Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit Beschluss vom 26.7.2024 festgestellt, dass die Vermutung einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung bestehe, wenn zwei Unternehmen, die beide hinreichend leistungsfähig seien und die mit Blick auf den Gegenstand der Ausschreibung in unmittelbarer Konkurrenz stünden, eine Bietergemeinschaft bilden.
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Verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Vergabe einer Dienstleistungskonzession
Zunächst mag es verwundern, dass der VGH sich mit dieser vergaberechtlichen Frage befasst. Hintergrund ist die Vergabe einer Dienstleistungskonzession nach dem Bayerischen Rettungsdienstgesetzes (BayRDG). Mit der Novellierung des BayRDG vom 22.4.2022 hat der Landesgesetzgeber unter Inanspruchnahme der sog. Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB das Auswahlverfahren für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen an gemeinnützige Organisationen und Vereinigungen nunmehr ausschließlich verwaltungsrechtlich ausgestaltet. Die Beauftragung eines Dienstleistenden für die bodengebundene Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport erfolgt dabei nach Maßgabe von Art. 13 Abs. 2 bis 5 BayRDG in einem zweistufigen Verfahren, bei dem zunächst mittels eines Verwaltungsakts unter verschiedenen Bewerbern eine Auswahlentscheidung getroffen wird, deren Umsetzung durch den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags („Zuschlag“) im Sinne von Art. 13 Abs. 5 S. 1 BayRDG erfolgt.
Nach Art. 13 Abs. 3 S.1 BayRDG ist das Auswahlverfahren auf der ersten Stufe rechtzeitig in geeigneter Weise bekannt zu machen sowie transparent, unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und unter Wahrung der Vertraulichkeit durchzuführen.
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Praxisleitfaden
Wettbewerbsbeschränkung durch Bildung einer Bietergemeinschaft?
Aus Sicht des VGH bestehen im vorliegenden Fall Bedenken an der Rechtmäßigkeit der getroffenen Auswahlentscheidung zugunsten der Bietergemeinschaft X GbR aufgrund eines möglichen Verstoßes gegen das Kartellverbot des § 1 GWB.
In der vergaberechtlichen Rechtsprechung und Literatur wird für die wettbewerbsrechtliche Bewertung von Bietergemeinschaften differenziert. Sog. vertikale Bietergemeinschaften zwischen Unternehmen unterschiedlicher Branchen sind kartellrechtlich eher unbedenklich, weil die Unternehmen zueinander regelmäßig in keinem aktuellen oder potentiellen Wettbewerbsverhältnis stehen. Die Bildung sog. horizontaler Bietergemeinschaften unter branchenangehörigen Unternehmen ist demgegenüber vergaberechtlich problematisch. Zwischen auf demselben Markt tätigen Unternehmen besteht meist ein Wettbewerbsverhältnis, das durch die Abrede einer Bietergemeinschaft in der Regel beschränkt wird. Gleichwohl erachtet die Rechtsprechung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8.6.2016, Verg 3/16; OLG Celle, Beschluss vom 8.7.2016, 13 Verg 2/16) auch Bietergemeinschaften zwischen branchenangehörigen Unternehmen in folgenden Fallgruppen für wettbewerbsunschädlich, wenn die beteiligten Unternehmen
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jedes für sich zu einer Teilnahme an der Ausschreibung mit einem eigenständigen Angebot aufgrund ihrer betrieblichen und geschäftlichen Verhältnisse (z. B. mit Blick auf Kapazitäten, technische Einrichtungen und/oder fachliche Kenntnisse) nicht leistungsfähig sind und erst der Zusammenschluss zu einer Bietergemeinschaft sie in die Lage versetzt, sich daran mit Erfolgsaussicht zu beteiligen
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für sich genommen zwar leistungsfähig sind (insbesondere verfügen sie über die erforderlichen Kapazitäten), die Kapazitäten jedoch aufgrund anderweitiger Bindung aktuell nicht einsetzbar sind
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für sich genommen zwar leistungsfähig sind, aber im Rahmen einer wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Entscheidung ermöglicht erst der Zusammenschluss ein erfolgversprechendes Angebot
Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 17.12.2014, Verg 22/14) hat betont, dass die als Bieter auftretende Bietergemeinschaft darlegen müsse, dass ihre Bildung und Angebotsabgabe nicht gegen § 1 GWB verstoße. Diese Darlegung müsse jedoch nicht schon mit der Abgabe des Angebots erfolgen, sondern erst auf eine entsprechende Aufforderung des Auftraggebers zur Erläuterung der Gründe für die Bildung der Bietergemeinschaft (OLG Düsseldorf a.a.O., OLG Saarbrücken, Beschluss vom 27.6.2016, 1 Verg 2/16). Eine solche Aufforderung durch den Auftraggeber müsse dann erfolgen, wenn es zureichende Anhaltspunkte dafür gebe, dass es sich um eine unzulässige Bietergemeinschaft handele, etwa wenn die beteiligten Unternehmen gleichartige, in derselben Branche tätige Wettbewerber seien und nichts dafür spreche, dass sie mangels Leistungsfähigkeit nicht in der Lage gewesen wären, unabhängig voneinander ein (aussichtsreiches) Angebot zu unterbreiten (OLG Düsseldorf, a.a.O.).

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Entscheidung des VGH
Der VGH überträgt diese vergaberechtliche Rechtsprechung auf verwaltungsrechtliche Vergabeverfahren und kommt zu dem Ergebnis, dass die erste Fallgruppe (erst der Zusammenschluss zu einer Bietergemeinschaft ermöglicht ein erfolgversprechendes Angebot) vorliegend offenkundig nicht einschlägig sei, denn bei den beiden Beteiligten der Bietergemeinschaft handele es sich um bundesweit im Rettungswesen tätige Organisationen. Die Voraussetzungen der anderen beiden Fallgruppen einer wettbewerbsrechtlich zulässigen Bildung einer Bietergemeinschaft zwischen zwei Unternehmen, die jedes für sich hinreichend leistungsfähig sind, nämlich die aktuell anderweitige Bindung und daher fehlende Einsatzfähigkeit vorhandener Kapazitäten oder die wirtschaftlich zweckmäßige und kaufmännisch vernünftige Entscheidung, dass erst ein Zusammenschluss ein erfolgversprechendes Angebot ermöglicht, seien im vorliegenden Verfahren jedenfalls im Zuge der Angebotsabgabe nicht vom Konzessionsgeber abgefragt worden. Dabei obläge es der als Bieter auftretenden Bietergemeinschaft, die objektiven Umstände wie auch die kaufmännischen bzw. Zweckmäßigkeitserwägungen darzulegen, die für die Bildung der Bietergemeinschaft wesentlich waren.
Verfasser: Rudolf Ley