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Wer zu Verhandlungen einlädt, muss auch verhandeln!

Lädt ein Auftraggeber zu Verhandlungsgesprächen ein, macht er damit nach einer Entscheidung der Vergabekammer Südbayern vom 23.7.2024 deutlich, dass er von einem in der Bekanntmachung enthaltenen Vorbehalt nach § 17 Abs. 11 VgV (Vergabe auf der Grundlage der Erstangebote ohne Verhandlungen) keinen Gebrauch macht. Dies führt zu einer Verpflichtung des Auftraggebers zur Durchführung von Verhandlungen nach § 17 Abs. 10 VgV und zur Aufforderung zu einem finalen Angebot nach § 17 Abs. 14 VgV.

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Der Fall

Der Auftraggeber schrieb einen Dienstleistungsauftrag über die Sanierung einer Grund- und Mittelschule im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb europaweit aus.

In den Vergabeunterlagen war folgende Passage enthalten:

Nur für den Fall, dass sich auf Grundlage der eingereichten Angebotsunterlagen kein klares Wertungsergebnis ergibt, behält sich der Auftraggeber weiter vor, mit den Bietern in Verhandlungen einzutreten. Dieser Verhandlungstermin wird noch mitgeteilt. Eine mögliche Einladung zu diesem Verhandlungstermin wird Ihnen rechtzeitig zugehen.

Der Auftraggeber lud im weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens die Bieter zu einem „Verhandlungsgespräch“ ein. In der Einladung schrieb der Auftraggeber:

Im Zuge dieses Verhandlungsgespräches sollen Ihre gesamten Angebotsunterlagen, die Sie anhand der Ihnen zur Verfügung gestellten Wertungsmatrix eingereicht haben, besprochen bzw. präzisiert werden. Wir bitten Sie, sich diesbezüglich entsprechend vorzubereiten.

Die Gespräche wurden im Rahmen einer Sondersitzung des Gemeinderats des Auftraggebers durchgeführt. Eine Dokumentation über diese Gespräche wurde im angestrengten Nachprüfungsverfahren nicht vorgelegt. Eine Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote erfolgte nicht.

Ley / Altus / Müller

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Die Entscheidung

Die Vergabekammer Südbayern verpflichtete den Auftraggeber, das Vergabeverfahren in den Stand vor den Aufforderungen zur Abgabe der Erstangebote zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen.

Der Auftraggeber habe zu Unrecht davon abgesehen, die Bieter nach § 17 Abs. 14 VgV zur Abgabe eines finalen Angebots aufzufordern. Zudem wäre der Auftraggeber auch verpflichtet gewesen, mit den Bietern in Verhandlungen i.S.d. § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV einzutreten, falls der Termin in der Gemeinderatssitzung nicht als Verhandlung im Rechtssinne qualifiziert werden könne. Aufgrund der vollständig fehlenden Dokumentation dieses Termins könne die Frage allerdings nicht mehr geklärt werden.

Das Einladungsschreiben zu Verhandlungsgesprächen sei nach dem objektiven Empfängerhorizont eines verständigen Bieters nur so zu verstehen, dass der Auftraggeber von seinem Vorbehalt nach § 17 Abs. 11 VgV in der Bekanntmachung keinen Gebrauch machen und in Verhandlungen eintreten würde. Die mehrmalig genutzten Formulierungen "Verhandlungsgespräch" und der Formulierung "die gesamten Angebotsunterlagen […] sollen besprochen und präzisiert werden", könnten nur so verstanden werden, dass der Auftraggeber jetzt doch in Verhandlungen eintreten wolle. Auch wenn der Auftraggeber dies nach seinen Einlassungen gar nicht beabsichtigte, führe das Einladungsschreiben im vorliegenden Fall wegen der Verpflichtung zu einer transparenten Verfahrensführung zu einer Selbstbindung des Auftraggebers zur Durchführung von Verhandlungen nach § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV und daraus folgend nach § 17 Abs. 14 VgV zur Verpflichtung, den Bietern die Möglichkeit der Abgabe eines finalen Angebots einzuräumen.

Über diesen verfahrensrechtlichen Punkt hinaus formulierte die Vergabekammer Südbayern für die Fortführung des Vergabeverfahrens folgende Maßgaben:

  • Bei der Umrechnung von Preisen in Bewertungspunkte müsse der Auftraggeber eine mathematisch nachvollziehbare Methode vor Kenntnis der Angebote festgelegt haben und diese auch anwenden. Eine Preisbewertungsmethode dürfe wegen der hohen Manipulationsgefahr nicht erst nachträglich in Kenntnis der Angebote festgelegt werden.

  • Die Angebotswertung sei ureigene Aufgabe des Auftraggebers und dürfe nicht vollständig an einen Verfahrensbetreuer delegiert werden.

  • Nehme der Auftraggeber bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen Formulierungen wie „es werden keine Planungsleistungen erwartet“ in die Vergabeunterlagen auf, die dafür sorgen sollen, dass die Bieter keine Ansprüche auf eine angemessene Vergütung für Lösungsvorschläge nach § 77 Abs. 2 VgV geltend machen können, dürfe er nicht gleichzeitig für eine gute Bewertung des Angebots voraussetzen, dass die Bieter überobligatorisch und ohne Vergütung fundierte Lösungsvorschläge i.S.d. § 77 Abs. 2 VgV einreichen.

Verfasser: Rudolf Ley

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