Das BayObLG hat mit Beschluss vom 11.6.2025 entschieden, dass Vorgaben des Auftraggebers eine kaufmännisch vernünftige Angebotskalkulation nicht unzumutbar machen dürften. Außerdem bestehe eine Selbstbindung des Auftraggebers an die bekanntgegebene Gewichtung der Zuschlagskriterien.
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Der Fall:
Der Antragsgegner (Ag) schrieb einen Wettbewerb zur „Planung und Realisierung von Appartmenthäusern an einer Klinik als Architektenleistung, einschl. Freianlagen“ europaweit aus.
Die Vergabeunterlagen enthielten einen Verfahrensleitfaden, eine Wertungsmatrix und die Bedingungen des abzuschließenden Planungsvertrags. Nach der Wertungsmatrix konnte ein Bieter maximal 1.000 Bewertungspunkte erlangen. Das mit 12,5 % (125 Punkten) gewichtete Kriterium „Honorar“ sah für Honorarabschläge 10 % (100 Punkte). Für Honorarzuschläge sollten demgegenüber bis zu 200 Wertungspunkte abgezogen werden. Das Kriterium "Präsentationstermin" wurde mit 10 % (100 Punkten) gewichtet. Bewertet werden sollte, inwieweit das Auftreten des Teams, die Souveränität im Vortrag und fachliche Kompetenz bei der anschließenden Diskussion und Beantwortung von Fragen eine gute Qualität der Leistungserbringung im Hinblick auf die präsentierten Angebotsbestandteile erwarten lasse.
Darüber hinaus sah der Verfahrensleitfaden vor, dass die gesamte Kommunikation während des Vergabeverfahrens ausschließlich über eine Projektplattform („PPM-Raum“) und eine E-Mailadresse erfolgen.
Im Laufe des Vergabeverfahrens rügte die ASt u.a. folgende Punkte:
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Vergaberechtswidrige Zuschlagskriterien: Der vorgesehene Abschlag für Honorarzuschläge sei unzulässig, da er zu einem "Alles-oder-nichts-Ergebnis" führen könne.
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Unzumutbarkeit der Angebotskalkulation: Der Planungsvertrag beinhalte umfassende Projektmanagement- und -steuerungsleistungen, ohne sie als besondere, vergütungspflichtige Leistungen anzuerkennen und ohne die Möglichkeit einer Vergütung vorzusehen.
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Fehlerhafte Bewertung der Angebotspräsentation: Bei der Präsentation würden Aspekte, die mit dem Auftreten der Vortragenden zusammenhingen, bewertet; es gehe somit um das „Wie“ des Vortrags, nicht um das „Was“, obwohl die zu erwartende Qualität der Leistungserbringung beurteilt werden solle.
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Unzulässige Kommunikation über den sog. PPM-Raum bzw. per E-Mail: Diese Form der Kommunikation genüge nicht den Anforderungen an elektronische Mittel nach § 10 VgV.
Nachdem der Ag diesen Rügen nicht abgeholfen hatte, rief die ASt die zuständige Vergabekammer Nordbayern an. Diese gab dem Nachprüfungsantrag statt. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Ag mit der sofortigen Beschwerde beim BayObLG.
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Die Entscheidung:
Das Gericht wies die sofortige Beschwerde mit folgenden Erwägungen zurück:

Beste Antworten.
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Zuschlagskriterien
Zunächst führt das Gericht aus, dass grundsätzlich der Auftraggeber bei der Organisation und Strukturierung der Bewertung zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots einen - nur auf Einhaltung der rechtlichen Grenzen kontrollierbaren – Beurteilungsspielraum habe. Allerdings dürfe die Wertungsmethode unter Beachtung des Transparenz- und Wettbewerbsgrundsatzes nicht zu einer Abweichung von den zuvor festgelegten Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung führen. Die Methode dürfe nicht zur Folge haben, dass Kriterien faktisch keine Rolle mehr spielen bzw. dass einzelne Bewertungskriterien (gemessen an der bekanntgegebenen Gewichtung) praktisch einen unverdienten, ausschlaggebenden Rang erhielten. Es bestehe eine Selbstbindung des Auftraggebers an die Gewichtung der Zuschlagskriterien.
Daran genmessen verstoße der in den Vergabeunterlagen vorgesehene Abzug von bis zu 200 Wertungspunkten für einen Honoraraufschlag gegen die Vorgaben des § 127 Abs. 1 S. 1 bis 3 GWB und des § 58 Abs. 1 VgV zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots, zumal in Kombination mit dem Zugewinn von 100 Punkten für einen Honorarabschlag. Im Extremfall könnten sich sehr geringe Unterschiede (einziges Angebot mit sehr geringem Zuschlag, einziges Angebot mit sehr geringem Abschlag) stark auf die Bewertung auswirken und dazu führen, dass die Honorarbewertung gegenüber den nichtpreislichen Bewertungskriterien einen überproportional hohen Stellenwert erhalte, so dass nicht mehr nach dem von den Vergabeunterlagen vorgegebenen Preis-Leistungs-Verhältnis entschieden werde.
Unzumutbare Kalkulationsrisiken
Darüber hinaus bürde der Planungsvertrag dem Auftragnehmer erheblich über das gesetzliche Leitbild hinausgehende Pflichten und Risiken auf, wie etwa die Teilnahme an sämtlichen von der Auftraggeberin gewünschten Besprechungen, die Verpflichtung zur honorarneutralen Erbringung von detailliert beschriebenen besonderen Leistungen und den Entfall der Vergütungspflicht bei Leistungsminderungen. Diesen Pflichten und Risiken könnten die Bieter – wegen des erheblichen Abzugs von Wertungspunkten - nicht effektiv dadurch begegnen, dass sie mit Honorarzuschlag anbieten. Dies mache eine kaufmännisch vernünftige Angebotskalkulation für die Bieter unzumutbar, da die Preis- und Kalkulationsrisiken über das Maß hinausgingen, das Bietern typischerweise obliege. Erforderlich sei insoweit eine die Umstände des jeweiligen Einzelfalls berücksichtigende Abwägung der Interessen der Bieter und des öffentlichen Auftraggebers. Dabei sei bezüglich der Unzumutbarkeit einer Risikoübertragung auch von Bedeutung, ob der Auftragnehmer das Risiko abschätzen und durch Risikoaufschläge in den Vertragspreis einkalkulieren könne. Im vorliegenden Fall würden die Bieter durch den Abzug von Wertungspunkten jedoch davon abgehalten, entsprechende Honorarzuschläge zu kalkulieren.
Unzulässige Kommunikationsmittel
Erfolg hat der Nachprüfungsantrag aus Sicht des BayObLG schließlich auch insoweit, als die ASt die vom Ag vorgegebenen Kommunikationsmittel rüge. Weder der im Verfahrensleitfaden genannte „PPM Raum“ noch die im Leitfaden vorgesehene Kommunikation per E-Mail würden der Anforderung des § 10 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VgV gerecht, wonach kein vorfristiger Zugriff auf die empfangenen Daten möglich sein dürfe.
Wertung des Präsentationstermins
Als vergaberechtskonform bewertet das Gericht demgegenüber die in der Wertungsmatrix zum Kriterium „Präsentationstermin“ vorgesehene Bewertung (auch) von Kriterien, die nicht den Inhalt („Was“), sondern die Art („Wie“) der Präsentation betreffen („Auftreten des Teams“, „Souveränität im Vortrag“). Zuschlagskriterien stünden mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung im Sinn des § 127 Abs. 3 GWB, wenn sie sich in irgendeiner Hinsicht und in irgendeinem Lebenszyklus-Stadium auf die gemäß dem Auftrag zu erbringenden Bauleistungen, Lieferleistungen oder Dienstleistungen bezögen. § 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 VgV verlange für die Bewertung der Qualität des eingesetzten Personals im Rahmen der Zuschlagskriterien darüber hinaus, dass diese erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben könne. Diese Voraussetzungen sieht das Gericht im vorliegenden Fall als erfüllt an, weil die bewerteten Kriterien zur Qualität der Präsentation und zumal die bewertete fachliche Kompetenz bei der Diskussion und Beantwortung von Fragen den erforderlichen Bezug zur erwarteten Qualität der Leistungserbringung aufwiesen, da es ohne Weiteres nachvollziehbar sei, dass das Gelingen der erforderlichen Führungs- und Leitungstätigkeiten des Architekten auch davon abhänge, wie souverän und durchsetzungsstark er und sein Projektleiter (gegebenenfalls auch gemeinsam) auftreten könnten.
Fazit
Auch wenn der Sachverhalt die Vergabe von Architektenleistungen betrifft, so sind die Feststellungen des BayObLG auf andere Beschaffungsgegenstände übertragbar.
Für die Vergabepraxis hervorzuheben sind insoweit die Ausführungen zur
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Unzumutbarkeit einer Angebotskalkulation, wobei das Gericht noch einmal darlegt, dass das ursprünglich in der VOL/A enthaltene und mit deren Neufassung 2009 entfallene Gebot, dass dem Bieter kein „ungewöhnliches Wagnis“ aufgebürdet werden dürfe, in der Rechtsprechung durch die Prüfung der Unzumutbarkeit der Vertragskalkulation ersetzt worden sei,
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Selbstbindung des Auftraggebers an die bekannt gemachte Gewichtung der Zuschlagskriterien, die durch die angewendete Wertungsmethode nicht verschoben oder gar leerlaufen dürfe,
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Berücksichtigung der Art einer Präsentation im Rahmen der Wertung. Das Gericht zieht hier § 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 VgV heran, wonach die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals ein Zuschlagskriterium sein kann, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann (s.o.). Nach Erwägungsgrund 94 der Richtlinie 2014/24/EU liegt ein solcher Einfluss insbesondere bei geistig-schöpferischen Leistungen vor. Die Rechtsprechung hat dies bei Beratungsdienstleistungen, Forschungsleistungen, Fortbildungsleistungen und Architektenleistungen bejaht. Für die Berücksichtigung des „Wie“ einer Präsentation kommt also sehr auf den Leistungsgegenstand und die konkreten Umstände des Einzelfalles an.
Verfasser: Rudolf Ley
Weiterführende Links: Beschluss vom 11.6.2025