Dauerhafte Personalgestellung ist europarechtskonform
Kernaussage:
Die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD fällt nicht unter den Anwendungsbereich der EU-Leiharbeitsrichtlinie (RL 2008/104/EG).
Der Fall:
In einem in Form einer GmbH betriebenen Krankenhaus fand der TVöD (VKA) Anwendung. Im Jahr 2018 gliederte die Klinik die Poststelle, das Archiv und die Bibliothek auf eine neu gegründete Servicegesellschaft aus. Durch die Verlagerung der Aufgaben fand ein teilweiser Betriebsübergang statt. Einer der vom Betriebsübergang betroffenen Beschäftigten widersprach dem Übergang nach § 613a BGB. Hieraufhin wurde der Arbeitnehmer im Rahmen einer Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD an die Servicegesellschaft gestellt und sollte dort dauerhaft seine Arbeitsleistung erbringen. Der Beschäftigte klagte gegen die Personalgestellung und führte an, dass diese gegen das europarechtliche Verbot der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung aus der sog. EU-Leiharbeitsrichtlinie verstoße. Sowohl das ArbG als auch das LAG hatten die Klage des Beschäftigten abgewiesen. Das BAG setzte das Verfahren zunächst aus und legte dem EuGH die Frage vor, ob die Leiharbeitsrichtlinie überhaupt auf die Personalgestellung anwendbar sei.
Die Entscheidung des Gerichts:
Der EuGH verneinte diese Frage und entschied damit zugunsten des Arbeitgebers. Der Anwendungsbereich der Richtlinie setze voraus, dass der Abschluss des Arbeitsvertrags gerade zu dem Zweck erfolge, den Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Zudem müsse der Arbeitgeber auch bei jeder tatsächlich vorgenommenen Überlassung die Absicht haben, den betreffenden Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen vorübergehend zur Verfügung zu stellen. Diese Voraussetzungen seien im Fall einer Personalgestellung, wie sie § 4 Abs. 3 TVöD vorsehe, nicht gegeben, weil das Arbeitsverhältnis zum bisherigen Arbeitgeber nur deshalb fortbestehe, weil der Beschäftigte dem Betriebsübergang widersprochen habe. Ungeachtet dessen erfolge die Personalgestellung auch nicht, um die EU-Leiharbeitsrichtlinie zu umgehen. Schließlich sei eine Einbeziehung der Personalgestellung auch nach Sinn und Zweck der Richtlinie nicht geboten. Aus diesen Gründen sei die EU-Leiharbeitsrichtlinie generell nicht auf Personalgestellungen im Sinne des § 4 Abs. 3 TVöD anwendbar.
Das bedeutet die Entscheidung für Sie:
In der Praxis des öffentlichen Dienstes kann es vorkommen, dass bestimmte Aufgaben durch Privatisierung oder Auslagerung auf einen neuen Arbeitgeber übergehen. Hierdurch findet regelmäßig ein Betriebsübergang statt, durch den grundsätzlich die betroffenen Beschäftigten auf den neuen Arbeitgeber übergehen. Allerdings können die Beschäftigten dem Betriebsübergang nach § 613a BGB widersprechen. Hierdurch bleibt das bisherige Arbeitsverhältnis bestehen und die Beschäftigten gehen nicht auf den neuen Arbeitgeber über.
Damit die widersprechenden Arbeitnehmer gleichwohl beim neuen Arbeitgeber eingesetzt werden und sie die übergegangenen Aufgaben weiter wahrnehmen können, gibt es nach § 4 Abs. 3 TVöD die Möglichkeit der Personalgestellung. Macht der Arbeitgeber von dieser Option Gebrauch, hat der Beschäftigte seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung künftig bei dem Dritten zu erbringen, auf den die Aufgaben verlagert wurden. Der Beschäftigte wird also dauerhaft bei dem Dritten eingesetzt. Das Arbeitsverhältnis besteht im Fall der Personalgestellung jedoch mit dem bisherigen Arbeitgeber fort (siehe zu den sich aus diesem Dreiecksverhältnis ergebenden Schwierigkeiten im Breier/Dassau TVöD Kommentar § 4 TVöD Erl. 6.3).
Nach nationalem Recht stellt die Personalgestellung grundsätzlich eine Arbeitnehmerüberlassung dar. Allerdings nimmt § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG die Personalgestellung fast vollständig von der Anwendung des AÜG aus (ausführlich zu den verschiedenen Bereichsausnahmen des AÜG im Hinblick auf die Drittpersonaleinsätze nach Breier/Dassau TVöD Kommentar § 4 TVöD Erl. 9.4).
In der Fachwelt war jedoch umstritten, ob diese Privilegierung der Personalgestellung mit der EU-Leiharbeitsrichtlinie im Einklang steht. Wäre dies nämlich nicht der Fall und die Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG europarechtswidrig, hätten sich zahlreiche Folgeprobleme ergeben. Insbesondere die in § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG geregelte Höchstüberlassungsdauer hätte dann faktisch dazu geführt, dass eine Personalgestellung wohl nicht mehr möglich gewesen wäre, weil diese ihrer Natur nach auf Dauer ausgerichtet ist (dazu Breier/Dassau TVöD Kommentar § 4 TVöD Erl. 6.1.2).
Mit der vorliegenden Entscheidung des EuGH steht fest, dass die EU-Leiharbeitsrichtlinie nicht auf Personalgestellungen im Sinne des § 4 Abs. 3 TVöD anzuwenden ist, so dass diese Form des Drittpersonaleinsatzes auch nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie verstoßen kann. Folglich kann auch der Dauercharakter der Personalgestellung nicht gegen die europäischen Vorgaben verstoßen.
Durch die Entscheidung des EuGH ist der Streit zur europarechtlichen Zulässigkeit des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG nunmehr geklärt und für die Praxis ein großes Maß an Rechtssicherheit gewonnen. Zwar steht eine abschließende Entscheidung des BAG in diesem Verfahren noch aus, da der arbeitsgerichtliche Prozess nur ausgesetzt worden war. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich das BAG dem EuGH anschließen und die Personalgestellung für zulässig erklären wird. Daher kann das Instrument der Personalgestellung nunmehr wieder ruhigen Gewissens zur Anwendung gebracht werden.
Regierungsdirektor Dr. Till Sachadae,
Referatsleiter Personal, Aus- und Fortbildung beim Fernstraßen-Bundesamt
