Projektant: Ausschluss nur als Ultima Ratio
Der Fall
Die Auftraggeberin (Ag) veröffentlichte eine europaweite Auftragsbekanntmachung für ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach der VSVgV für die Beschaffung von Leistungen der Baufeldlogistik bzw. die Neuordnung der Baufeldinfrastruktur in einer Liegenschaft der Ag.
An dem Vergabeverfahren beteiligte sich die Beigeladene (Bg), die bei der Vorbereitung des Vorhabens und des Vergabeverfahrens als Nachunternehmerin eines Projektsteuerers mit der Erstellung des Baulogistikkonzeptes und der Ausführungsplanung befasst war und bei der Aufstellung des Leistungsverzeichnisses mitgewirkt hatte.
In einem Aktenvermerk griff die Ag die potentielle Konfliktsituation aus der Vorbefasstheit der Bg auf, kam aber zu dem Ergebnis, dass die Bg sich an dem Vergabeverfahren beteiligen könne, da sie nicht mehr als Nachunternehmerin des Projektsteuerers tätig sei. Als Kompensation für die von der Bg durch ihre Vorbefassung erlangten Kenntnisse seien „möglichst“ alle Unterlagen im Vergabeverfahren bereit zu stellen, welche die Bg kenne. Der Wissensvorsprung der Bg sei im Rahmen der Gleichbehandlung der Bieter „möglichst“ auszugleichen bzw. zu minimieren.
Die Vergabeunterlagen enthielten in der Wertungsmatrix u.a. folgendes Unterkriterium:
„1.3 Durchdringung des Projektinhaltes/Nennung eigener Lösungsansätze“ (Untergewichtung 20% bzw. 8% Anteil an der Gesamtwertung).“
Im Rahmen der Angebotswertung, der eine Angebotspräsentation zu Grunde lag, erreichte die Bg die höchste Punktzahl. Auf Platz zwei rangierte das Angebot der Antragstellerin (ASt).
Die Ag informierte die ASt gemäß § 134 GWB, sie beabsichtige, den Zuschlag an die Bg zu erteilen. Die ASt rügte gegenüber der Ag die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Bg und forderte deren Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB. Die ASt trug vor, das Angebot der Bg sei wegen einer Wettbewerbsverzerrung infolge ihrer Vorbefasstheit mit der Planung bzw. der Erarbeitung der Ausschreibungsunterlagen des Auftrags auszuschließen. U.a. bei dem Wertungskriterien 1.3 sei die Bg, die sich bereits über einen längeren Zeitraum vorab mit dem Vergabegegenstand befasst habe und somit einen Informationsvorsprung bei der Angebotserstellung genieße, im Vorteil.
Die Ag half der Rüge nicht ab, worauf die ASt die Vergabekammer anrief und die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragte.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer gab dem Nachprüfungsantrag teilweise statt und untersagte der Ag, den Zuschlag auf das Angebot der Bg zu erteilen. Der Ag wurde aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht unter nach Rechtsauffassung der Vergabekammer geänderten Bewertungskriterien eine neue Präsentationsrunde durchzuführen und erneut über den Zuschlag zu entscheiden.
Es sei unstreitig, dass die Bg als Nachunternehmerin des von der Ag mit der Vorbereitung und Durchführung des Vergabeverfahrens betrauten Projektsteuerers die Ag vor Einleitung des Verfahrens beraten, jedenfalls aber in sonstiger Weise unterstützt habe. Die Bg habe für die Ag in diesem Rahmen den wesentlichen Teil der Vergabeunterlagen erstellt, darunter für die spätere Angebotsbearbeitung zentrale Dokumente wie den Generalablaufplan, das Leistungsverzeichnis, die Aufgaben und Leistungsbeschreibung sowie diverse Planungsunterlagen und das Baustellensicherheitskonzept. Daraus resultiere grundsätzlich ein relevanter wettbewerbsverzerrender Informationsvorsprung.
Der Forderung der ASt, die Bg deshalb vom Vergabeverfahren auszuschließen folgte die Vergabekammer nicht. Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB könne ein öffentlicher Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zwar von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausschließen, wenn eine Wettbewerbsverzerrung daraus resultiert, dass das Unternehmen bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen war. Ein solcher Ausschluss setze aber voraus, dass diese Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann. Der Ausschluss eines vorbefassten Bieters komme daher nur im Sinne einer ultima ratio in Betracht.
Im vorliegenden Fall genüge als weniger einschneidende Kompensationsmaßnahme die Offenlegung der Unterlagen im Vergabeverfahren allerdings nicht. Zwar habe die Ag dadurch den sich für die Bg aus der schlichten Kenntnis der Vergabeunterlagen ergebenden Wettbewerbsvorsprung insoweit ausgeglichen, als alle Bieter in die Lage versetzt worden seien, die in den Vergabeunterlagen dokumentierten Informationen in gleicher Weise ihren Angebote bzw. Präsentationen zugrunde legen zu können. Dieser Informationsausgleich reiche aber noch nicht, um den im Hinblick auf die Bg bestehenden Wettbewerbsvorteil in gebotenem Maße auszugleichen.
Denn die Bg habe zur Erfüllung ihres Vorauftrags zur Erstellung der Vergabeunterlagen notwendigerweise Zugriff auf wettbewerblich relevante Informationen (die nicht zwingend vollumfänglich in den fertigen Vergabeunterlagen dokumentiert sein können) gehabt und dadurch denknotwendig Erkenntnisse erlangt, die ihr für die Teilnahme am Verhandlungsverfahren die Durchdringung der Vergabeunterlagen erleichtern und somit auch geeignet seien, sie bei der maßgeblich im Hinblick auf das Unterkriterium 1.3 geforderten Entwicklung eigener Lösungsansätze zu unterstützen. Hierbei handele es sich um einen unvermeidbar strukturell gelagerten Informations- und Wettbewerbsvorteil, der den übrigen Bietern bei der Erstellung ihrer Präsentation nicht zu Gute kommen konnte und der deshalb auszugleichen sei, weil er deren Chancengleichheit beeinträchtige und so den Vergabewettbewerb verzerre.
Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sei daher die Streichung des qualitativen Unterkriteriums 1.3 das ausreichende, aber auch gebotene Mittel ist, um die sich aus der Vorbefasstheit der Bg ergebende Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen. Ein Ausschluss der Bg nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB ginge vor diesem Hintergrund zu weit, weil mit der Streichung des Unterkriteriums 1.3 ein weniger einschneidendes Mittel zur Gewährleistung eines funktionsfähigen Vergabewettbewerbs gegeben sei.
Der Beschluss der Vergabekammer vom 18.9.2023 ist noch nicht bestandskräftig, da Beschwerde beim OLG Düsseldorf eingelegt wurde.
Rudolf Ley


