Outsourcing – Vermeidung eines Betriebsübergangs?
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Outsourcing ist und bleibt ein wichtiges Mittel zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung. Nach wie vor werden ganze Geschäftsbereiche bzw. -prozesse ausgelagert. Die arbeitsrechtlich wichtigste Frage ist, ob die Übernahme von Aufgaben-/Geschäftsbereichen auch zu einem Betriebsübergang, im Regelfall zu einem Teilbetriebsübergang, und damit zu einem Übergang von Mitarbeitern führt. Manchmal ist diese Rechtsfolge unvermeidlich und wird auch akzeptiert, manchmal sogar gewollt. Häufig haben die Vertragsparteien eines Outsourcing-Vertrages aber auch Interesse daran, einen solchen Übergang zu vermeiden. Hier hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in jüngerer Vergangenheit in einer Reihe von Einzelentscheidungen erfreulich klare Aussagen getroffen, die aktiv zur Vermeidung eines (Teil-)Betriebsübergangs verwendet werden konnten; denn diese Entscheidungen enthielten „Anregungen“, um mit einer proaktiven Gestaltung des Sachverhalts die Gefahr eines (Teil‑)Betriebsübergangs zu verringern oder sogar auszuschließen. Ein solches Vorgehen ist nun aufgrund eines Urteils des EuGH (vom 12. Februar 2009 – „Klarenberg“) ungleich schwieriger geworden.
1. Die generellen Kriterien für das Vorliegen eines (Teil-)Betriebsübergangs
Um diese Entwicklung nachvollziehen zu können, wird kurz dargestellt, wann nach der Rechtsprechung überhaupt ein (Teil‑)Betriebsübergang vorliegt. Dies beurteilen die Gerichte anhand einer Mehrzahl von Kriterien und führen mit diesen Einzelkriterien eine „wirtschaftlich-funktionale Gesamtbetrachtung“ durch.
Als Einzelkriterien werden berücksichtigt:
- die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs (z.B. Produktions- oder Dienstleistungsunternehmen)
- der etwaige Übergang materieller Betriebsmittel (wie Gebäude und beweglicher Güter) auf den Erwerber,
- der Wert der immateriellen Aktiva (z.B. das Know-how) im Zeitpunkt des Übergangs,
- die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den Erwerber,
- der etwaige Übergang der Kundschaft,
- der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und nach dem Übergang auf den Erwerber verrichteten Tätigkeiten sowie
- die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten.
Um das Vorliegen eines (Teil-)Betriebsübergangs zu bejahen, muss sich als Ergebnis der Gesamtabwägung ergeben, dass ein Betrieb oder Betriebsteil als konkrete „wirtschaftliche Einheit“ identitätswahrend auf einen neuen Betriebsinhaber übertragen und von dem neuen Betriebsinhaber auch in dieser Form tatsächlich weitergeführt wurde. Was dabei eine wirtschaftliche Einheit ist, hängt davon ab, um welche Art von Unternehmen oder Betrieb es sich handelt und welche Tätigkeiten im Einzelnen ausgeführt werden. So soll es bei betriebsmittelarmen Tätigkeiten zumindest notwendig sein, dass auch ein bedeutender Teil der Belegschaft auf den Erwerber übertragen wird, während bei betriebsmittelgeprägten Tätigkeiten die Übertragung der wesentlichen Betriebsmittel für die Annahme eines (Teil-)Betriebsübergangs ausreichen soll. Dass es hier – angesichts der Vielzahl der Kriterien und deren unklarer Gewichtung untereinander – in der Praxis oft Fälle gab (und gibt), in denen nicht mit hinreichender Sicherheit gesagt werden kann, ob nun ein (Teil-)Betriebsübergang vorliegt oder nicht, ist nachvollziehbar.
2. Die Entscheidungen des BAG zur „Identitätsauflösung“
Das BAG hatte nun in den bereits erwähnten Einzelentscheidungen erfreulicherweise Wege aufgezeigt, wie ein „identitätswahrender“ Übergang vermieden werden kann. Denn es mussten „nur“ Maßnahmen ergriffen und durchgeführt werden, die beim Veräußerer oder beim Erwerber, also vor der Übernahme des Betriebs oder Betriebsteils, auf die „Auflösung“ der Identität der wirtschaftlichen Einheit gerichtet waren. Solche auf eine „Identitätsauflösung“ gerichteten Maßnahmen konnten schon vom Veräußerer ergriffen werden, indem er z.B. für einen Betriebsteil dessen teilbetriebliche Organisation so rechtzeitig auflöste, dass bei einem Übergang auf einen neuen Inhaber nicht von der identitätswahrenden Übertragung einer wirtschaftlichen Einheit gesprochen werden konnte. Solche Maßnahmen konnten aber auch noch vom Erwerber ergriffen werden. Eine solche Maßnahme konnte darin bestehen, dass der Erwerber zusammen mit einer wesentlichen Änderung der Betriebsabläufe und der Organisation den Betriebszweck änderte oder dass er den übernommenen (Teil-)Betrieb vollständig in die eigene andersartige Organisationsstruktur integrierte, also dessen organisatorische Selbstständigkeit aufgelöst wurde.
Waren in der Vergangenheit viele Gerichtsurteile nicht unschuldig daran, dass auch erfahrene Experten in manchen Fällen zum Vorliegen eines (Teil-) Betriebsübergangs keine eindeutigen Antworten geben konnten, war diese Rechtsprechungstendenz erfreulich. Mit hinreichender Kreativität und guter Planung erschien das Vorhaben der Vermeidung eines (Teil-)Betriebsübergangs erfolgreich umsetzbar.
3. Der „Gegenschlag“ des EuGH
Dieser positiven Entwicklung hat der EuGH (aufgrund einer Vorlage des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf) mit seiner so genannten Klarenberg-Entscheidung vom 12. Februar 2009 (C-466/07) einen klaren Dämpfer versetzt. Denn in dem vom EuGH entschiedenen Fall war gerade die organisatorische Selbstständigkeit einer übernommenen Abteilung aufgelöst worden. Allerdings war es nach Auffassung des EuGH mit den Zielen der § 613a BGB zugrundeliegenden europäischen Richtlinie 2001/23/EG unvereinbar, bei der Bestimmung der übergehenden Einheit allein auf das Kriterium dieser organisatorischen Selbstständigkeit abzustellen. Die Richtlinie bezwecke die Kontinuität der bestehenden Arbeitsverhältnisse. Daher müsse ein Betriebsübergang schon dann bejaht werden, wenn der übertragene Betrieb oder Betriebsteil seine organisatorische Selbstständigkeit zwar nicht bewahre, aber (zumindest) die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehalten werde und diese Verknüpfung es dem Erwerber erlaube, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. Es dürfe daher nicht automatisch in jedem Fall, in dem übergehende Betriebsmittel in eine bestehende Organisations- und Arbeitsstruktur eingegliedert werden, ein Betriebsübergang ausgeschlossen werden.
Diese (schutzzweckorientierte) Entscheidung des EuGH war und ist für die Frage der Vermeidung eines (Teil-) Betriebsübergangs nicht hilfreich; denn – um es zurückhaltend auszudrücken – diese Rechtsprechung verschafft den deutschen Arbeitsgerichten (wieder) einen höheren Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum. Denn wann eine funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehalten wird bzw. wann eine „gleichartige wirtschaftliche Tätigkeit“ vorliegt, wird vom EuGH nicht auch nur ansatzweise definiert. Es wird somit der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit überlassen, die (neuen) Vorgaben des EuGH umzusetzen und die hier notwendigen Abgrenzungskriterien herauszubilden. In seinen ersten Entscheidungen „nach Klarenberg“ hat sich das BAG dieser Aufgabe noch nicht gestellt (vgl. Urteil des BAG vom 22. Januar 2009 – 8 AZR 158/07 – und BAG vom 17. Dezember 2009 – 8 AZR 1019/08). Insbesondere in dem letztgenannten Urteil formuliert das BAG gleichermaßen unbestimmt; für einen Übergang sei „die funktionelle Verknüpfung der Produktionsfaktoren in ihrer Wechselbeziehung und gegenseitigen Ergänzung“ fortzuführen. Damit ist die Aufgabe, den vom EuGH so konturlos gezeichneten Tatbestand „griffiger“ zu machen, ersichtlich noch nicht gelöst.
4. Kann ein Betriebsübergang dennoch vermieden werden?
Unabhängig von der berechtigten Kritik der Fachwelt an der EuGH-Entscheidung stellt sich für die Praxis die Frage, ob und vor allem wie in Zukunft ein möglicher Betriebsübergang bzw. ein Teilbetriebsübergang noch aktiv vermieden werden kann.
4.1 Sichere Vermeidungsstrategien
Die gute Nachricht ist, dass es auch „nach Klarenberg“ noch Konstellationen gibt, die die sichere Einschätzung erlauben, dass ein Betriebsübergang nicht erfolgt. Zu nennen sind hier jedenfalls weiterhin die Fälle reiner Funktionsnachfolge, bei denen weder Personal noch Betriebsmittel übernommen werden. Dies hat jedoch immer den Nachteil, dass möglicherweise geschäfts- und erfolgskritisches Know-how unwiederbringlich verloren geht.
4.2 Die „Klarenbergsche Grauzone“
Die weniger gute Nachricht ist aber auch, dass es „nach Klarenberg“ eine weit größere Grauzone gibt und wohl noch lange geben wird. Insbesondere hat der EuGH nach übereinstimmender Auffassung vieler Autoren sehr deutlich gemacht, dass die Herausbildung von „K.o.-Kriterien“ gegen einen (Teil-)Betriebsübergang gemeinschaftsrechtlich unerwünscht ist.
4.3 Praktische Herangehensweise
In praktischer Hinsicht bedeutet dies, dass insbesondere im Vorfeld von Outsourcing-Projekten noch intensiver zu untersuchen sein wird, wo relevante Gestaltungsmöglichkeiten liegen, um einen (Teil-)Betriebsübergang zu vermeiden. Deswegen kann und sollte stets überlegt werden, wie erfolgreich mit den generellen Kriterien für den (Teil-)Betriebsübergang „jongliert“ werden kann.
So wird es weiterhin möglich sein, im Unternehmen vor dem Outsourcing Reorganisationsmaßnahmen durchzuführen, um einen (Teil-)Betriebsübergang zu vermeiden oder die daraus erwachsenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen und Risiken zu verringern bzw. in eine bestimmte – gewünschte – Richtung zu lenken. Weil das BAG in seiner bereits zitierten Entscheidung vom 17. Dezember 2009 wenigstens klargestellt hat, dass der Übergang eines Betriebsteils (weiterhin) eine selbstständige abtrennbare organisatorische Einheit beim Veräußerer voraussetzt, kann es auch künftig im Vorfeld eines Outsourcings nützlich sein, vom Outsourcing betroffene Aufgabenbereiche nicht in einer eigenen Abteilung zusammenzufassen. Auch eine rechtzeitige Auflösung einer betrieblichen Einheit ist weiter sinnvoll, weil sich hierdurch das Risiko eines (Teil-)Betriebsübergangs erheblich verringern lässt.
Schwieriger allerdings wird es, wenn beim Veräußerer eine outzusourcende organisatorische Einheit besteht und auch nicht mehr rechtzeitig aufgelöst werden kann. Dann wird es vor allem darauf ankommen, ob Mitarbeiter auch nach dem Outsourcing beim Erwerber mit ihren bisherigen Aufgaben (unter Nutzung „alter“ Betriebsmittel) befasst bleiben. Falls dies der Fall ist, wird man von einem Übergang auszugehen haben.
Das BAG will jedoch – auch „nach Klarenberg“ – weiterhin auf die „Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit“ abstellen und bei dieser Prüfung sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt wissen. Auf dieser Linie hat das BAG erfreulicherweise auch entschieden, dass ein Betriebsübergang trotz weitgehender Übernahme sächlicher Betriebsmittel nicht angenommen werden soll, wenn der Erwerber aufgrund eines veränderten Betriebskonzepts diese Betriebsmittel nur noch teilweise benötige und nutze; dies gelte jedenfalls dann, wenn der Erwerber erhebliche Änderungen in der Organisation und Personalstruktur des Betriebs eingeführt hat, so dass in der Gesamtschau keine Fortführung des früheren Betriebs anzunehmen sei. Im Ergebnis läuft dies auf die Notwendigkeit der (völligen) Zerschlagung der bestehenden wirtschaftlichen Zusammenhänge beim Erwerber hinaus, ein in Outsourcing-Konstellationen nur (zu) selten erreichbares Ergebnis. Ob dies im Einzelfall dennoch realisierbar ist, wird jeweils zu prüfen sein.
Weil es letztlich – außer in den vereinzelten klaren Fällen – eine sichere Einschätzung nicht geben wird, müssen das outsourcende Unternehmen und der Outsourcing-Partner vor allem überlegen, wie im Outsourcing-Vertrag die insoweit verbleibenden Risiken verteilt werden sollen (eben für den Fall, dass ein nicht erwünschter Betriebsübergang vorliegt). Ob eine solche Risikoverteilung stattfindet und wie sie im Einzelnen ausgestaltet wird, ist immer eine Frage der Interessenlage und Verhandlungsstärke. Typischerweise wird der Outsourcing-Partner versuchen, das outsourcende Unternehmen zur Freistellung und Entschädigung für den Fall zu verpflichten, in dem von Mitarbeitern des outsourcenden Unternehmens ein Betriebsübergang geltend gemacht wird und diese den Outsourcing-Partner als neuen Arbeitgeber in Anspruch nehmen. Aus Sicht des outsourcenden Unternehmens sollten solche Freistellungsansprüche in jedem Fall zeitlich und inhaltlich begrenzt werden. Um hier zu wissen, wie wichtig die angestrebte Freistellung und ihre Ausgestaltung sind und wie hartnäckig darum verhandelt werden muss, muss das tatsächlich vorhandene rechtliche Risiko eines Betriebsübergangs vorher natürlich möglichst realistisch eingeschätzt werden.
Umgekehrt wird das outsourcende Unternehmen möglicherweise bereits auch an den Fall denken müssen, dass das Outsourcing-Projekt (wieder) beendet wird und es später zu einem „Insourcing“ kommt. In diesem Fall könnte ein Betriebsübergang in die umgekehrte Richtung geltend gemacht werden, d.h. Mitarbeiter des Outsourcing-Partners könnten versuchen, das (wieder insourcende) Unternehmen als neuen Arbeitgeber in Anspruch zu nehmen. Das Unternehmen wird daher versuchen wollen, bereits im Outsourcing-Vertrag für diesen Fall eine Freistellungs- und Entschädigungspflicht des Outsourcing-Partners vorzusehen.
5. Fazit
Das Urteil des EuGH in Sachen „Klarenberg“ hat die Rechtsunsicherheit erhöht; die Gestaltungsmöglichkeiten sind klar eingeschränkt. Es bleibt die Hoffnung, dass bald griffige Kriterien entwickelt werden, die die Planungssicherheit bei Outsourcingvorhaben wieder erhöhen. Weil die Rechtsfolgen eines (Teil-)Betriebsübergangs nicht zu Lasten der Mitarbeiter ausgeschlossen oder verringert werden können, bleibt bis dahin als Alternative, im Outsourcing-Vertrag eine möglichst umfassende Haftungsverteilung festzulegen, durch die die Risiken eines unerwünschten, aber eingetretenen Betriebsübergangs abgefangen werden können.
Autoren:
Andreas Ege, Rechtsanwalt und Partner, Lovells LLP (München);
Franziska Schramm, Rechtsanwältin, Lovells LLP (München)
