeplattformen. Auch den IT-Einkauf des Bundes wollen wir zentral strategisch steuern, um Abhängigkeiten von monopolistischen Anbietern zu reduzieren und den Digitalstandort Deutschland zu stärken. Bieter sollen ihre Eignung möglichst bürokratiearm, digital und mittelstandsfreundlich nachweisen können, etwa durch geprüfte Systeme oder Eigenerklärungen. Wir werden die Vergabe öffentlicher Aufträge beschleunigen, indem die aufschiebende Wirkung der Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Vergabekammern zu den Oberlandesgerichten entfällt.
Die Aussagen zum Beschaffungswesen können als Stärkung zentraler Beschaffungsaktivitäten verstanden werden. Die sinnvolle Öffnung des Kaufhauses des Bundes für Länder und Kommunen scheiterte bislang an dem Argument, dass die Bildung einer „Einkaufsgemeinschaft“ dieser unterschiedlichen Körperschaften aus rechtlichen Gründen nicht möglich sei. Es bleibt abzuwarten, wie dies nunmehr geregelt werden soll.
Die Bündelung des IT-Einkaufs des Bundes wird schon seit längerem angestrebt, konnte in der Praxis jedoch noch nicht vollständig implementiert werden. Die geplante Initiative ist angesichts des erheblichen Volumens der IT-Ausgaben des Bundes (laut Bundesrechnungshof im Haushaltsjahr 2023 sechs Milliarden Euro) sinnvoll.
Die Aussage zu einem möglichst bürokratiearmen, digitalen und mittelstandsfreundlichen Nachweis der Eignung ist zu begrüßen, die erwähnten Umsetzungsbeispiele „geprüfte Systeme oder Eigenerklärungen“ sind allerdings im Vergaberecht bereits vorgesehen.
Beim geplanten Wegfall der aufschiebenden Wirkung von sofortigen Beschwerden gegen die Entscheidungen der Vergabekammern vor den Vergabesenaten der Oberlandesgerichte bleibt abzuwarten, ob den Beschwerdeführern die Möglichkeit eingeräumt wird, durch einen Eilantrag die aufschiebende Wirkung herstellen zu lassen, um die Zuschlagserteilung zu verhindern. Insgesamt ist bei Umsetzung dieses Punktes davon auszugehen, dass die Beschwerdeverfahren vor dem OLG an Bedeutung verlieren werden. Das Ziel der Beschleunigung ist nachvollziehbar, allerdings haben die Vergabesenate in der Vergangenheit ganz maßgeblich zur Interpretation und Harmonisierung der oft komplexen vergaberechtlichen Regelungen beigetragen. Es bleibt abzuwarten, ob die beschwerdeführenden Unternehmen für den Fall einer unmittelbaren Zuschlagserteilung nach einer Entscheidung der Vergabekammer vermehrt das Instrument des Fortsetzungsfeststellungsantrages wählen werden, um nachträglich die Rechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens feststellen zu lassen.
4. Bundestariftreuegesetz (Randziffern 552 – 556)
Unser Ziel ist eine höhere Tarifbindung. Tariflöhne müssen wieder die Regel werden und dürfen nicht die Ausnahme bleiben. Deswegen werden wir ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg bringen. Das Bundestariftreuegesetz gilt für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 Euro und für Start ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000 Euro. Bürokratie, Nachweispflichten und Kontrollen werden wir auf ein absolutes Minimum begrenzen.
Bereits die alte Bundesregierung hatte ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg gebracht, das aber wie das Vergabetransformationspaket der sachlichen Diskontinuität unterfiel. Diese Initiative wird nun wieder aufgegriffen, allerdings mit einem höheren Schwellenwert von 50.000 Euro. Der alte Gesetzentwurf hatte für Liefer- und Dienstleistungsaufträge einen niedrigeren Schwellenwert von 30.000 Euro vorgesehen (und nur für Bauaufträge 50.000 Euro).
5. Innovationsfreiheitsgesetz (Randziffern 2564 – 2567)
Wir geben der Forschung mehr Freiheit und entfesseln sie von kleinteiliger Förderbürokratie. Wir schaffen Bereichsausnahmen für Forschung unter anderem im Umsatzsteuergesetz und identifizieren weitere Bereiche etwa im Vergaberecht.
Oberhalb der EU-Schwellenwerte müsste sich eine Bereichsausnahme für die Forschung in den europarechtlichen Rechtsrahmen einfügen. Unterhalb der Schwellenwerte ist der Spielraum größer.
6. Verteidigungspolitik (Randziffern 4138 – 4140, 4169, 4175 – 4176)
Wir werden noch im ersten halben Jahr der Regierungsarbeit ein Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz für die Bundeswehr beschließen. Das Planungs- und das Beschaffungswesen wird reformiert. Wir werden das Verfahren der Parlamentsbeteiligung in Beschaffungsfragen beschleunigen und empfehlen, die Höhe des Schwellenwertes für Beschaffungsvorlagen zu erhöhen.
Hierzu ist anzumerken, dass ein Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz (vom 11.7.2022) bereits existiert. Es bleibt also abzuwarten, wie eine geplante Reform aussehen wird.
Verfasser: Dietmar Altus und Rudolf Ley