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Das Tarifeinheitsgesetz ist weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar

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Mit am 11.7.2017 verkündetem Urteil hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Die Auslegung und Handhabung des Gesetzes muss allerdings der in Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützten Tarifautonomie Rechnung tragen; über im Einzelnen noch offene Fragen haben die Fachgerichte zu entscheiden.

 

Unvereinbar ist das Gesetz mit der Verfassung nur insoweit, als Vorkehrungen dazu fehlen, dass die Belange der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen bei der Verdrängung bestehender Tarifverträge einseitig vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber muss insofern Abhilfe schaffen. Bis zu einer Neuregelung darf ein Tarifvertrag im Fall einer Kollision im Betrieb nur verdrängt werden, wenn plausibel dargelegt ist, dass die Mehrheitsgewerkschaft die Belange der Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt hat. Das Gesetz bleibt mit dieser Maßgabe ansonsten weiterhin anwendbar. Die Neuregelung ist bis zum 31. Dezember 2018 zu treffen.

 

Die Entscheidung ist teilweise mit Gegenstimmen ergangen; zwei Mitglieder des Senats haben ein Sondervotum abgegeben.

 

 

Weitere Einzelheiten zum Sachverhalt und zu den wesentlichen Erwägungen sind der Pressemitteilung auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts www.bundesverfassungsgericht.de zu entnehmen.

 

 

BVerfG vom 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 –

 

 

Quelle: Pressemitteilung Nr. 57/2017 des BVerfG vom 11.7.2017

 

 

Stellungnahme der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA)

 

Das BVerfG hat die Rechtmäßigkeit des Tarifeinheitsgesetzes (TEG) grundsätzlich bestätigt. Der Gesetzgeber müsse das TEG jedoch in Teilen bis Ende 2018 nachbessern. Durch das am 10.7.2015 in Kraft getretene TEG findet, bei sich überschneidenden Geltungsbereichen mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb, nur der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft Anwendung, deren Mitglieder die Mehrheit im Betrieb stellen.

 

Gegen dieses Gesetz hatten mehrere Gewerkschaften, u.a. ver.di, dbb und Marburger Bund, Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie halten das TEG wegen Verstoßes gegen die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) für verfassungswidrig. Diese Beschwerden sind durch das BVerfG nunmehr weitgehend zurückgewiesen worden. Das TEG müsse jedoch insoweit nachgebessert werden, dass die Mehrheitsgewerkschaft der Minderheitsgewerkschaft die Möglichkeit einräumen muss, auf den im Betrieb geltenden Tarifvertrag Einfluss zu nehmen, so das BVerfG. Die nähere Ausgestaltung obliegt dem Gesetzgeber.

 

Die VKA hat in ihrer Stellungnahme an das BVerfG verdeutlicht, zu welch zahlreichen und schwerwiegenden Konflikten das Agieren unterschiedlicher Gewerkschaften für einzelne Berufsgruppen bei den kommunalen Arbeitgebern geführt hat. Davon waren vor allem die Krankenhäuser, Flughäfen und Nahverkehrsbetriebe unmittelbar betroffen.

 

„Das durch das BVerfG grundsätzlich bestätigte TEG ist ein Schritt in die richtige Richtung“, so Dr. Thomas Böhle, VKA-Präsident. „Diesem müssen klare und verlässliche Regeln für den Arbeitskampf sog. Minderheitsgewerkschaften folgen.“ Das TEG enthält derzeit keine Regelungen zum Streikrecht von Minderheitsgewerkschaften. Die Mitgliederversammlung der VKA hatte in ihrer Herbstsitzung 2015 hier Klarstellungsbedarf angemahnt.

 

Quelle: Presseinformation der VKA vom 11.7.2017

 

 

Stellungnahme dbb beamtenbund und tarifunion

 

Als „schwer nachvollziehbar“ hat der dbb Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zum Tarifeinheitsgesetz (TEG) am 11.7.2017 bezeichnet.

 

„Mit seiner Entscheidung, den gesetzlichen Eingriff in die Tarifautonomie und die Koalitionsfreiheit des Einzelnen grundsätzlich zuzulassen, heben sich die Bundesverfassungsrichter deutlich von der beeindruckenden Phalanx der zahlreichen namhaften Verfassungs- und Arbeitsrechtler ab, die das TEG von Anfang an als eindeutig verfassungswidrig und darüber hinaus undurchführbar abgelehnt haben. Folgt man nun dem Bundesverfassungsgericht, dann lässt sich aus Sicht des Ersten Senats das Tarifeinheitsgesetz mit einigen Änderungen durch den Gesetzgeber, enge Auslegung und vielfache Einbindung der Arbeitsgerichte verfassungskonform umgestalten“, sagte Dauderstädt unmittelbar nach der Urteilsverkündung. „Dem mag man folgen oder nicht. Leider jedoch werden die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Änderungen und Ergänzungen das Gesetz kaum praktikabler machen. Auf die Arbeitsgerichte kommen enorme Belastungen zu. Das Gericht hat erkannt, dass das TEG keine Vorkehrung dafür trifft, die Interessen der Minderheitsgewerkschaften zu wahren. Hier verpflichtet Karlsruhe den Gesetzgeber, dies bis zum 31. Dezember 2018 zu korrigieren.“

 

Der dbb-Chef machte klar, dass das TEG auch in der neuen Form zu einer Verschärfung der Konkurrenzsituation zwischen den Gewerkschaften führen wird. „Mit der Verlagerung der Tarifpolitik auf die Betriebsebene wird die Idee des Flächentarifs gänzlich zerschossen. Und soweit tatsächlich zahlenmäßig kleinere, aber gleichzeitig hochgradig organisierte Gewerkschaften verdrängt werden, haftet dem TEG weiterhin ein eklatantes Demokratiedefizit an. Dem werden wir nicht tatenlos zusehen“, kündigte der dbb-Chef an. „Wir werden uns intern beraten und das Urteil im Detail analysieren. Danach werden wir unseren Kampf gegen die gewerkschaftsfeindliche Zwangstarifeinheit fortführen – politisch und wenn nötig mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Deutschlands Sozialpartner brauchen keinen Dompteur, sie können auch ohne gesetzliche Zwangstarifeinheit verantwortungsvoll mit ihren Rechten umgehen und individuell wie für das Gemeinwesen tragbare Kompromisse aushandeln“, machte Dauderstädt deutlich.

 

 

Quelle: dbb newsletter 49/2017 vom 11.7.2017

 

 

Bernhard Faber

Richter am Arbeitsgericht Augsburg a. D.

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