Prof. Dr. Isabell Hensel und Prof. Dr. Heide Pfarr, Vertreterinnen des Deutschen Juristinnenbunds e.V. (djb), legen ein Sondervotum zum Abschlussbericht der Kommission „Bürokratiearme Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie (ETRL)“ vor. Es zeigt, dass die Kommissionsmehrheit Entgeltgleichheit und Transparenz abbauen möchte. Das ist mit europäischem Recht unvereinbar – und verstößt sogar gegen die deutsche Verfassung.
„Gleichstellung in Unternehmen ist keine bürokratische Last, sondern ein Grundrecht. Wenn das verhindert wird, hält sich Deutschland weder an europäisches Recht noch nimmt es das Gleichstellungsgebot der Verfassung ernst. Das lässt sich besser machen“, sagt djb-Präsidentin Prof. Dr. Susanne Baer.
Die Entgelttransparenzrichtlinie setzt auf regulierte Selbstregulierung: Unternehmen tragen Verantwortung für ihre Entgeltsysteme, aber unter klaren gesetzlichen Vorgaben, mit Beteiligung der Beschäftigtenvertretungen und mit staatlicher Unterstützung. Doch diese notwendige Regulierung wird von der Kommissionsmehrheit als bürokratischer Aufwand abgetan. Anstatt wirksame Lösungen gegen übermäßige Bürokratie zu entwickeln, schlägt sie vor, Berichtspflichten, gemeinsame Entgeltbewertungen und Mitbestimmungsrechte massiv zu schwächen. Damit würde die Richtlinie faktisch ausgehöhlt und ihr Schutzgehalt entleert.
Das Sondervotum warnt, dass solche Vorschläge gegen den Wortlaut der ETLR, gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und gegen die deutsche Verfassung verstoßen. Eine selektive oder verwässerte Umsetzung schafft keine Entlastung, sondern Rechtsunsicherheit und Haftungsrisiken – für Staat, Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen.
„In der Kommission wurden die Interessen benachteiligter Arbeitnehmer*innen nahezu ausschließlich durch uns und Mitglieder des DGB vertreten – sie blieben in den Mehrheitsentscheidungen unberücksichtigt. Das ist ein fataler Rückschlag für die Gleichstellung der Geschlechter“ betonen die Autorinnen des Sondervotums, Prof. Dr. Isabell Hensel und Prof. Dr. Heide Pfarr.
Der Schutz vor Entgeltdiskriminierung ist eine verbindliche Verpflichtung aus dem Unionsrecht – und Voraussetzung für echte Gleichstellung im Erwerbsleben. Gerade jetzt ist Deutschland in Europa gefragt, um sicherzustellen, dass Rechtsstaatlichkeit und Gleichstellung nicht verhandelbar sind, sondern umgesetzt werden.
Zum Sondervotum
Quelle: Pressemitteilung des djb vom 7.11.2025
Mitteilung des Bundesfamilienministeriums
In seiner Pressemitteilung Nr. 33, veröffentlicht am 7.11.2025, erwähnt das Bundesfamilienministerium das Sondervotum nicht. Vielmehr heißt es dort nur:
Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit – dieses Ziel verfolgt die Entgelttransparenzrichtlinie der Europäischen Union. Sie soll den Entgeltgleichheitsgrundsatz zwischen Frauen und Männern fördern und muss bis Juni 2026 in nationales deutsches Recht umgesetzt werden. Bundesministerin Karin Prien hat dazu eine Kommission berufen, die heute ihre Vorschläge für eine bürokratiearme und effektive Umsetzung der Richtlinie vorgelegt hat.
Bundesfrauenministerin Karin Prien: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – damit Leistung sich wirklich lohnt. Das ist gerecht, für Männer und für Frauen. Die Expertenkommission hat bei den Empfehlungen zwei Ziele in den Blick genommen: Die Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie muss wirksam sein für die Beschäftigten und aufwandsarm für die Arbeitgeber. Wichtig ist mir: Die Unternehmen müssen Handlungssicherheit haben, damit die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland nicht dadurch gefährdet wird. Und klar ist auch: Eine faire Bezahlung hilft, Potenziale zu heben.“ Der Abschlussbericht enthält Vorschläge zur Ausgestaltung der Transparenzinstrumente "Berichtspflicht" und "Auskunftsanspruch", zu der Frage der Privilegierung von tarifgebundenen Arbeitgebern sowie zur Frage der begleitenden Unterstützung von Unternehmen durch die Bundesregierung. Das Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) wird die Vorschläge prüfen und einen Referentenentwurf erarbeiten. Ziel ist es, das Gesetzgebungsverfahren Anfang 2026 einzuleiten.

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