Die Vergabekammer des Bundes hat mit Beschluss vom 28.1.2025 festgestellt, dass eine Internetrecherche als Markterkundung nicht ausreiche, um ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV mit der Begründung zu rechtfertigen, es käme nur ein Unternehmen in Betracht.
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Der Fall
Die Antragsgegnerinnen (Ag), allesamt gesetzliche Krankenkassen, veröffentlichten eine unionsweite Ex-ante-Transparenzbekanntmachung nach § 135 Abs. 3 GWB für die Beschaffung einer Plattform für dermatologische Telekonsultationen im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV von der Beigeladenen (Bg).
Die Bg und die Antragstellerin (ASt) betreiben beide Applikationen, die z.B. mittels eines Smartphones bzw. Computers genutzt werden können, um auf Patientenseite Fotografien von Hautproblemen anzufertigen, um diese an einen Facharzt zu senden und von diesem begutachten zu lassen und eine entsprechende Befundung und Therapieempfehlung zu erhalten. Die zugrunde liegenden Geschäftsmodelle von ASt und Bg unterscheiden sich allerdings. Die Bg stellt ihr Tool niedergelassenen Fachärzten zur Verfügung, die mittels der App der Bg eine teledermatologische Begutachtung vornehmen. Die ASt arbeitet dagegen mit einem fest angestellten Team von Fachärzten zusammen, von denen nicht alle kassenärztlich zugelassen sind. Die Ag hatten sich im Vorfeld der Vergabe für das reine Plattformmodell, bei dem die medizinische Beratungsleistung durch niedergelassene und kassenärztlich zugelassene Fachärzte durchgeführt wird, entschieden. Im Rahmen einer Internetrecherche hatten die AG ermittelt, dass gegenwärtig nur die Bg das gewünschte Modell anbietet.
Die von der ASt gegen die beabsichtigte Auftragserteilung an die Bg erhobene Rüge wiesen die Ag zurück. Die ASt beantragte daraufhin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
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Die Entscheidung
Die Vergabekammer des Bundes untersagte den Ag, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Soweit die ASt die Abänderung des Beschaffungsgegenstandes begehrte, wurde der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.
Zunächst stellte die Vergabekammer fest, dass die von den Ag vorgegebenen Anforderungen für die ausgeschriebene Plattform für dermatologische Telekonsultationen sachgemäß seien und keine künstlichen Einschränkungen der Auftragsvergabeparameter i. S.d. § 14 Abs. 6 VgV bzw. keine unzulässige produktspezifische Ausschreibung i.S.d. § 31 Abs. 6 VgV darstellten. Die Entscheidung der Ag für das reine Plattformmodell sei auftragsbezogen und gedeckt durch einen sachlichen Grund. Zu Recht hätten die Ag darauf hingewiesen, dass sie an vorhandene Strukturen – die niedergelassenen dermatologischen Praxen – anknüpfen wollten anstatt parallele Strukturen – in Gestalt von angestellten Ärzten eines Auftragnehmers – aufzubauen.
Fehlerhaft sei allerdings der Weg der Direktvergabe an die Bg, da die Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV nicht erfüllt seien. Es könne nicht festgestellt werden, dass objektiv und alternativlos nur das Unternehmen der Bg in der Lage sei, die Leistungen zu erbringen, und ein Wettbewerb um die nachgefragten Leistungen objektiv ausgeschlossen sei.
Es greife aus Sicht der Vergabekammer zu kurz, dass die Ag bei ihrer Internetrecherchen allein auf die aktuelle Marktlage abgestellt habe. Die Ag hätten vielmehr die Überlegung, dass Marktteilnehmer relativ schnell auf das nachgefragte Modell hätten einschwenken können, mit einbeziehen müssen.
Die nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV erforderliche Prognose, dass zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe nur ein Unternehmen die nachgefragte Leistung liefern könne, sei den Ag auf der Grundlage ihrer nur intern und entgegen den ausdrücklichen Vorgaben des § 28 Abs. 1 VgV ohne Marktkonsultation durchgeführten Internetrecherche nicht möglich gewesen. § 28 Abs. 1 VgV schreibe explizit vor, dass eine vor Einleitung eines Vergabeverfahrens durchzuführende Markterkundung nicht nur der Vorbereitung der Auftragsvergabe auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers diene, sondern auch „zur Unterrichtung der Unternehmen über seine Auftragsvergabepläne und -anforderungen“ zu erfolgen habe. Dies soll dem Markt ermöglichen, sich auf einen kommenden, ggf. spezifischen Bedarf einzustellen und sich ggf. auf ein entsprechendes Beschaffungsvorhaben vorbereiten zu können. Dem sei die Ag nicht gerecht geworden.
Abzustellen sei für die Prüfung nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV auf den Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe des Angebotes. Im Lichte der vergaberechtlichen Grundsätze sei diese Maßgabe so auszuglegen, dass der öffentliche Auftraggeber, der sich auf diesen Ausnahmetatbestand berufen wolle, zu diesem Zeitpunkt eine Prognose anzustellen habe, um abzuschätzen, ob die Leistung in absehbarer Zeit, grundsätzlich bis zum Vertragsbeginn bzw. dem Zeitpunkt der Leistungserbringung, tatsächlich nur von einem Unternehmen erbracht werden könne und somit absehbar kein Wettbewerb zwischen mehreren Marktteilnehmern möglich sein werde. Dies ergebe sich aus dem Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 S. 1 GWB), wonach der auszuwählende Auftragnehmer die zur Leistungserbringung erforderlichen Mittel in der Regel und sofern der Auftrag es nicht ausnahmsweise anders erfordert erst zum Zeitpunkt der Leistungserbringung bzw. des Vertragsbeginns tatsächlich vorweisen, mithin über sie verfügen bzw. etwaig benötigtes Personal einstellen müsse.
Eine reine Internetrecherche vermittele per se keine Erkenntnisse, ob und wie die am Markt tätigen Unternehmen ihr im Internet allgemein offeriertes Portfolio auf einen spezifischen Bedarf hin adaptieren könnten. Auch etwaig am Markt vorhandenes Innovationspotential könne so gar nicht identifiziert werden.
Die Entscheidung der Ag, eine Direktvergabe an die Bg durchzuführen, könne vor diesem Hintergrund keinen Bestand haben.
Verfasser: Rudolf Ley
Beste Antworten.
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