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Öffentlicher Rückruf von Fleischerzeugnissen – BGH betont die lebensmittelrechtliche Kooperation von Unternehmen und Behörden

Ein Unternehmen verklagte den Freistaat Bayern auf Schadensersatz wegen eines Rückrufs von allen Schinken- und Wursterzeugnissen infolge einer möglichen Kontamination durch Listeria monocytogenes. Demnach wären einzelne der 2016 zurückgerufenen Erzeugnisse nachpasteurisiert gewesen und dies hätte die Behörde amtspflichtswidrig nicht berücksichtigt. Die Behörde bestritt die Existenz derartiger nachpasteurisierter Erzeugnisse. Das OLG sah ein behördliches Mitverschulden am Schaden von 2/3 und somit Forderungen von ca. 8 Mio. €. Der BGH verwies das Verfahren zurück.

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I. Zusammenfassung

Ein Unternehmen verklagte den Freistaat Bayern auf Schadensersatz wegen eines Rückrufs von allen Schinken- und Wursterzeugnissen infolge einer möglichen Kontamination durch Listeria monocytogenes. Demnach wären einzelne 2016 zurückgerufenen Erzeugnisse nachpasteurisiert bzw. zur Erhitzung vorgesehen gewesen und dies hätte die Behörde amtspflichtwidrig nicht berücksichtigt. Die Behörde bestritt die Existenz derartiger nachpasteurisierter Erzeugnisse und vorgesehener Erhitzungsverfahren. Das OLG hat die grundsätzliche Zulässigkeit der öffentlichen Warnung bestätigt und sah aufgrund eines zu undifferenzierten öffentlichen Rückrufs ein behördliches Mitverschulden am Schaden von 2/3. Demnach standen mit Bezug auf den Schaden bzgl. der Produkte und der Insolvenz gegenüber dem Bundesland Forderungen von größenordnungsmäßig 8 Mio. € im Raum. Der BGH hat das Verfahren mit dem wesentlichen Argument ans OLG zurückverwiesen, dass die unternehmerische Kooperations- und Mitwirkungspflicht übersehen worden war.

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II. Sachverhalt (Quelle: Pressemitteilung BGH 240/2024)

Das Unternehmen stellte Wurst- und Schinkenprodukte sowie vegetarische Nahrungsmittel her. Am 16. März 2016 entnahm die Lebensmittelüberwachung in einem Verbrauchermarkt eine Probe „Original Bayerisches Wacholderwammerl“. In dieser Probe stellte das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) Listerien weit über dem zulässigen Grenzwert fest. Listerien sind Bakterien, die insbesondere für Schwangere, Neugeborene und Immungeschwächte lebensgefährlich sein können. Im Folgenden wurden fünf weitere Produkte infolge des Gehaltes an Listerien beanstandet. Ein Bundesland sowie das Robert-Koch-Institut wiesen zudem darauf hin, dass die „Wacholderwammerl-Probe“ identisch mit einem humanen Erkrankungs-Cluster sei, an dem in Süddeutschland seit 2012 über 75 Menschen erkrankt seien.

Mit einer Pressemitteilung vom 27.05.2016 warnte das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz vor allen Schinken- und Wurstprodukten eines Unternehmens wegen einer möglichen Kontamination mit Listeria monocytogenes. Aufgrund eines sofort vollziehbaren Bescheides der Überwachungsbehörde vom 29. Mai 2016 rief das Unternehmen ergänzend alle Schinken- und Wurstprodukte mit einer Pressemitteilung zurück. Das Unternehmen hat anschließend mit der Argumentation Schadensersatz begehrt, dass einzelne Produkte nachpasteurisiert bzw. für eine entsprechende Erhitzung vorgesehen gewesen seien. Demnach wäre die behördlich veranlasste Warnung vor allen Schinken- und Wurstprodukten undifferenziert und mangels Risikos bzgl. der pasteurisierten Ware amtspflichtwidrig gewesen. Die Behörde hat die Existenz von solch pasteurisierten Erzeugnissen sowie Erhitzungsverfahren bestritten und dabei auch auf die Eigenkontrollen und Mitwirkungspflichten des Unternehmens hingewiesen.

Im Ergebnis wurde somit die Fragen aufgeworfen, ob tatsächlich solch pasteurisierte Ware vorhanden war, ob die Behörde dies im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes hätte erkennen und berücksichtigen müssen und quasi ob bzw. inwieweit eine Behörde auch zu Ermittlungen „ins Blaue hinein“ verpflichtet ist.

Das OLG hat dem Freistaat Bayern ein Mitverschulden von 2/3 des Schadens wegen einer undifferenzierten und zu weitreichenden Warnung zugesprochen. Der BGH verwies die Angelegenheit zurück ans OLG.

III. Ergebnis und Fazit

Im Ergebnis bejaht der BGH mit dem Urteil vom 19.12.2024 nachvollziehbarerweise die behördliche Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung gemäß dem Amtsermittlungsgrundsatz, vgl. Rn. 48 mit Verweis auf § 24 Bayerisches Landesverwaltungsverfahrensgesetz. Des Weiteren hängt die Reichweite der Amtsermittlungspflicht insbesondere auch von der wahrzunehmenden Aufgabe, der Eilbedürftigkeit und das Gewicht einer drohenden Gefahr ab. Darüber hinaus können jedoch noch spezialrechtliche Mitwirkungs- und Kooperationspflichten in Verbindung mit den Normschutzzielen relevant sein und den Amtsermittlungsgrundsatz entsprechend beschränken. Bei diesen Ausführungen verweist der BGH bei Rn. 51 unter Benennung der Fundstelle, Ludwig in Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, EG-Lebensmittel-Basisverordnung, Art. 50 Rn. 23 [Stand: 189. EL April 2024, auf die im Unionsrecht verankerte primäre und vollumfängliche Verantwortlichkeit der Lebensmittelunternehmen. Auf dieser Grundlage und nach dem im Unionsrecht ergänzend verankerten Kooperationsgrundsatz, wonach Unternehmen und Überwachungsbehörden für die Erreichung der Normschutzziele insbesondere eines hohen Gesundheitsschutzniveaus kooperieren, bewertet der BGH maßgeblich den vorliegenden Einzelfall. Demnach war der behördliche Amtsermittlungsgrundsatz durch die Verpflichtung des Unternehmens zur aktiven Mitwirkung begrenzt und das Unternehmen folglich zur Durchführung eines Rückrufs mit zutreffenden Informationen verpflichtet. Mit diesem Hinweis wurde das Verfahren zurück ans OLG verwiesen.

Der hohen Bedeutung der Kooperation von Unternehmen und Behörden im Lebensmittelrecht wird in der Neuauflage des Praxishandbuchs „Behebung und Verfolgung von Lebensmittelverstößen“, 8. Auflage, Oktober 2024, Rechnung getragen mit dem neuen Kapitel 17 „Kooperation von Unternehmen und Behörden“.

Ebenso bemerkenswert sind die Ausführungen des BGH zu den Listerienbefunden. Demnach richten sich die Anforderungen nach der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 über mikrobiologische Kriterien für Lebensmittel in erster Linie an die Unternehmen. Eine behördliche Lebensmittelsicherheitsbewertung kann somit bei entsprechend begründetem Verdacht davon abweichen. Dies entspricht der Systematik von Art. 14 der BasisVO, wonach bei einem Anschein einer Normkonformheit von Sachverhalten gemäß Art. 14 Abs. 7 und 9 BasisVO gleichwohl ausnahmsweise verhältnismäßige behördliche Maßnahmen auf der Grundlager einer Risikobewertung in Frage kommen können gemäß Art. 14 Abs. 8 und mit Blick auf Art. 6 und 7 BasisVO. Auf diese Funktion des Art. 14 Abs. 8 BasisVO als „Notfallregelung“ wird im Vorwort der Neuauflage zu „Behebung und Verfolgung von Lebensmittelverstößen, 8. Auflage, eingegangen.

Stephan Ludwig
Landratsamt Göppingen, Lebensmittelüberwachung

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